Tieferer Blick in die Schatztruhe der Mikroben
Ein neues gentechnisches Instrument wird dazu beitragen, die mikrobielle Naturstoff-Forschung zu vereinfachen.
Wie entwickeln sich Mikroben, und wie interagieren sie mit ihrer Umwelt? Wie sind die dafür notwendigen Stoffwechselprodukte beschaffen, die die Grundlage einer Vielzahl von landwirtschaftlichen, industriellen und medizinischen Produkten bilden? Bisher sind diese Fragen schwer zu erforschen, doch ein neues gentechnisches Instrument ermöglicht vielversprechende Einblicke: Ein internationales Team von Mikrobiologen und Genomforschern hat „CRAGE“ entwickelt, das „Chassis-unabhängige rekombinase-gestützte Genom-Engineering“. Unter der Leitung des US-amerikanischen Department of Energy (DOE) Joint Genome Institute (JGI) waren Wissenschaftler*innen der Goethe-Universität Frankfurt und des DOE Environmental Molecular Sciences Laboratory (EMSL) beteiligt. Die gemeinsame Publikation wurde kürzlich online in Nature Microbiologyveröffentlicht.
Sekundäre Stoffwechselprodukte von Mikroorganismen wie Bakterien, Viren oder Pilzen werden so benannt, weil ihre Aktivitäten und Funktionen für das Überleben einer Mikrobe nicht wesentlich sind, doch sie können dem Organismus einen Vorteil bei bestimmten Umweltbedingungen verschaffen. Die Fähigkeit, diese Stoffwechselprodukte (Metabolite) zu produzieren, wird von Gruppen von Genen kodiert, die als biosynthetische Gencluster (BGCs) bezeichnet werden. Diese Gencluster tauschen Mikroben durch horizontalen Gentransfer leicht miteinander aus, auch wenn sie nur entfernt miteinander verwandt sind. Die schnelle und weit verbreitete Weitergabe ermöglicht es ihnen, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen, indem sie neue Eigenschaften hinzugewinnen oder unwichtig gewordene verlieren können. Dabei treibt der horizontale Gentransfer von BGCs die Entwicklung verschiedener Metabolite voran, da der häufige Austausch auch Mutationen hervorruft.
Bisher sind die Prozesse des Sekundärstoffwechsels schwer zu erforschen, denn in der künstlichen Umgebung des Labors sind natürliche Bedingungen kaum zu rekonstruieren. Die neue Methode CRAGE kann Wissenschaftler*innen nun helfen, diese Schwierigkeit zu umgehen.
„Metabolite sind wie eine Sprache, mit der Mikroben mit ihrer Umwelt und all den darin lebenden Organismen interagieren. Da wir diese Umgebung aber meist nicht im Detail kennen, verstehen wir auch die Funktion dieser Metabolite nicht“, sagt der Leitautor der Studie Yasuo Yoshikuni, Wissenschaftler am Department of Energy Joint Genome Institute. „Uns fehlt derzeit die Technologie, um Mikroben zu stimulieren, ihre BGCs zu aktivieren und das oft komplexe Produkt zu synthetisieren – ein zellulärer Prozess, der viele Schritte umfasst.“
CRAGE ist dabei ein hocheffizientes Mittel, um BGCs, die von einem Organismus stammen, gleichzeitig in viele verschiedene potenzielle Produktionswirte zu transplantieren, um so mikrobielle Wirtsstämme zu identifizieren, die in der Lage sind, diese sekundären Stoffwechselprodukte auch unter Laborbedingungen zu produzieren.
„CRAGE ermöglicht es uns, auf diese Verbindungen viel einfacher als bisher zuzugreifen“, sagt Helge Bode, Co-Autor der Studie, Wissenschaftler an der Goethe-Universität Frankfurt und Sprecher der Projektbereichs Naturstoffgenomik am LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik, das die Forschung förderte. „In mehreren Fällen war es uns bereits möglich, neue Verbindungen zum ersten Mal herzustellen und zu charakterisieren.“
Doch mit CRAGE wird nicht nur eine Technik bereitgestellt, um mikrobielle Prozesse von einer Spezies auf eine andere zu übertragen – die Wissenschaftler*innen können nun auch konkret beobachten, wie die Verbindungen funktionieren. Bisher existierten dazu nur Theorien.
„Dies ist eine bahnbrechende Entwicklung, denn mit CRAGE können wir untersuchen, wie verschiedene Organismen ein Gen-Netzwerk unterschiedlich exprimieren können und wie sich so horizontal übertragene Fähigkeiten entwickeln können. Die bisherigen Werkzeuge, um dies zu tun, sind viel eingeschränkter“, sagt Mitautor David Hoyt, Chemiker bei EMSL, das im Pacific Northwest National Laboratory angesiedelt ist. Co-Autor Jin Ke, wissenschaftlicher Mitarbeiter am JGI, fügt hinzu: „Mit CRAGE können Mikroben für die Produktion von Proteinen, RNAs und anderen Molekülen mit einem riesigen Anwendungsspektrum entwickelt werden.“
Nächste Schritte
Bisher hat das Team erfolgreich BGCs in 30 verschiedene Bakterienstämme übertragen und erwartet, dass sie in vielen anderen funktionieren sollten, obwohl die Technik voraussichtlich für einige Arten angepasst werden muss. Weitere Forschung und Produktentwicklung sind derzeit im Gang. In der Zwischenzeit steht die Technik bereits Forschungsteams zur Verfügung, die in Pilotprogramme eingebunden sind.
„Abgesehen von einigen sehr gut untersuchten Mikroben, den sogenannten Modellorganismen wie E. coli, wissen wir nicht, ob ein Stamm über die Fähigkeiten verfügt, alle Schritte der BGC-Aktivierung durchzuführen“, sagt Yoshikuni. „Hoffentlich können wir mit CRAGE beginnen, dieses Paradigma zu ändern – wir können mehr wilde Arten untersuchen und Eigenschaften finden, die besser für die Entwicklung von Produkten und Medikamenten geeignet sind.“
Unterstützt wurde diese Forschung vom US-amerikanischen Department of Energy Office of Science, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) in Frankfurt am Main. Dessen Sprecher Prof. Dr. Axel Janke betont: „Forschungsergebnisse wie dieses entsprechen genau dem Ziel von TBG, bei der genomischem Grundlagenforschung auch anwendungsbezogene Fragestellungen im Blick zu haben. Wir freuen uns über die neuen bahnbrechenden Erkenntnisse und die Möglichkeiten, die sie für die Forschung an Naturstoffen eröffnen.“
CRAGE ist für die Lizenzierung über das Intellectual Property Office von Berkeley Lab und für die kollaborative Forschung über die Benutzerprogramme von JGI erhältlich.
Publikation in Nature Microbiology:
Gaoyan Wang, Zhiying Zhao, Jing Ke, Yvonne Engel, Yi-Ming Shi, David Robinson, Kerem Bingol, Zheyun Zhang, Benjamin Bowen, Katherine Louie, Bing Wang, Robert Evans, Yu Miyamoto, Kelly Cheng, Suzanne Kosina, Markus De Raad, Leslie Silva, Alicia Luhrs, Andrea Lubbe, David W. Hoyt, Charles Francavilla, Hiroshi Otani, Samuel Deutsch, Nancy M. Washton, Edward M. Rubin, Nigel J. Mouncey, Axel Visel, Trent Northen, Jan-Fang Cheng, Helge B. Bode & Yasuo Yoshikuni:
„CRAGE enables rapid activation of biosynthetic gene clusters in undomesticated bacteria” https://www.nature.com/articles/s41564-019-0573-8
Das LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) ist eine gemeinsame Forschungseinrichtung der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, der Goethe-Universität Frankfurt, der Justus-Liebig-Universität Gießen und des Fraunhofer Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME. Das Zentrum wird zunächst von der Hessischen Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz (LOEWE) finanziert und nahm im Januar 2018 seinen Betrieb auf. Der zentrale Fokus liegt in der Ausweitung der Biodiversitätsforschung in die genomische Basis biologischer Diversität. Die Erkenntnisse stehen für Grundlagen- und angewandte Forschung zur Verfügung. Ziel ist es auch, die grundlegende Erforschung von Genomen einer breiten Organismenvielfalt mit der Entwicklung anwendungsfähiger Dienstleistungen und Produkte zu verbinden.
Weitere Informationen: https://tbg.senckenberg.de