Corona stellt Sucht-Selbsthilfe vor große Probleme
Die Corona-Kontaktsperre verhindert die reguläre Gruppenarbeit der Sucht-Selbsthilfe-Partner des Uniklinikums Würzburg. Derzeit arbeiten alle Beteiligten mit Hochdruck daran, alternative Wege bei der Kommunikation und Unterstützung der Suchtkranken zu gehen.
„Die Kontaktbeschränkungen wegen des Coronavirus haben die Arbeit der mit dem Uniklinikum Würzburg kooperierenden Selbsthilfegruppen massiv erschwert, da persönliche Treffen vielfach von zentraler Bedeutung sind“, berichtet Gabriele Nelkenstock. Die externe Selbsthilfebeauftragte des Klinikums fährt fort: „Speziell die Suchthilfe steht aktuell vor besonders großen Herausforderungen“.
Kontaktsperre: Ein ideales Umfeld für Suchtmittelmissbrauch
Eine bundesweit agierende Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft für Alkohol- und Medikamentenabhängige ist der zum Deutschen Caritas-Verband gehörende Kreuzbund. In der Region Würzburg arbeitet der Kreuzbund eng mit der Würzburger Suchtselbsthilfegemeinschaft Phönix zusammen. Armin Reuther, der Leiter der Kreuzbundgruppe Kitzingen 1, findet deutliche Worte für die derzeitige Situation: „Die Corona-Pandemie schafft ein ideales Umfeld für Suchtmittelmissbrauch: Angst vor dem Unbekannten, fehlende Unterstützung, Isolation, finanzielle Unsicherheit und Langeweile begünstigen den Griff zum Suchtmittel.“ Die zum Infektionsschutz erlassene Kontaktsperre zwinge die Menschen dazu, mehr als sonst zu Hause zu bleiben. Die Gefahr für Suchtkranke, in alte Muster zu verfallen, sei gewaltig.
Auch Manfred Marold, der Leiter der Kreuzbundgruppe Lohr 1, macht sich große Sorgen über die Effekte des mangelnden Kontakts: „Über Jahre mit großem Engagement aufgebaute, gesundheitlich wirksame Strukturen, wie Gruppen-Gesprächsabende, Selbsthilfeinformationsdienste, Fortbildungen und gesellige Veranstaltungen müssen derzeit leider unterbleiben. Dabei sind gerade die Gruppengespräche ein unverzichtbarer Beitrag für das Gelingen unseres Alltags.“ Jeder Gruppenabend bedeute eine Kräftigung und Hilfestellung für die nächsten Tage und trage zur persönlichen Stabilisierung in der Suchterkrankung bei. Einige seiner Gruppenmitglieder haben nach seinen Worten sonst kaum soziale Kontakte. Für sie seien die nun fehlenden Treffen ein echter Verlust mit steigender Rückfallgefahr. Auch langfristige Folgen der Unterbrechung der Gruppenarbeit sind nach seinen Worten denkbar. „So mancher wird nach der längeren Pause, wie sie sich jetzt abzeichnet, vielleicht keine Motivation mehr haben, sich in einer Gruppe Hilfe zu suchen“, befürchtet Marold.
Ziel: Sichere virtuelle Räume schaffen
Welche Auswege aus der Misere gibt es? „Während der Corona-Krise ist die Selbsthilfe aufgefordert, den Kontakt zu den Gruppenmitgliedern in anderen Formen zu leben“, betont Susanne Wundling. Die pädagogische Mitarbeiterin des Aktivbüros der Stadt Würzburg berichtet: „Die Selbsthilfegruppen haben begonnen, Telefonketten zu bilden oder sich in Video- und Telefonkonferenzen zu treffen.“ Allerdings sei es trotz der Krisensituation wichtig, den Datenschutz nicht aus den Augen zu verlieren. „Das Aktivbüro der Stadt Würzburg und andere Selbsthilfekontaktstellen entwickeln deshalb momentan mit Nachdruck sichere virtuelle Räume, in welche die Gruppen ihre Treffen verlagern können“, schildert Wundling. Nach ihren Angaben werden in Kürze die ersten Onlinetreffpunkte zur Verfügung stehen.
Verstärkte Nutzung von Telefon und Sozialen Medien
Unabhängig davon haben sich auch die Suchthilfe-Gruppen der Region zwischenzeitlich schon um Lösungen bemüht. „Zwischen den Gruppenmitgliedern finden verstärkt Kontakte per Telefon und Sozialen Medien statt“, berichtet Armin Reuther. Darüber hinaus verweist er auf den deutschlandweiten Kreuzbund-Chat Sucht-Selbsthilfe unter www.kreuzbund.de. „Diese seit Anfang dieses Jahres existierende Austauschplattform wird von Suchtkranken oder deren Angehörigen moderiert, die über Gruppenerfahrungen in der Sucht-Selbsthilfe des Kreuzbundes verfügen“, schildert der Kitzinger Gruppenleiter. Manfred Marold empfiehlt ferner die „Mutmach-Börse“ der Selbsthilfekoordinationsstelle Bayern. Das Online-Angebot unter www.seko-byern.de will Anlaufstellen und kreative Möglichkeiten aufzeigen, die dabei helfen, Kontakte aufrechtzuerhalten, Netzwerke zu knüpfen und in dieser Zeit nicht die Hoffnung zu verlieren.
„Diese Kommunikationsmöglichkeiten können vielleicht dazu beitragen, die gruppenlose Zeit zu überbrücken und die negativen Folgen abzumildern“, hofft Manfred Marold und fährt fort: „Sollte es zu einem Rückfall kommen, steht uns leider nur die Möglichkeit von Telefonaten mit den Betroffenen selbst und deren Angehörigen zur Verfügung. Da wir eng mit den psychosozialen Beratungsstellen der Caritas und Suchthilfekliniken zusammenarbeiten, können wir weiterhin mithelfen, eine professionelle Hilfe zu organisieren.“
UKW: Erster digitaler Qualitätszirkel der Selbsthilfe
Am Uniklinikum Würzburg (UKW) sieht man die Herausforderungen der Pandemie auch als Chance, die Services der Selbsthilfe weiterzuentwickeln. „Als ‚Selbsthilfefreundliches Krankenhaus‘ versuchen wir – gemeinsam mit unseren Partnern und den Selbsthilfegruppen – jetzt verstärkt digitale Angebote zu erarbeiten“, sagt Gabriele Nelkenstock und ergänzt: „Auch nach der Coronakrise wollen wir diese Projekte weiter ausbauen. Ob zur Vernetzung über große Entfernungen hinweg, zur Kommunikation in Chats und Foren oder zur Verbesserung des eigenen Krankheitsmanagements – es ist richtig und wichtig, dass wir diese Chance auch langfristig nutzen.“ Als erstes Ergebnis dieser Bemühungen findet der nächste Selbsthilfe-Qualitätszirkel des UKW am 25. April 2020 als Videokonferenz statt. „Da die dafür erforderliche Software auf dem Server des Uniklinikums liegt, sind wir auch im Bereich des Datenschutzes auf der sicheren Seite“, unterstreicht die externe Selbsthilfebeauftragte des UKW.