Sepsis: Bei welchen Patienten bricht das Immunsystem zusammen?
Wissenschaftler des Universitätsklinikums Heidelberg erforschen in neuem EU-Konsortium Diagnosemöglichkeiten des Immunkollaps nach Sepsis / Förderung mit insgesamt 2,5 Millionen Euro
Täglich sterben mehr als 140 Menschen in Deutschland an einer Sepsis, umgangssprachlich auch als Blutvergiftung bezeichnet. Zwei Drittel von ihnen erliegen dabei nicht den außer Kontrolle geratenen Entzündungsreaktionen im gesamten Körper, sondern den Folgen einer anschließenden Unterfunktion des Immunsystems. Welche Patienten gefährdet sind und wie man den gefährlichen Zusammenbruch des Immunsystems möglichst früh diagnostizieren kann, wollen Wissenschaftler aus Deutschland, Belgien und Österreich nun gemeinsam im Rahmen eines neuen Verbundprojekts erforschen, das von der Europäischen Union in den kommenden drei Jahren mit insgesamt 2,5 Millionen Euro gefördert wird. Eine Arbeitsgruppe der Universitätsklinik für Anästhesiologie Heidelberg unter der Leitung von Dr. Florian Uhle untersucht dazu erstmals die molekularen Mechanismen dieses bislang diagnostisch schwer greifbaren Zustandes. Ziel ist es, Marker im Blut der Patienten zu identifizieren, die für einen Frühtest herangezogen werden können. Das Heidelberger Teilprojekt wird mit insgesamt 400.000 Euro gefördert.
Der Zusammenschluss mit drei Konsortialpartner aus der Wirtschaft soll sicherstellen, dass die Ergebnisse der Heidelberger Forschungsgruppe schnell den Weg in die Intensivstationen finden. So ist das im Verbundprojekt federführende Unternehmen Diagenode, Belgien, für die Entwicklung des Testkits zuständig, die Platomics GmbH aus Österreich liefert die Software zur Auswertung der Testergebnisse, die Oncgnostic GmbH in Deutschland wird weitergehende Analysen durchführen und den Prozess wissenschaftlich begleiten.
Risikopatienten identifizieren
Die Sepsis entwickelt sich als Folge einer Infektion, wie beispielsweise einer Lungenentzündung, infizierten Verletzungen oder als Komplikation nach großen Operationen: Ausgehend vom Infektionsherd breitet sich die Immunreaktion, der Organismus gerät in einen Schockzustand, Organe versagen. Doch dieser höchst lebensbedrohliche Zustand ist dank moderner Behandlungskonzepte in der intensivmedizinischen Versorgung heute nicht mehr die Haupttodesursache bei Sepsis: So dramatisch die anfängliche Über- und Fehlfunktion des Immunsystems verlaufen kann, so leise, aber nicht weniger gefährlich ist die darauffolgende Phase, in der das Immunsystem zusammenbricht. Bei diesen Patienten treten immer neue Infektionen mit Erregern auf, die sehr typisch für ein geschwächtes Immunsystem sind. Sie müssen oft wochen- oder monatelang intensivmedizinisch versorgt werden, teilweise versagen die Antibiotikatherapien.
„Es laufen bereits erste Studien mit Therapieansätzen, die diesen Zustand durchbrechen, es fehlen allerdings noch die diagnostischen Verfahren – insbesondere um Risikopatienten zu identifizieren, bevor ihre Infektanfälligkeit durch wiederholte Krankheitsausbrüche augenscheinlich wird“, erläutert Dr. Uhle, Leiter des zentralen Forschungslabors der Anästhesiologischen Universitätsklinik Heidelberg. Im Rahmen des neuen Verbundprojekts (SEPSDIA – Development of an epigenetics-based blood test to detect immunosuppression in patients with sepsis) will er daher mit seinem Team nach sogenannten epigenetischen Markern am Erbgut von betroffenen Patienten fahnden. Es handelt sich dabei um Abweichungen der Muster, welche Bereiche der Erbinformation zugänglich und aktiv oder durch Eiweiße blockiert sind. Die Ergebnisse sollen die Basis für die Testentwicklung liefern und zudem Hinweise auf die dem Immunkollaps zugrundeliegenden Mechanismen geben.
Für die Analyse von Patientenproben nutzen die Wissenschaftler neueste Sequenziertechnik und bioinformatische Verfahren. „Wir suchen die Unterschiede zwischen Untergruppen unserer Patienten – z.B. zwischen Patienten, bei denen sich das Immunsystem regeneriert, und Patienten, bei denen es zusammenbricht. So können wir hoffentlich bald jene identifizieren, bei denen ein schwerer Verlauf mit wiederkehrenden Infektionen zu erwarten ist“, beschreibt Prof. Dr. Markus A. Weigand, Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Anästhesiologie Heidelberg, das Konzept. Bis diese Ergebnisse jedoch in gezielte Therapieentscheidungen umgesetzt werden können, wird noch etwas Zeit vergehen. „Viele Krankheitsmechanismen im Verlauf der Sepsis sind noch nicht verstanden oder schlicht noch völlig unbekannt“, räumt Uhle ein. „Aber jeder Puzzlestein bringt uns im Kampf gegen die Sepsis ein Stückchen weiter.“
Versorgung von Sepsis-Patienten und Sepsis-Forschung an der Universitätsklinik für Anästhesiologie Heidelberg
Die Versorgung kritisch kranker Patienten mit Sepsis, die ein außergewöhnlich hohes Maß an pflegerischer und ärztlicher Betreuung bedürfen ist ein besonderer Schwerpunkt der Universitätsklinik für Anästhesiologie Heidelberg. Daneben ist das Syndrom Sepsis auch ein Forschungsschwerpunkt. In vier Arbeitsgruppen der Sektion „Sepsis und Systemische Inflammation“ werden die pathophysiologischen Vorgänge, aber auch neue Biomarker und Therapieoptionen, erforscht. „Die Forschung unserer Arbeitsgruppe setzt da ein, wo die Intensivmedizin endet. Wir wollen verstehen, welche Spuren diese lebensgefährliche Immunreaktion im Körper, in den Zellen oder im Erbgut zurücklässt“, so Dr. Uhle.
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Arbeitsgruppe „Spätfolgen der Sepsis“
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Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg: Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang
Das Universitätsklinikum Heidelberg ist eines der bedeutendsten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg zählt zu den international renommierten biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung innovativer Diagnostik und Therapien sowie ihre rasche Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und engagieren sich in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 50 klinischen Fachabteilungen mit fast 2.000 Betten werden jährlich rund 65.000 Patienten vollstationär, 56.000 mal Patienten teilstationär und mehr als 1.000.000 mal Patienten ambulant behandelt. Gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum und der Deutschen Krebshilfe hat das Universitätsklinikum Heidelberg das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg etabliert, das führende onkologische Spitzenzentrum in Deutschland. Das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland. Derzeit studieren ca. 3.700 angehende Ärztinnen und Ärzte in Heidelberg.
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