Corona-Pandemie: Was tun gegen den Budenkoller?

Quarantäne und Kontaktverbot: Die Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus sind für viele Menschen ein Härtetest. Was kann man tun, wenn Aggressionen oder Ängste aufkommen? Wie lassen sich Vereinsamung oder Familienkonflikte möglichst vermeiden? Lisa Esser, Psychologin bei der AOK Sachsen-Anhalt, erläutert, wie sich die Tage in den eigenen vier Wänden positiv gestalten lassen und worin auch Chancen liegen.

11. April 2020 / Magdeburg – Das Haus nicht ohne triftigen Grund verlassen – in den ersten Tagen fühlt sich das womöglich wie Wochenende an. Es kann aber auch schnell nervig werden, zu Hause isoliert zu sein, mit der Familie oder ganz allein. Vor allem, wenn man in Quarantäne muss und gar nicht mehr raus darf.

„Weil Ablenkungen, Strukturen und persönliche Kontakte wegfallen, sind Kontaktsperre oder Quarantäne sicherlich für die meisten Menschen ein Härtetest – mit Gefahren für das psychische Wohlergehen und den familiären Frieden“, sagt Psychologin Esser. Doch die AOK-Expertin betont zugleich: „Die Isolierung in den eigenen vier Wänden kann als Gefängnis erlebt werden oder aber auch als Chance. Als Chance, weil ich mehr Zeit habe für mich, für die Beziehung oder für die Familie.“

Wenn einem die Decke auf den Kopf fällt

In den eigenen vier Wänden kann einem schnell die Decke auf den Kopf fallen. Einsamkeit oder Langeweile machen sich breit, Familienmitglieder gehen sich auf die Nerven. „Hinzu kommen die Ängste vor dem Virus, Angst um Angehörige oder auch Sorgen um die wirtschaftliche Existenz“, hebt AOK-Psychologin Esser hervor.

Ein deutsch-chinesisches Projekt im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung fand heraus, dass der Hausarrest zum Beispiel Angstzustände, depressive Symptome oder Schlafprobleme hervorrufen kann. Ausgewertet wurden dabei über 2.000 Anrufe bei einer chinesischen Hotline.

Den Tag strukturieren

Was also tun gegen den „Budenkoller“? „Wichtig ist ein strukturierter Tagesablauf mit festen Aufsteh- und Schlafenszeiten, Arbeitszeiten, Pausen und Mahlzeiten“, sagt Psychologin Esser. „Denn feste Tagesstrukturen helfen, Ausnahmesituationen zu überstehen.“ Jeden Tag ausschlafen, im Pyjama frühstücken und Filme gucken bis spät in die Nacht, das tue hingegen gar nicht gut.

In der Familie sollten Zeiten, in denen jeder – einschließlich der Kinder – für sich beschäftigt ist, mit Zeiten abwechseln, in denen man gemeinsam isst oder spielt oder anderes zusammen macht. Hilfreich sind dabei auch feste Arbeitsplätze, an denen Vater, Mutter oder Kind in Ruhe gelassen werden, um zu lesen, zu arbeiten, Hausaufgaben zu machen oder auch sich mit anderen über den Bildschirm auszutauschen.

Workout drinnen und draußen

Zur Tagesstruktur gehört auch regelmäßige körperliche Aktivität: Also zum Beispiel ein kleines Workout morgens vor dem offenen Fenster. Im Homeoffice den Wecker stellen und regelmäßig fünf Minuten Gymnastik einbauen oder Yoga-Übungen am Abend mit Youtube. Viele Anbieter haben auf Online-Kurse umgestellt. Solange keine Ausgangssperre oder Quarantäne verhängt wird, ist frische Luft schnappen erlaubt – alleine oder mit Familienmitgliedern, die im Haushalt wohnen. Das sollte man ausnutzen! „Sich täglich draußen bewegen, das hebt die Stimmung, hält körperlich fit und stärkt zudem das Immunsystem“, hebt Esser hervor.

Was wollte ich schon immer mal machen?

Für viele Menschen bedeutet eine häusliche Isolierung auch, plötzlich mehr Zeit zu haben. „Entwerfen Sie einen Plan, was sie sowieso erledigen müssen, wie Frühjahrsputz, aufräumen, Papiere sortieren“, sagt Psychologin Esser. Zweite Frage, die sich jeder stellen kann: „Was wollte ich schon immer mal machen? Wonach habe ich mich die letzten Wochen gesehnt, konnte es aber aufgrund des Alltagsstresses nicht umsetzen?“ Dazu gehört zum Beispiel: Malen, lesen, Musik hören, meditieren, neue Rezepte ausprobieren, Bücher aussortieren, Spiele spielen, sich gegenseitig vorlesen, sich massieren oder einfach nur: miteinander ins Gespräch kommen.

Vielleicht ist Zeit und Muße für tiefere Gespräche und mehr Nachdenken: Was ist mir, was ist uns wichtig? Wie will ich leben? Welche Gewohnheiten möchte ich über Bord werfen? Welche mir aneignen? „In einer Ausnahmesituation ist es allerdings manchmal besser, heikle Themen und Probleme erst einmal auszusparen, bis sich die Situation wieder normalisiert hat“, rät Psychologin Esser. „Denn bei einer erzwungenen Nähe können Konfliktgespräche schnell auch mal eskalieren.“

Der Vereinsamung trotzen

Besonders schwierig wird es für alleinlebende Menschen, die sich in einer psychischen Krise oder in einer Trauerphase befinden oder sich sowieso einsam fühlen. „Für sie kann neben einem detaillierten Tages- und Wochenplan der schriftliche, telefonische oder digitale Kontakt zu anderen Menschen besonders wichtig sein“, so die Psychologin. Warum nicht sich mit einer Freundin auf einen Videocall verabreden und dabei einen Kaffee trinken. Oder sich mit der Sportgruppe zum Skypen verabreden. Social Media, E-Mails oder ganz traditionell ein Brief können ebenfalls helfen, sich verbunden zu fühlen.

Informationen und Hilfsangebote nutzen

Nicht zuletzt gibt es zahlreiche Hilfsangebote bei psychischen oder familiären Problemen. Die Telefonseelsorge ist unter der 0800 1110111 oder 0800 1110222 erreichbar. Das deutschlandweite Info-Telefon Depression der Stiftung Deutsche Depressionshilfe ist unter der 0800 3344533 erreichbar.

Eine Übersicht von Telefon- und Online-Angeboten gibt es auf den Seiten des Ministeriums für Arbeit und Soziales von Sachsen-Anhalt unter: https://ms.sachsen-anhalt.de/themen/gesundheit/aktuell/coronavirus/allgemeine-informationen-zum-coronavirus/bundesweiten-beratungsangebote/