Verbesserte Wahrnehmung durch biologisch inspirierte künstliche Haut
Sensible Roboter sind sicherer
Sensible künstliche Haut erlaubt Robotern, ihren Körper und ihre Umgebung zu fühlen. Für den engen Kontakt mit Menschen ist das entscheidend. Ein Team der Technischen Universität München (TUM) hat ein von biologischen Vorbildern inspiriertes System aus künstlicher Haut und Steuerungsalgorithmen entwickelt. Dadurch konnte erstmals ein menschengroßer autonomer Roboter großflächig mit künstlicher Haut versehen werden.
Mehr Rechenkapazität durch ereignisbasierten Ansatz
Das größte Hindernis bei der Entwicklung von Roboterhaut war bislang Rechenkapazität. Die menschliche Haut hat rund fünf Millionen Rezeptoren. Will man die Daten aus Sensoren in künstlicher Haut permanent auswerten, werden schnell Grenzen deutlich. Bisherige Systeme waren schon mit Daten aus einigen Hundert Sensoren ausgelastet.
Um dieses Problem zu lösen, haben Gordon Cheng und sein Team einen NeuroEngineering-Ansatz gewählt. Sie überwachen Hautzellen nicht permanent, sondern nutzen ein sogenanntes ereignisbasiertes System. So lässt sich der Rechenaufwand um bis zu 90 Prozent reduzieren. Der Trick: Einzelne Zellen geben Informationen ihrer Sensoren nur weiter, wenn Messwerte sich ändern. Unser Nervensystem arbeitet ähnlich. Beispielsweise spüren wir einen Hut in dem Moment, in dem wir ihn aufsetzen, gewöhnen uns aber schnell an ihn. Da es keine Notwendigkeit gibt, den Hut permanent zu beachten, werden wir erst wieder auf ihn aufmerksam, wenn er uns vom Kopf weht. Unser Nervensystem kann sich dadurch auf neue Eindrücke konzentrieren, auf die der Körper reagieren muss.
Sicherheit auch bei engem Körperkontakt
Durch den ereignisbasierten Ansatz konnte erstmals ein menschengroßer autonomer, nicht auf externe Berechnungen angewiesener, Roboter mit künstlicher Haut ausgestattet werden. Der Roboter H-1 ist mit insgesamt 1260 Zellen und dementsprechend mehr als 13.000 Sensoren an Oberkörper, Armen, Beinen und sogar auf den Fußsohlen ausgestattet, die für ein neues „Körpergefühl“ sorgen. Beispielsweise hilft die Haut auf den Fußsohlen H-1, auf Unebenheiten im Boden zu reagieren und sogar auf einem Bein zu balancieren.
Durch die Haut ist H-1 in der Lage, einen Menschen sicher zu umarmen. Das ist weniger trivial als es klingt: Roboter können Kräfte ausüben, die Menschen schwer verletzen würden. Bei Umarmungen hat ein Roboter an vielen verschiedenen Punkten Kontakt mit einer Person und muss aus diesen komplexen Informationen sehr schnell die richtigen Bewegungen und den passenden Kraftaufwand berechnen. „In der Industrie mag das weniger wichtig sein, aber in Bereichen wie der Pflege müssen Roboter auf einen sehr engen Kontakt mit Menschen ausgerichtet sein“, erklärt Gordon Cheng.
Variabel und robust
Das Roboterhaut-System von Gordon Cheng ist zudem besonders robust und variabel. Da die Haut nicht aus einem Stück, sondern aus Zellen besteht, ist sie auch dann noch funktionstüchtig, wenn einzelne Zellen ausfallen. „Unser System ist darauf ausgerichtet, problemlos und schnell mit allen möglichen Robotertypen zu funktionieren“, sagt Gordon Cheng. „Jetzt arbeiten wir daran, kleinere Hautzellen zu entwerfen, die in Zukunft in größeren Mengen hergestellt werden können.“
Publikationen:
G. Cheng, E. Dean-Leon, F. Bergner, J. Rogelio Guadarrama Olvera, Q. Leboutet and P. Mittendorfer, „A Comprehensive Realization of Robot Skin: Sensors, Sensing, Control, and Applications“. Proceedings of the IEEE (2019). DOI: 10.1109/JPROC.2019.2933348
F. Bergner, E. Dean-Leon, J. R. Guadarrama-Olvera and G. Cheng, „Evaluation of a Large Scale Event Driven Robot Skin„. IEEE Robotics and Automation Letters (2019). DOI: 10.1109/LRA.2019.2930493
J. R. Guadarrama-Olvera, E. Dean-Leon, F. Bergner and G. Cheng, „Pressure-Driven Body Compliance Using Robot Skin„. IEEE Robotics and Automation Letters (2019). DOI: 10.1109/LRA.2019.2928214
Mehr Informationen:
Der Roboter H-1 wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen eines Großgeräteantrags finanziert.
Hochauflösende Bilder für die redaktionelle Berichterstattung:
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