Smartphone zur Augen-Diagnostik bei Frühgeborenen
Studie der Uni Bonn: Kostengünstige Methode könnte Kindern in Schwellenländern die Sehkraft retten
Ein Smartphone-Adapter mit Speziallinse eignet sich gut zur telemedizinischen Diagnose gefährlicher Netzhauterkrankungen, wie sie häufig bei Frühgeborenen auftreten. Das zeigt eine aktuelle Studie der Universität Bonn, die nun in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ erschienen ist. Die Methode ist deutlich kostengünstiger als konventionelle telemedizinische Ansätze. Insbesondere in Schwellenländern könnte sie sich daher für Screening-Untersuchungen eignen. Wird die sogenannte Frühgeborenen-Retinopathie nicht rechtzeitig erkannt, kann sie zur Erblindung führen.
Bei Frühgeborenen ist die Gefäßbildung in der Netzhaut noch nicht abgeschlossen. Das kann dazu führen, dass die kleinen Äderchen, die diese lichtempfindliche Schicht mit Blut versorgen, nach der Geburt zu stark zu wuchern beginnen. Verstärkt wird dieser Effekt noch durch die Gabe von Sauerstoff – eine Maßnahme, die bei Frühchen manchmal ergriffen werden muss, wenn ihre Lungen noch nicht ausgereift sind. Da die medizinische Versorgung und damit die Überlebenschancen von Frühgeborenen immer besser werden, tritt die Frühgeborenen-Retinopathie zunehmend häufiger auf.
Ohne rechtzeitige Behandlung können die wuchernden Gefäße eine Netzhautablösung verursachen, die in schweren Fällen zur irreversiblen Erblindung führen kann. In westlichen Industrieländern untersuchen Ärzte daher regelmäßig den Augenhintergrund der Frühchen, bis die Gefäßbildung abgeschlossen ist. Sie können auf diese Weise Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen und zum Beispiel durch Medikamenteninjektionen oder eine Laserbehandlung bekämpfen.
Allerdings erfordert dieses Screening genügend Augenärzte, was in Schwellenländern oft nicht gegeben ist. Daher ist die Frühgeborenen-Retinopathie gerade in Ländern wie Brasilien, Indien oder China auf dem Vormarsch. „Man spricht inzwischen von einer wahren ‚Epidemie‘ – auch wenn dieser Begriff sonst nur bei Infektionskrankheiten verwendet wird“, erklärt Dr. Maximilian Wintergerst von der Abteilung für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Bonn. „Die medizinische Versorgung ist dort einerseits so gut, dass viele Frühchen überleben. Andererseits fehlt es an Mitteln, die Netzhautentwicklung der Frühgeborenen genügend engmaschig zu untersuchen.“
Dem Ärztemangel versucht man heute durch telemedizinische Ansätze zu begegnen. Dabei wird die Untersuchung durch geschultes nicht-ärztliches Personal wie zum Beispiel Krankenschwestern oder -pfleger vorgenommen. Die Bilder, die von der Netzhaut gemacht werden, werden dann über das Internet zur Begutachtung an den Augenarzt geschickt. Doch das entscheidende Problem ist, dass die Kosten für aktuell zur Netzhaut-Bildgebung bei Frühgeborenen verfügbare Geräte hoch sind und von Kliniken in Schwellenländern oftmals nicht erbracht werden können.
Preisgünstig und transportabel
Die Bonner Augenärzte haben daher ein neues diagnostisches Instrument getestet, das weniger als 1000 Euro kostet. Dabei handelt es sich um einen Adapter mit Speziallinse, der an einem handelsüblichen Smartphone befestigt wird. Die Aufnahme der Netzhautbilder erfolgt über die Handy-Kamera. „Unsere Studie zeigt, dass die Qualität damit angefertigter Aufnahmen hervorragend ist“, erklärt Prof. Dr. Tim Krohne, der die Frühgeborenenambulanz der Bonner Universitäts-Augenklinik leitet. „Die Bildauflösung ist konventionellen Geräten mindestens gleichwertig, und die Transportabilität des Geräts ist ein wichtiger Vorteil.“
Bei der konventionellen Methode wird eine mit einem Gel benetzte Kameralinse direkt auf das Auge gesetzt. Auf diese Weise kann bereits mit einem einzigen Bild ein großer Teil Netzhaut sichtbar gemacht werden. Bei dem Smartphone-basierten-Ansatz erfolgt die Aufnahme dagegen berührungslos – die Lupe ist wenige Zentimeter vom Auge entfernt. Daher ist der abgebildete Netzhaut-Ausschnitt kleiner, und es müssen mehrere Einzelaufnahmen angefertigt werden, um die gesamte Netzhaut zu erfassen. Dadurch dauert die Untersuchung etwa um die Hälfte länger als mit konventionellen Geräten.
Zwei voneinander unabhängige Experten werteten in der Studie Aufnahmen von 26 Augen aus. Für jedes untersuchte Auge waren zwei Sätze von Bildern angefertigt worden – einmal mit der konventionellen und einmal mit der Smartphone-Methode. Die Bilder wurden gemischt, so dass für die Experten nicht ersichtlich war, von welchem Auge sie jeweils stammten. Bei diesem Vergleich erzielten beide Ansätze eine vergleichbare Diagnose-Genauigkeit. „Die neue Methode könnte also für den telemedizinischen Einsatz geeignet sein“, betont Wintergerst.
Da die Aufnahmen mittels Smartphone erfolgen, lassen sie sich die Bilder unkompliziert zur telemedizinischen Beurteilung an spezialisierte Augenärzte verschicken. Darüber hinaus werden aktuell bereits Smartphone-Apps erprobt, die mittels künstlicher Intelligenz eine Vorauswertung von Netzhaut-Aufnahmen hinsichtlich einer Frühgeborenen-Retinopathie durchführen. Wintergerst und seine Kollegen haben auch schon bei anderen Augenerkrankungen gute Erfahrungen mit der Untersuchung per Smartphone gemacht: So nutzen sie die Methode seit zwei Jahren mit großem Erfolg in mehreren Projekten im indischen Bangalore, um diabetes-bedingte Netzhautschäden zu detektieren.
Publikation: Maximilian W. M. Wintergerst, M.D., Michael Petrak, M.D., Jeany Q. Li, M.D., Petra P. Larsen, M.D., Moritz Berger, Ph.D., Frank G. Holz, M.D., Robert P. Finger, M.D., Ph.D., Tim U. Krohne, M.D.: Non-contact smartphone-based fundus imaging compared to conventional fundus imaging: a low-cost alternative for retinopathy of prematurity screening and documentation; Scientific Reports; DOI: 10.1038/s41598-019-56155-x