Coronakrise bringt nur kurz saubere Luft

Durch den Kampf gegen die Verbreitung des Coronavirus ist die Verkehrsbelastung deutlich zurückgegangen. Dadurch hat sich auch die Qualität der Atemluft verbessert, wie Messungen zeigen. Einen nachhaltigen Effekt sollte man sich aber nicht erwarten, sagt Wilfried Winiwarter, Klimaforscher an der ÖAW.

Der Lockdown und das Schließen von Grenzen im Zuge der Coronapandemie haben den privaten Autoverkehr massiv reduziert und den Flugverkehr fast zum Erliegen gebracht. Kurzfristig ist damit die Schadstoffbelastung der Luft gesunken. Besonders durch den geringeren Autoverkehr wurden weniger gesundheits- und klimaschädliche Stickstoffdioxide ausgestoßen.

Was man als eine der wenigen positiven Nebenwirkungen der Coronakrise betrachten könnte, wird aber nur von kurzfristiger Wirkung sein: „ Die Verkehrsrückgänge werden nicht einmal im Jahresschnitt wirklich relevant sein“, sagt Wilfried Winiwarter, stellvertretender Obmann der Kommission Klima und Luftqualität der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). „ Sobald der Verkehr wieder rollt, werden die Werte wieder steigen“.

Wie hat sich die Krise auf die Luftqualität ausgewirkt?

Wilfried Winiwarter: Das können wir natürlich nur dort sagen, wo Messungen stattfinden. Wir haben hier in Österreich ein Netz von etwa 100 automatisierten Monitorstationen für Luftqualität. Insbesondere an verkehrsnahen Standorten sieht man im Vergleich zu den Werten vergangener Jahre eine deutliche Verringerung der Stickoxidbelastung. Auf andere Schadstoffe sind keine deutlichen Auswirkungen erkennbar. In anderen Ländern, etwa den USA, zeigen Messungen auch einen Rückgang von Feinstaub in der Luft.

Welche Messdaten stehen noch zur Verfügung?

Winiwarter: Für Stickstoffdioxid, NO2, gibt es Satellitenmessungen, die von der europäischen und der amerikanischen Raumfahrtagentur als Produkt angeboten und daher einfach und rasch zur Verfügung gestellt werden konnten.

Welche Schadstoffe korrelieren besonders mit dem Verkehrsaufkommen?

Winiwarter: Stickoxide in Bodennähe sind ein guter Indikator für Verkehr. Stickstoffdioxid kommt auch aus dem Verkehr, wird aber auch in Kraftwerken freigesetzt. Wie sehen zum Beispiel jedes Jahr eine deutliche Senkung der NO2-Werte in China zum chinesischen Neujahr Ende Jänner. Dieses Jahr gab es durch die Corona-Krise aber nicht die übliche Rückkehr zu hohen Normalwerten. Auch in der Po-Ebene in Italien waren Auswirkungen auf NO2 sichtbar. Da die Satellitendaten über die gesamte Luftsäule gemessen werden, geben sie wenig Hinweise auf Konzentrationen in Bodennähe und damit die Luftqualität, der die Bevölkerung ausgesetzt ist.

Wie deutlich ist der Verkehr zurückgegangen?

Winiwarter: Wir gehen in Österreich beim Privatverkehr von minus zwei Drittel bis minus drei Viertel aus. Im Lastwagenverkehr beträgt der Rückgang etwa 20 Prozent. Für Stickoxide in Europa nimmt das eine wesentliche Belastungsquelle weg. In China, wo auch die Industrie bedeutende Beiträge zur Luftverschmutzung liefert, wirken sich primär verkehrsbedingte Reduktionen der Emissionen weniger stark aus.

Wie stark hat sich das auf die Stickoxidkonzentration ausgewirkt?

Winiwarter: In Westösterreich ist die Belastung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um etwa 50 Prozent zurückgegangen. In Wien oder Graz sogar um zwei Drittel.

Wie sieht es mit anderen Schadstoffen aus?

Winiwarter: Die sind entweder nicht betroffen oder werden nicht gemessen. Schwefeldioxid ist heute zumindest bei uns kein Thema mehr. Es gibt keine Kohlekraftwerke, bereits vorher waren technische Lösungen zur Emissionsvermeidung implementiert und auch Heizöl und Diesel sind inzwischen praktisch schwefelfrei. Kohlenmonoxid stammt vorwiegend aus kleinen Feuerungsanlagen zur Erzeugung von Raumwärme. Rußpartikel werden routinemäßig nicht von den Messstationen erfasst, hier wären Dieselmotoren (und Raumwärme) wichtige Quellen. Stickoxide sind einfach zu messen, verkehrsnahe Monitore erlauben eine gute Erfassung.

Warum sehen wir in Österreich keinen großen Rückgang der Feinstaubkonzentration?

Winiwarter: Der Verkehr wurde bei uns ab Mitte März reduziert. Die höchsten Feinstaubkonzentrationen treten aber im Winter auf, durch Inversionswetterlagen. Seit dem 13. März haben wir, salopp gesagt, zumeist blauen Himmel, das fördert den vertikalen Luftaustausch, der Feinstaub kann abtransportiert werden, die Konzentrationen sind also ohnehin niedrig. Deshalb ist ein Effekt infolge der verminderten Emissionen schwierig nachweisbar. Da ist noch viel Arbeit notwendig.

Wie sieht es mit dem Einfluss der Landwirtschaft aus?

Winiwarter: Die Landwirtschaft setzt in erster Linie Ammoniak frei. Das kann zum Feinstaub beitragen, das findet weiterhin statt, genau wie ein Großteil der industriellen Emissionen oder das Heizen von Wohnungen und Häusern.

Der Effekt ist also nur auf den Autoverkehr zurückzuführen?

Winiwarter: Ja, im Wesentlichen besteht die Wirkung der Krise aus einem Wegbrechen des privaten Autoverkehrs. Die Maßnahmen dienten ja genau dazu, die Begegnung von Menschen untereinander zu minimieren. Andere Aktivitäten (Frachtverkehr, Industrieproduktion) mussten ja nicht eingestellt werden, daher ist wenig Änderung ihrer Wirkung auf die Luftqualität sichtbar. Wesentliche Änderungen mit einem drastischen Rückgang findet man auch im Flugverkehr, das hat aber wenig Einfluss auf die bodennahen Schadstoffkonzentrationen.

Wirkt sich die bessere Luft auf die Gesundheit aus?

Winiwarter: Bei Feinstaub, dem wichtigsten Parameter für die Gesundheit, sind die Jahresmittelwerte entscheidend. Da wir um diese Jahreszeit ohnehin niedrige Belastungen haben, wird der Jahresschnitt nicht so stark beeinflusst. Wenn die niedrigen Verkehrsaufkommen sich nicht bis in den Winter fortsetzen, wird es keinen Effekt geben. Auch die Gefährdung durch andere Luftschadstoffe, etwa Stickstoffdioxid, ist unterhalb der vorhandenen Grenzwerte vernachlässigbar – und diese wurden nicht überschritten. Luftschadstoffe haben nur eine geringe Lebenszeit von Stunden bis Tagen. Deshalb sieht man die Reduktion des Verkehrs sofort in den Zahlen. Sobald der Verkehr wieder rollt, werden die Werte aber kurzfristig wieder steigen. Auch hier ist also kein Langzeiteffekt zu erwarten.

Kann schlechte Luft Menschen anfälliger für COVID-19 machen?

Winiwarter: Im Moment kommt man mit Corona-Themen leicht in die Medien und in Fachzeitschriften. Dementsprechend kommen Konzepte an die Öffentlichkeit, obwohl die Datenlage derzeit nicht sonderlich gut ist. Ein Positionspapier versuchte etwa, die hohe Übertragungsrate in der italienischen Po-Ebene mit Feinstaubbelastung als Vektor für den Transport von Viren in Zusammenhang zu bringen. Plausibler scheinen Arbeiten, die mögliche Vorschädigungen von Organismen aufgrund vergangener hoher Feinstaubbelastung mit erhöhter Mortalität in Verbindung bringen.

Einige der dabei vorgebrachten Argumente scheinen nicht völlig durchdacht. Der Peer-Review-Prozess für wissenschaftliche Publikationen benötigt mindestens ein halbes Jahr, erst dann werden fundiertere Informationen vorliegen. Es scheint Zusammenhänge zwischen Feinstaubbelastungen und Sterblichkeitsraten zu geben, aber wie die Zusammenhänge genau aussehen, muss noch aufgearbeitet werden.

Wird sich die Verkehrspause positiv auf den Klimawandel auswirken?

Winiwarter: Ich erwarte keine Auswirkungen. Die Verkehrsrückgänge werden nicht einmal im Jahresschnitt wirklich relevant sein. Nach der Wirtschaftskrise 2008 hat die rasche ökonomische Erholung dazu beigetragen, dass die Werte von vor der Krise rasch wieder erreicht und übertroffen wurden. Die Reduktion von Treibhausgasemissionen benötigt konkrete und wirksame Handlungen, das passiert nicht nebenbei.

AUF EINEN BLICK
Wilfried Winiwarter ist Senior Research Scholar am International Institute for Applied System Analysis (IIASA) sowie stellvertretender Obmann der Kommission Klima und Luftqualität der ÖAW.