Studie an madagassischen Lemuren

Das Mikrobiom als Schlüssel zur besseren Therapie von Durchfallerkrankungen

Für gesunde Erwachsene ist eine Magen-Darminfektion unangenehm – aber meist nach wenigen Tagen überstanden. Ganz anders sieht es bei immungeschwächten Personen oder Kindern aus: Für solche Patientinnen und Patienten kann eine Durchfallerkrankung tödlich enden. Um diese unterschiedlichen Krankheitsverläufe besser zu verstehen, nehmen Forschende um Professorin Simone Sommer (Universität Ulm), Professor Jörg Ganzhorn (Universität Hamburg) und Professor Christian Drosten (Charité Berlin) das Zusammenspiel eines häufigen Erregers mit dem Darm-Mikrobiom in den Blick. Es geht dabei um den Adenovirus. Der Modellorganismus mag überraschen: Für ihren Fachbeitrag in „Scientific Reports“ haben die Forschenden aus Deutschland und Madagaskar Mausmakis und ihre Kotproben untersucht.

Adenoviren haben das ganze Jahr über Saison: Beim Menschen führt dieser verbreitete Erreger zu unterschiedlich starken Infektionen – von Durchfallerkrankungen bis zu Atemwegsinfekten. Eine Ansteckung erfolgt über Tröpfcheninfektion oder etwa Fäkalien-Kontakt. Zeitnah nach der Infektion siedeln sich die Viren im Magen-Darm-Trakt des Wirts an und sind somit in Stuhlproben nachweisbar.

Im Darm herrscht ohnehin ein reges Treiben: unzählige symbiotische Bakterien, das so genannte Mikrobiom, unterstützen die Verdauung und etwa die Immunabwehr. Eine Störung dieser Darmflora wird zunehmend mit den verschiedensten Erkrankungen assoziiert – von Depressionen und Diabetes bis hin zum krankhaften Übergewicht. Wahrscheinlich beeinflussen auch Adenoviren das Darm-Mikrobiom und somit die Immunabwehr, wodurch Durchfälle sowie Ko-Infektionen begünstigt werden. „Vireninfektionen könnten noch viel weitreichendere Konsequenzen haben, als bisher angenommen, indem sie durch Störung des Darm-Mikrobioms die Zunahme bakterieller Krankheitserreger begünstigen“, erklärt Professorin Simone Sommer, Leiterin des Instituts für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik der Universität Ulm.

Tatsächlich kann das Adenovirus nicht nur Menschen, sondern auch Fische, Vögel oder etwa Primaten befallen. Daher haben die Forschenden ihre Untersuchungen nicht an Patientinnen und Patienten, sondern an Grauroten Mausmakis (Microcebus griserufus) in Madagaskar durchgeführt – einem optimalen Modell. Der Lebensraum dieser Primaten, die zur Gruppe der Lemuren gehören, grenzt nämlich an Siedlungen, weshalb sie in Kontakt mit Menschen und ihren Haustieren kommen können. Diese Situation macht sie zur möglichen Quelle von Zoonosen – also von Erkrankungen die die Artengrenze überschreiten. Bekannte Beispiele für solche Zoonosen sind der AIDS-Erreger HIV, der vom Affen auf den Menschen übergegangen ist, oder Ebola. „Adenoviren sind der Hauptgrund für Magen-Darminfektionen beim Menschen in Madagaskar“ berichtet Jörg Ganzhorn, der die ökologischen Untersuchungen in Madagaskar leitet. Daher ist ein Austausch der Viren über die Artengrenze nicht unwahrscheinlich. Zudem ähneln sich die Erregerstämme beim Menschen und bei den Primaten teilweise auffällig“, sagen Victor Corman und Christian Drosten von der Berliner Charité.

Im südmadagassischen Trockenwald haben die Forschenden also untersucht, ob natürlich vorkommende Adenovirus-Infektionen das Darm-Mikrobiom von Mausmakis verändern. Da Durchfallerkrankungen bei Kindern oft wesentlich schwerer verlaufen, lag ein Schwerpunkt der Studie auf altersabhängigen Effekten. Dazu wurden Graurote Mausmakis für eine begrenzte Zeit eingefangen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bestimmten das Geschlecht der Lemuren; Körpergröße und Gewicht gaben Hinweise auf ihr Alter. Während der Untersuchung hat die Gruppe um Professor Jörg Ganzhorn 160 Kotproben der Primaten gesammelt. Diese wurden tief gekühlt, nach Deutschland gebracht und im Labor analysiert: die Berliner Kollegen stellten fest, welche Tiere das Adenovirus in sich trugen. Das Ulmer Team hingegen bestimmte mit modernen Hochdurchsatz-Sequenziermethoden für jede Kotprobe die Zusammensetzung des Mikrobioms: Welche Arten von Bakterien kommen wie häufig vor? „Danach haben wir mit Hilfe bioinformatischer Analysen untersucht, wie sich der relative Anteil der einzelnen Mikroorganismen nach einer Vireninfektion verändert hat“, ergänzt Erstautor Dr. Wasimuddin von der Universität Ulm.

Insgesamt waren 44 von 160 Mausmakis mit dem Adenovirus infiziert. Ihre Erkrankung hatte – ebenso wie das Alter – einen signifikanten Einfluss auf die Zusammensetzung des Mikrobioms: Die Diversität der Bakterien-Gemeinschaft war bei infizierten Mausmakis vermindert, wobei nützliche Bakterien abnahmen und potenzielle Krankheitserreger häufiger vorkamen. Weiterhin interagierte die Bakterien-Gemeinschaft im Darm deutlich weniger und die betroffenen Tiere brachten ein geringeres Körpergewicht auf die Waage. Einen Zusammenhang zwischen dem Alter der Lemuren und ihrer Anfälligkeit für eine Adenovirus-Infektion konnten die Forschenden jedoch nicht feststellen. „Weitere Studien müssen zeigen, ob ein gestörtes Mikrobiom tatsächlich das Ergebnis oder der Grund für eine Adenovirus-Infektion ist. Dazu müssten erkrankte und gesunde Mausmakis über einen längeren Zeitraum beobachtet werden – vor und nach der Infektion“, erläutern die Ulmer Forschenden. „Wir vermuten hier einen generellen Effekt. Am Beispiel freilebender, tropischer Fledermäuse konnten wir kürzlich ebenfalls zeigen, dass Infektionen mit Durchfallerregern wie dem Astrovirus das Mikrobiom stören und bakterielle Begleiterkrankungen verstärken“, fasst Simone Sommer das Ergebnis einer anderen Studie zusammen.

Offenbar ist das Zusammenspiel des Adenovirus mit dem Darm-Mikrobiom der Schlüssel zu einem besseren Verständnis solcher Infektionen beim Menschen. Eine Störung des Mikrobioms begünstigt wohl Ko-Infektionen, die vor allem Risikogruppen wie Kinder oder immungeschwächte Personen gefährden. In solchen Fällen würde eine mikrobiombasierte Therapie Abhilfe schaffen und womöglich Leben retten. Bis dahin ist jedoch noch viel Forschungsarbeit nötig. Unter anderem sollte die Rolle des Immunsystems bei Adenovirus-Infektionen noch detaillierter untersucht werden.

An der Studie waren Forschende der Universitäten Ulm und Hamburg, der Charité Universitätsmedizin Berlin (Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität Berlin) sowie vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF Berlin) beteiligt. Weitere Beiträge kamen von der Universität Antananarivo auf Madagaskar.

Wasimuddin, Victor M. Corman, Jörg U. Ganzhorn, Jacques Rakotondranary, Yedidya R. Ratovonamana, Christian Drosten & Simone Sommer: Adenovirus infection is associated with altered gut microbial communities in a non-human primate. Scientific Reports (2019) 9:13410, https://doi.org/10.1038/s41598-019-49829-z