Blutung im Kleinhirn: OP senkt Sterblichkeit
Weltweit größte Metaanalyse von Patientinnen- und Patientendaten aus Deutschland und den USA veröffentlicht
09.10.2019 In Deutschland erleiden jährlich ca. 35.000 Menschen eine akute Hirnblutung. Für Blutungen im Großhirn und deren operative Versorgung gibt es bereits aussagekräftige Studien. Im Gegensatz dazu stützen sich die internationalen Leitlinien zur Behandlung von Kleinhirnblutungen auf wesentlich weniger untersuchte Fälle. Kleinhirnblutungen machen nur circa zehn Prozent aller Fälle aus. Eine Kollaboration von Expertinnen und Experten aus Deutschland und den USA hat jetzt erstmals untersucht, wie sich eine operative Blutungsentfernung auf die Sterblichkeit und auf die funktionelle Langzeitprognose auswirkt. An der Analyse beteiligten sich insgesamt 64 Zentren unter Federführung der Neurologischen Klinik (Direk-tor: Prof. Dr. Dr. h. c. Stefan Schwab) des Universitätsklinikums Erlangen. Die Studienergebnisse wurden jetzt im Journal of the American Medical Association (JAMA) veröffentlicht.
„Basierend auf unseren Daten und der Metaanalyse können wir Folgendes ableiten: Eine Kleinhirnblutung, deren Volumen kleiner ist als 12 Kubikzentimeter, sollte nicht operativ entfernt werden. Denn: Hierdurch wäre eher eine funktionelle Verschlechterung zu erwarten, das heißt eine körperlich-motorische Beeinträchtigung der Patientin oder des Patienten. Außerdem würde sich bei diesen Betroffenen die Überlebenswahrscheinlichkeit durch eine OP nicht grundsätzlich verbessern“, sagt der Studienleiter und leitende Oberarzt Prof. Dr. Hagen Huttner von der Neurologie des Uni-Klinikums Erlangen. „Im Gegensatz dazu senkt eine Operation bei Blutungen, die größer sind als 15 Kubikzentimeter, die Sterblichkeitsrate signifikant – im Vergleich zum konservativen Vorgehen, wie etwa dem künstlichen Koma oder einer nicht-operativen Therapie zur Senkung des Hirndrucks“, so Prof. Huttner. Einschränkend ergänzt er: „Mit einer besseren funktionellen Langzeitprognose geht eine OP allerdings nicht einher. Und für den Bereich zwischen 12 und 15 Kubikzentimetern waren die Ergebnisse nicht signifikant.“
Das übliche Vorgehen bei der operativen Entfernung einer größeren Kleinhirnblutung basierte bislang auf kleineren Studien. Diese gingen davon aus, dass den betroffenen Patientinnen und Patienten eine weitere klinische Verschlechterung droht, weil die hintere Schädelgrube räumlich begrenzt ist und der Hirnstamm durch die Blutung verdrängt werden könnte. Da in einem solchen Fall der Tod der oder des Betroffenen unmittelbar bevorstünde, befürworteten Ärztinnen und Ärzte eine Operation. Denn sie gingen zusätzlich zu einer erhöhten Überlebenswahrscheinlichkeit auch von einer besseren klinischen Prognose aus.
Höchste Aussagekraft für mittelschwere Befunde
Weil es bislang keine randomisierten Studiendaten oder größeren Beobachtungsstudien dazu gab, hat das Team um Prof. Huttner und PD Dr. Joji Kuramatsu, Oberarzt der Neurologie, die nun veröffentlichte systematische Metaanalyse durchgeführt. Im Rahmen dieser weltweit größten Untersuchung von Daten von 578 Patientinnen und Patienten mit Kleinhirnblutungen wurden Gruppen von operativ und konservativ behandelten Patientinnen und Patienten miteinander verglichen. „Die Ergebnisse unserer Auswertung sind insbesondere für mittelschwer Betroffene sehr aussagekräftig“, sagt der Erstautor der Studie, PD Kuramatsu. „Für Betroffene mit sehr kleinen oder sehr großen Blutungen sind die Befunde statistisch nicht so eindeutig.“ Joji Kuramatsu weiter: „Die Funktionalität des Gehirns 90 Tage nach Eintritt der Blutung ist bei denjenigen, die eine OP erhalten haben, mit dem Zustand derer vergleichbar, die konservativ behandelt wurden. Allerdings variierten die Ergebnisse deutlich, je nachdem, wie groß die Blutung anfänglich war.“
Bessere Kommunikation mit Angehörigen
„Die funktionelle Prognose wird insgesamt durch eine Operation nicht sicher verbessert. Allerdings senkt eine OP die Sterblichkeit. Diese Erkenntnis ist sehr hilfreich für den klinischen Alltag und für unsere Kommunikation mit Angehörigen“, fasst Studienleiter Prof. Huttner zusammen. „Unsere Untersuchung hat jetzt einen über Jahrzehnte hinweg bestehenden Therapieansatz der neurologisch-neurochirurgischen Intensivmedizin erstmals fundiert analysiert“, sagt Prof. Dr. Dr. h. c. Stefan Schwab, Direktor der Neurologie des Uni-Klinikums Erlangen und Past-Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. PD Kuramatsu ergänzt: „Unsere Studienergebnisse liefern erstmals konkrete Effektgrößen, die für die Planung künftiger Forschungsarbeiten herangezogen werden können. Denn ohne diese prospektiven randomisierten Studien fehlt – auch trotz unserer Analyse – weiterhin die abschließende Gewissheit darüber, welche Patientinnen und Patienten von einer Operation profitieren.“