Wie entstehen Narben? Faszien liefern Bausatz für mobiles Narbengewebe

Bisher rätselten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie genau sich Narben bilden. Nun hat ein Team des Helmholtz Zentrums München erstmalig herausgefunden, dass Narben aus Teilen des Bindegewebes – der Faszie – gebildet werden. Diese und weitere Erkenntnisse erbrachten eine völlig neue Sichtweise auf Vorgänge der Wundheilung und führte darüber hinaus zu neuem Wissen im Bereich Narbenbildung und Fascia-Matrix. Beide Bereiche sind wichtig für die Erforschung narbenloser Hautregeneration und zur Vorbeugung von Fibrose. Die Ergebnisse wurden im Journal Nature veröffentlicht.

Anormale Narbenbildung ist ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko: Sie führt zu nicht heilenden chronischen Wunden oder Fibrose, einer krankhaften Vermehrung des Bindegewebes. Narben werden gebildet, indem Fibroblasten, also Zellen des Bindegewebes, zur verletzten Stelle der Haut gelangen und dort mit extrazellulärer Matrix die Wunde schließen. Die Frage nach dem genauen anatomischen Ursprung und der Identität dieser Fibroblasten war bis heute nicht beantwortet. Das Team um Dr. Yuval Rinkevich, Gruppenleiter für Regenerationsbiologie am Institut für Lungenbiologie und -erkrankungen des Helmholtz Zentrums München, nahm sich dieser ungelösten Fragestellung an: Es wollte die zelluläre und anatomische Herkunft von Narben herausfinden. Die Forschenden wussten, dass alle Narben von einer Fibroblastenlinie stammen, die das Engrailed-1-Gen exprimiert, und dass diese nicht nur in der Haut, sondern auch in der Faszie vorkommt. Deshalb erforschten sie, ob tatsächlich die Faszie der Ursprung von Fibroblasten sein könnte. Sie verwendeten eine Reihe von Techniken wie das sogenannte „genetic lineage tracing“, das „anatomischen Kartieren“ und die „genetischen Ablation“. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beobachteten daraufhin, dass die Ablation von Fascia-Zellen, zu kleineren Narben führte.

Fibroblasten-Set – bereit zur Wundheilung

Das Team verwendete die Technik der sogenannten genetischen Ablation, eine Methode die in ausgesuchten Zellen zur Apoptose, dem Zelltod, führt. Dadurch wurden die Fascia-Fibroblasten ausgelöscht. Als Resultat stellten die Forscher fest, dass keine Matrix in Wunden eingearbeitet wurde und nur anormale, mit gesundheitlichen Nachteilen verbundene, Narben gebildet wurden.

Nun wollte das Team wissen, was passiert, wenn Fascia-Fibroblasten daran gehindert werden, nach oben zur Wunde wandern: Die Forschenden platzierten einen porösen Film unter die Haut und beobachteten als Folge chronisch offene Wunden. Ihre Schlussfolgerung war nun, dass die Faszie einen speziell vorgefertigten Satz so genannter Wächter-Fibroblasten enthält, der in ein bewegliches Dichtungsmaterial eingebettet ist. Dieses enthält vormontiert alle Zelltypen und Matrixkomponenten, die zur Wundheilung benötigt werden. Die Ergebnisse des Teams deuten weiterhin darauf hin, dass Charakteristika spezifischer Wunden durch manipulierte Bewegung der Faszie beeinflusst werden. Nachteilige Merkmale beispielsweise Wulstbildungen könnten durch gezieltes Eingreifen so verhindert werden.

Paradigmenwechsel bei der Wundheilung

Eine effektive Wundheilung verhindert medizinische Komplikationen. Eine universelle fibrotische Gewebereaktion verschließt Wunden und verhindert somit lebensbedrohliche Infektionen und Blutungen. Der bisherige Grundsatz der Wundheilung war, dass Narben de novo dadurch entstehen, dass Fibroblasten extrazelluläre Matrix an den Verletzungsstellen deponieren. Mit dieser Studie konnten die Forschenden nun nachweisen, dass Narben auch aus bereits vorhandenem tiefliegendem Matrixgelee gebildet werden, welches von Wächter-Fibroblasten zur offenen Wunden transportiert wird. Diese neuartigen Ergebnisse widersprechen den bisherigen Paradigmen der Wundheilung.

Neue Methoden der narbenlosen regenerativen Heilung

Das neue Wissen, dass die Faszie einer der Ursprünge von Narben ist, und die Entdeckung neuer Mechanismen der Wundheilung bieten Möglichkeiten für neuartige Therapien, um beispielsweise pathologische fibrotische Reaktionen einzudämmen und eine regenerative Heilung für verschiedenste medizinische Situationen zu induzieren.

„Die Ergebnisse geben dem Fasziengewebe eine neue Bedeutung. Die Aufmerksamkeit im Rahmen der Wundheilung wird nun nicht nur auf Fibroblasten in der Dermis, sondern auch auf den Ursprungszellen der Faszie liegen“, sagt Rinkevich.

Donovan Correa-Gallegos, Doktorand am Helmholtz Zentrum München und erster Mitautor der Studie, kommentiert weiterhin: „Unsere neuen Erkenntnisse stellen die traditionelle Sichtweise auf das körpereigene Bindegewebsmatrixsystem in Frage und re-konfigurieren es. Dies kann neue biologische Konzepte anstoßen, um weitreichende Aspekte von Narbenerkrankungen zu beleuchten.“

Weiterführende Informationen

Das Projekt wurde durch den Human Frontier Science Program Career Development Award, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Fritz-Thyssen-Stiftung (2016-01277) und einen European Research Council Consolidator Grant finanziert. Der erste Co-Autor Donovan Correa Gallegos wurde vom Consejo Nacional de Ciencia y Tecnología (CONACYT) und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) unterstützt.

Originalpublikation:
Correa-Gallegos, D. et al., 2019: Fascia is a repository of mobile scar tissue. Nature, DOI: 10.1038/s41586-019-1794-y

Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Allergien und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.500 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 19 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören.

Das Institut für Lungenbiologie (iLBD) gehört dem Comprehensive Pneumoloy Center (CPC) an, einem Zusammenschluss des Helmholtz Zentrums München mit dem Universitätsklinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München und den Asklepios Fachkliniken München-Gauting. Ziel des CPC ist die Erforschung chronischer Lungenerkrankungen, um neue diagnostische und therapeutische Strategien zu entwickeln. Das iLBD führt mit der Untersuchung zellulärer, molekularer und immunologischer Mechanismen von Lungenerkrankungen den Schwerpunkt der experimentellen Pneumologie an. Das CPC ist ein Standort des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL).