Endlich eine Chance auf ein besseres Sehen
Ärzte helfen junger Frau mit erster zugelassener Gentherapie in der Augenheilkunde am Universitätsklinikum Bonn
Schon als Kind litt Jana D. gerade in der Dämmerung unter gravierenden Sehproblemen – ausgelöst durch eine frühkindliche Netzhautdystrophie. Mutationen im RPE65-Gen bedingen dabei einen Untergang der Netzhaut. Hilfe fand die 23-jährige am Universitätsklinikum Bonn, eines von deutschlandweit vier ausgewiesenen Zentren, an denen die erste zugelassene Gentherapie zur Behandlung dieser seltenen Erkrankung angeboten wird. Erstmals in NRW führten die dortigen Augenärzte kürzlich die neue gentherapeutische Behandlung mittels eines mikrochirurgischen Eingriffs mit dem Wirkstoff Voretigen Neparvovec durch. Ihre Patientin Jana D. ist nach dem Eingriff wohlauf.
Frühkindliche Netzhautdystrophien beginnen typischerweise bereits im frühen Kindes- oder Teenageralter mit einer extrem ausgeprägten Nachtblindheit, die zur vollständigen Erblindung führen kann. So bemerkten Janas Eltern schon im Krabbelalter die Sehprobleme ihres Kindes. Doch trotz einer Ärzte-Odyssee gab es nur die Auskunft, sie müsse damit leben. „Einschränkungen gab es für mich genug – gerade in meiner Jugend. Aber ich habe immer einen Weg gefunden, damit klar zu kommen“, sagt Jana D. Im Alter von 17 Jahren hatte sie nach neuen, sehr detaillierten Untersuchungen endlich eine Diagnose: Retinitis pigmentosa: „Als dann im letzten Jahr die neue Gentherapie für Europa zu gelassen wurde, haben mich meine Eltern sofort darauf aufmerksam gemacht.“
Defektes Gen blockiert Sehzyklus
„Erstmals konnten wir Jana D. überhaupt eine Behandlungsoption für ihr erblich bedingtes Augenleiden anbieten“, sagt Prof. Dr. Frank Holz, Direktor der Augenklinik am Universitätsklinikum Bonn. Die Gentherapie mit dem Wirkstoff Voretigen Neparvovec ist nur bei Betroffenen indiziert, deren erbliche Netzhautdystrophie durch Mutationen im RPE65-Gen verursacht wird. Das Gen ist für die Regeneration des Sehpigments unerlässlich. Ist es defekt, werden Lichtreize nicht mehr zu einem Seheindruck verarbeitet. Dies führt zu Nachtblindheit, einer zunehmenden Verengung des Blickfeldes und auch zu einer Beeinträchtigung der Sehschärfe im Hellen.
Intaktes Gen wird ins Auge eingebracht
Mittels Gentherapie wird eine korrekte Variante des RPE65-Gens in die Netzhaut transportiert, um so weitere Schäden des Gewebes zu stoppen. „Dazu müssen, wie bei unserer Patientin, aber genügend lebensfähige Netzhautzellen vorhanden sein, das heißt die Gentherapie kann nicht bei einer bereits bestehenden vollständigen Blindheit erfolgen“, sagt Prof. Holz. „Es wird aktuell davon ausgegangen, dass Photorezeptoren, deren Funktion wiederhergestellt wurde, nicht weiter degenerieren.“
Die Gentherapie wird in spezialisierten Zentren durchgeführt, die umfangreiche Erfahrungen mit den dafür notwendigen chirurgischen Verfahren und die entsprechende Ausstattung haben. Dies sind in Deutschland aktuell die Universitäts-Augenkliniken in Bonn, Gießen, München und Tübingen. Jetzt hat das Team um Prof. Holz am Bonner Universitätsklinikum im Rahmen einer sogenannten pars-plana Vitrektomie in Vollnarkose den Wirkstoff Voretigen Neparvovec im rechten Auge von Jana D. unter die Netzhaut appliziert. Dabei hat der Operateur den Glaskörper, eine gelartige Substanz, entfernt, um einen freien Zugang zur Netzhaut zu haben. Mit einer hauchdünnen Injektionskanüle wurde dann das in einem Trägermaterial gelöste Gentherapeutikum unter die Netzhaut gespritzt. Die anschließende Lufttamponade stabilisiert das Auge einige Tage, bis die Luft von körpereigener Flüssigkeit ersetzt wird. Der gesamte Eingriff erfolgt über ein stereoskopisches Operationsmikroskop.
Erblindung verhindern und Sehfunktion verbessern
„Wir wollen mit der Gentherapie eine Erblindung unserer jungen Patientin verhindern und ihre Lebensqualität steigern“, sagt Dr. Philipp Herrmann, Oberarzt der Bonner Universitäts-Augenklinik. In der Zulassungsstudie hat sich das Sehvermögen der Patienten in einem Zeitraum von zwei bis sechs Monaten nach dem Eingriff verbessert, unter anderem bezüglich ihrer Orientierung und Mobilität bei schlechten Sichtverhältnissen. „Wie lang der Effekt der Therapie anhält, müssen wir abwarten. Doch konnte er zum Teil auch noch nach fünf Jahren nachgewiesen werden“, sagt Dr. Herrmann. Derzeit sieht Jana D. aufgrund der Lufttamponade zwar noch etwas verschwommen, aber sie ist guter Dinge: „Mir war direkt klar, es mit der neuen Gentherapie versuchen zu wollen. Denn meine Sehfähigkeit wird immer schlechter und ich bin ja noch jung. Ich glaube fest daran, dass sich etwas verbessert und zwar auch langfristig.“