Hilfe zum Leben statt Hilfe zum Sterben
Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) für verfassungswidrig erklärt. Dabei betont es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, welches auch die Freiheit umfasst, beim Suizid Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die MedWissPN sieht das Urteil in seiner Konsequenz für Ärzte und Psychiater kritisch. Ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung wirft vielfältige ethische Probleme auf, auch sollten psychiatrische Gutachten niemals über Leben und Tod entscheiden. Eine Instrumentalisierung von Ärzten in diesen Fragen ist aus Sicht der Fachgesellschaft entschieden abzulehnen. Ärzte sind dem Erhalt des Lebens verpflichtet.
Das gestrige Urteil in Karlsruhe wird nach Auffassung der MedWissPN für Ärzte und Psychiater weitreichende Konsequenzen haben. Insbesondere Psychiatern droht in Fragen der Suizidbeihilfe aus Sicht der Fachgesellschaft, eine neue Rolle zuzukommen. Als Gutachter werden sie absehbar darüber entscheiden müssen, inwieweit die Selbstbestimmungsfähigkeit und der freie, uneingeschränkte Wille eines Menschen in Hinblick auf seinen Sterbewunsch gegeben ist. Diesen Rollenwechsel hält die MedWissPN für inakzeptabel. Psychiater laufen Gefahr, in ihrer außerordentlichen Vertrauensposition gegenüber den Menschen als Fürsprecher oder Gegner ihres Sterbewunsches instrumentalisiert zu werden. Psychiatrische Expertise darf aber nicht für oder gegen das Leben entscheiden. Der Gesetzgeber ist angehalten, das Recht entsprechend umsichtig zu regulieren.
Suizide finden inmitten der Gesellschaft statt. Mit Sorge sieht die MedWissPN die wachsende Tendenz zu immer mehr Leistungsdruck und Selbstoptimierung in unserer Gesellschaft. Sozialer Druck darf niemals dazu führen, dass eine schwerkranke Person sich genötigt fühlt, ihr Leben zu beenden, nur um niemandem „zur Last“ zu fallen. Aus Sicht der Fachgesellschaft muss es ein gesellschaftliches Umdenken geben. Aufgabe und Ziel einer modernen Gesellschaft muss es sein, Menschen in Notlagen abzuholen und ihren Lebensmut zu stärken. Es liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen, mit Achtung, Fürsorge und Zuwendung auf alte, kranke und geschwächte Mitmenschen zuzugehen und Wege der Selbsthilfe zu ebnen.
Rund 10.000 Menschen sterben jährlich in Deutschland an einem Suizid, weit über 100.000 Suizidversuche werden im gleichen Zeitraum geschätzt. Laut aktueller Suizidforschung stehen 90 Prozent aller Suizide in unmittelbaren Zusammenhang mit Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen. Diese können auch die Einsichtsfähigkeit beeinträchtigen. Damit betrifft das Thema Sterbehilfe in besonderem Maße die Psychiatrie und Psychotherapie. Aus psychiatrischer Sicht muss der Schwerpunkt auf Suizidprävention und dem Kampf um das Leben jedes einzelnen Menschen liegen. Mit ihren vielfältigen Therapien und Interventionsmöglichkeiten bieten Psychiatrie und Psychotherapie Hilfe zum selbstbestimmten Leben. Den betroffenen Personen angemessene Versorgungsangebote bereitzustellen sowie Rahmenbedingungen für ein würdevolles Lebensende zu schaffen, ist ebenfalls Hilfe zum Leben. An erster Stelle sind hier die Möglichkeiten der Palliativmedizin zu berücksichtigen, Schmerzen zu lindern. Auch Wissen über psychische Erkrankungen zu verbreiten, Vorurteile abzubauen und ihrer Stigmatisierung entgegenzuwirken, kann dauerhaft dazu beitragen, die Suizidrate zu senken.
Die MedWissPN betont: Beihilfe zur Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe.
Lesen Sie dazu auch die Stellungnahme aus 2015