Gleicher Wirkstoff, andere Fachinformationen
Studie des Universitätsklinikums Ulm weist auf Schwierigkeiten bei der ärztlichen Aufklärungspflicht hin: Fachinformationen wirkstoffgleicher Psychopharmaka enthalten unterschiedliche Angaben zu Kontraindikationen
Ein Forschungsteam der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III des Universitätsklinikums Ulm hat in einer aktuellen Studie Fachinformationen von wirkstoffgleichen (Neuro-)Psychopharmaka untersucht und dabei signifikante Unterschiede festgestellt. Fachinformationen liefern ärztlichem und pharmazeutischem Fachpersonal detaillierte Angaben zu Medikamenten. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen Schwierigkeiten bei der ärztlichen Aufklärungspflicht.
Für zahlreiche Medikamente gibt es neben dem Originalprodukt auch Präparate anderer Herstellerfirmen, die denselben Wirkstoff enthalten — sogenannte Generika. Diese Generika sind günstiger als das Originalprodukt. Bei der Verschreibung verordnen Ärzt*innen Arzneimittel häufig unter deren Wirkstoffbezeichnung; dann ist die Ausgabe eines solchen Generikums zulässig. Ansonsten muss die Verwendung eines wirkstoffgleichen Präparats auf dem Rezept explizit ausgeschlossen werden.
Welches wirkstoffgleiche Produkt Patient*innen in der Apotheke erhalten, wissen Ärzt*innen im Vorfeld daher oft nicht. Die austauschbaren Präparate können sich aber in einigen Aspekten voneinander unterscheiden. Etwa was die Darreichungsform, Anwendungsgebiete (Indikationen), Dosierung, Wirkung, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und Kontraindikationen (Gegenanzeigen) angeht. Daher ist die Aufklärung in der Sprechstunde eingeschränkt.
Die Präparat spezifischen detaillierten Daten liefern die sogenannten Fachinformationen eines Medikaments, die vorwiegend ärztlichem und pharmazeutischem Fachpersonal zur Verfügung stehen. In einer aktuellen Studie hat die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III des Universitätsklinikums Ulm erstmals diese Fachinformationen wirkstoffgleicher Arzneimittel untersucht und erhebliche Unterschiede in der Anzahl der aufgeführten Kontraindikationen festgestellt.
„Insgesamt haben wir 941 Handelspräparate mit insgesamt 116 Wirkstoffen untersucht. Eingeschlossen wurden Wirkstoffe, die in Deutschland für die Behandlung einer psychischen Störung zugelassen sind, sowie Antiepileptika. Bei 43 von diesen 78 Wirkstoffen (55,1 %) fanden sich innerhalb der zugehörigen Fachinformationen wirkstoffgleicher Handelspräparate Unterschiede in der Anzahl der aufgeführten Kontraindikationen“, erklärt Erstautor Prof. Maximilian Gahr, Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III. Eine Kontraindikation (Gegenanzeige) ist ein Umstand, z.B. eine Schwangerschaft, eine Allergie oder eine chronische Erkrankung, unter dem ein bestimmtes Arzneimittel nicht eingenommen werden sollte, da es sonst zu gesundheitlichen Schäden kommen kann.
„Die Ergebnisse der Studie sind mit Blick auf die Aufklärungspflicht von großer Bedeutung“, so Prof. Gahr weiter. „Ärzt*innen sind verpflichtet, die zu behandelnden Personen umfassend über die verschriebenen Medikamente aufzuklären.“ Diese Aufklärung können Ärzt*innen unter den gegebenen Bedingungen nicht erfüllen. „Dafür müsste im Vorfeld bekannt sein, welches Präparat die Apotheken ausgeben oder Ärzt*innen müssten vorsorglich über alle verfügbaren Medikamente aufklären — was nicht praktikabel ist.“ Die Ergebnisse weisen daher auch auf Haftungsprobleme für ärztliches Personal hin, sollten gesundheitsgefährdende Nebenwirkungen auftreten.
„Auch mit Blick auf die Patientensicherheit stellen sich einige Fragen“ so Mitautor Prof. Carlos Schönfeldt-Lecuona. „Die Relevanz dieser Beobachtung für die klinische Praxis kann aktuell noch nicht bewertet werden, dazu fehlt die Bewertung von juristischer Seite, die wir für notwendig halten. Auch regulative Maßnahmen erscheinen dringend erforderlich. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn (BfArM) wurde bereits informiert.“ Die Studie ist in der deutschsprachigen Zeitschrift „Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie“ erschienen (2019; 87: 1–18), auch das Deutsche Ärzteblatt hat einen Bericht (2019; 116(17)) zu den Ergebnissen veröffentlicht.