Postitionspapier der Deutschen Gesellschaft für Urologie zum Vorbericht: Prostatakrebsscreening mittels PSA-Test (S19-01) des IQWiG
Berlin. In einem Vorbericht des Gutachtens zur Nutzenbewertung des Prostatakarzinomscreenings mittels PSA-Test durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wird geschlussfolgert, dass die Nachteile die Vorteile eines PSA-Screenings deutlich überwiegen.
Zur Bewertung der o.g. Fragestellung wurden eine systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse basierend auf randomisiert-kontrollierten Studien durch das IQWiG durchgeführt. Als Endpunkte wurden die Gesamtmortalität (4 Studien), die prostatakarzinomspezifische Mortalität (10 Studien), die Diagnose metastasierter Prostatakarzinome (4 Studien), unerwünschte Ereignisse (0 Studien), Konsequenzen der Überdiagnosen (10 Studien), Konsequenzen der falsch positiven Diagnosen (6 Studien), Konsequenzen der falsch negativen Diagnosen (0 Studien) sowie die gesundheitsbezogene Lebensqualität (0 Studien) berücksichtigt.
Verwendbare Daten standen für drei randomisierte kontrollierte Studien zur Verfügung, namentlich die ERSPC- (unter separater Berücksichtigung der Länderspezifischen Einzelstudien), die PLCO- und die Stockholm-Studie. Für die Quebec-Studie wurden zwar Daten zur prostatakarzinomspezifischen Mortalität berichtet, diese waren aber nicht im Rahmen der quantitativen Analyse verwertbar.
Ergebnisse
Hinsichtlich der Gesamtmortalität zeigten sich keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen (PSA-Screening vs. kein Screening).
In Bezug auf das prostatakarzinomspezifische Überleben als auch auf die Diagnosen metastasierter Prostatakarzinome (IDQ [KI]: 0,67 [0,58; 0,78]) zeigte sich ein Vorteil für das PSA-Screening. Genau dieses ist aber für den Patienten von großer Bedeutung. Ein Leben mit symptomatischen Metastasen und dauerhafter Systemtherapie auch mit Chemotherapien wird von den meisten Männern nicht angestrebt.
Das Überdiagnoserisiko wurde für einen PSA Cut-off von unter 4 ng/ml mit 3,5% (KI:1,3-5,6%) bis 6% (KI:5,4-6,6%) bzw. für einen PSA Cut-off über 4 ng/ml (sowie in Deutschland) oder höher mit 0,7% (KI:0,3-1,2%) bis 1,6% (KI:1,1-2,2%) beziffert.
Weiterhin hatten 4-9% der Screeningteilnehmer einen falsch-positiven Screeningbefund bei einem PSA Cut-off von über 4 ng/ml. Im Rahmen einer Biopsie ergab sich eine Gesamtkomplikationsrate von 2%, wobei die Mortalität bei 0% lag.
Keine Aussage war bzgl. der gesundheitsbezogenen Lebensqualität, unerwünschten Ereignissen oder den Konsequenzen von falsch-negativen Screeningbefunden möglich, da hierzu überhaupt keine Daten zur Verfügung stehen.
Kritische Bewertung
Da bzgl. des Gesamtüberlebens kein Effekt in eine Richtung nachweisbar war, sich jedoch Vorteile des PSA-Screenings hinsichtlich des prostatakarzinomspezifischen Überlebens und der Diagnose metastasierter Erkrankungen gezeigt haben, spiegelt die Schlussfolgerung des Vorberichts („das PSA-Screening schadet mehr als das es nützt“) die Datenlage nicht adäquat wieder.
Das Risiko von Überdiagnosen betrifft in Deutschland bei einem PSA-Cut Off Wert von 4ng/einen geringen Anteil der Patienten von 0,7-1,6%. Potentiell negative Folgen wie Ängste oder zusätzliche Untersuchungen werden in der Diskussion des IQWiG genannt, aber nicht mithilfe von Daten quantifiziert bzw. objektiviert. So gibt es bspw. für den Endpunkt gesundheitsbezogene Lebensqualität überhaupt keine randomisierten zur Verfügung stehenden Daten. Dennoch wird die vermeintlich eingeschränkte Lebensqualität mehrfach als Argument gegen ein PSA-Screening angeführt. Außerdem werden die Daten der ERSPC-Studie aus Finnland nicht berücksichtigt, die gezeigt haben, dass psychische Belastung sowie Lebensqualität nach einer Biopsie ohne Krebsnachweis gleich sind wie bei den Patienten ohne Gewebeprobe.
In diesem Zusammenhang ist der im Bericht verwendete Begriff „falsch-positiv“ insbesondere für Patienten irreführend, da ein PSA-Wert größer 4ng/ml kein Beweis für ein Prostatakarzinom ist. Die PSA-Werte und deren Bedeutung müssen ohnehin mit dem behandelnden Urologen ausführlich diskutiert und durch weitere Untersuchungen wie die digital-rektale-Untersuchung und ggf. mit einem multiparametrischen MRT der Prostata ergänzt werden. Weiterhin wird vernachlässigt, dass nicht die absolute Betrachtung des PSA-Wertes im klinischen Alltag von Bedeutung ist, sondern Parameter wie die PSA-Geschwindigkeit oder verschiede PSA-Quotienten weitere nützliche Hinweise auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms geben können. Dies findet sich entsprechend auch in der S3-Leitlinie zum Prostatakarzinom wieder. „Diejenigen Männer, die von sich aus nach einer Früherkennung fragen, sollen ergebnisoffen über die Vor- und Nachteile aufgeklärt werden. Dabei sollen der mögliche Nutzen wie auch die Risiken (Überdiagnose und Übertherapie) in natürlichen Zahlen und auch grafisch dargestellt werden.“ Weiterhin wird für ältere Patientengruppen (>70 Jahre), die einen niedrigen PSA-Wert aufweisen ohnehin keine weitere PSA-Testung empfohlen.
Vergleichend zu anderen Meta-Analysen ist in dem Bericht v.a. die Zahl der Überdiagnosen erhöht. Dies wird zum einem damit begründet, das die ERSPC-Studien separat nach Land aufgeschlüsselt berücksichtigt werden, zum anderen durch das Ausschließen der CAP-Studie. Hier muss hinterfragt werden, ob das Ausschließen dieser aktuellen und größten verfügbaren Studie adäquat ist.
Fazit
Die vom IQWiG präsentierten Ergebnisse und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen sind nicht kongruent und werden von der Datenlage nicht unterstützt. Zudem werden weitere alltäglich diagnostische Verfahren in der Interpretation vernachlässigt, die in Deutschland routinemäßig für eine optimierte Diagnosestellung zum Einsatz kommen. Die Deutsche Gesellschaft für Urologie nimmt diesen Vorentwurf des IQWiG und die daraus resultierte Vermengung von individualisierter Früherkennung und populationsbasiertem PSA-Screening in der Presse mit Bedauern zu Kenntnis. Hierdurch besteht die Gefahr, dass Männer Früherkennungsuntersuchungen vermeiden und in der Konsequenz langjährige Belastungen durch Metastasen, lokale Symptome und Behandlungsfolgen durch Chemotherapien sowie die Mortalität zukünftig stark zunehmen.
Im Rahmen des Stellungnahmeverfahrens wird die DGU eine ausführliche Stellungnahme beim IQWiG einreichen, verbunden mit der Erwartung, dass in dem Abschlussbericht des IQWiG eine klare Darstellung des Nutzens einer individualisierten Prostatakarzinomfrüherkennung insbesondere in Hinblick auf die Reduktion des prostatakarzinomspezifischen Sterbens und die Reduktion des Auftretens von Metastasen und schwerwiegender Systemtherapien als Schlussfolgerung enthalten sein wird.
Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Jens Rassweiler
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie
Univ-Prof. Dr. med. Maurice-Stephan Michel
Generalsekretär der Deutschen Gesellschaftfür Urologie