Das neue Coronavirus verstehen: Forschungsprojekte ergründen Eigenschaften und Ausbreitung von SARS-CoV-2
Mit zwei neuen Forschungsprojekten trägt das Institut für Molekulare Virologie der Ulmer Universitätsmedizin zu einem tieferen Verständnis der Eigenschaften und Ausbreitung des neuen Coronavirus (SARS-CoV-2) bei. Infolge des BMBF-Förderaufrufs zur Erforschung von COVID-19 im Zuge des Ausbruchs von SARS-CoV-2 haben Institutsdirektor Professor Frank Kirchhoff und Dr. Daniel Sauter insgesamt über 900 000 Euro eingeworben.
Im Projekt „Restrict SARS-CoV-2“ ergründen Forschende um Professor Frank Kirchhoff das Zusammenspiel verschiedener Coronaviren mit der körpereigenen Immunreaktion: Welchen Einfluss hat die Stimulierung der angeborenen Immunantwort und die Aktivierung von Entzündungsreaktionen auf die Vermehrung und Entwicklung von Coronaviren?
Tatsächlich unterscheiden sich verschiedene Coronaviren deutlich in ihrer Pathogenität, also in ihren krankmachenden Eigenschaften. Auswirkungen einer Infektion reichen von einer leichten Erkältung bis hin zu lebensbedrohlichen Lungenerkrankungen wie sie zum Beispiel der MERS-Erreger und in selteneren Fällen SARS-CoV-2 auslösen.
Viren manipulieren Immunantwort
Diese unterschiedlichen Krankheitsverläufe lassen sich offenbar auf Eigenschaften der Viren und auf die Immunantwort des infizierten Wirts zurückführen. Dementsprechend untersuchen die Forschenden sowohl die Fähigkeit von Coronaviren, die körpereigene Immunantwort zu manipulieren, als auch Verteidigungsmechanismen der Zielzellen. „Einigen Coronaviren gelingt es zunächst, die Immunreaktion ihres Wirts so zu unterdrücken, dass sie sich ungestört vermehren können. Eine spätere, aufgrund der hohen Viruslast überschießende Abwehrreaktion des Infizierten kann dann allerdings zu schweren, mitunter tödlichen Krankheitsverläufen führen“, erklärt Professor Kirchhoff.
Verschiedene Coronaviren im Vergleich
Im Zentrum des Vorhabens stehen das aktuell grassierende Virus SARS-CoV-2, der SARS-Erreger, MERS-CoV und einige relativ harmlose Coronaviren, die Menschen oder Tiere befallen. Erstes Projektziel ist ein tieferes Verständnis der biologischen Grundlagen verschiedener Coronaviren. Welche Fähigkeiten ermöglichen es den Erregern, die antivirale Immunantwort ihres Wirts auszuschalten? Weshalb können einige Coronaviren die Artgrenze von Tier zum Menschen überspringen? Zudem soll erforscht werden, inwiefern sich SARS-CoV-2 im Verlauf der Pandemie an den Menschen anpasst. Vor allem aber will die Gruppe herausfinden, ob sich die körpereigene Immunantwort soweit modulieren lässt, dass eine zuverlässige Kontrolle von SARS-CoV-2 gelingt.
Diese Erkenntnisse könnten den Grundstein für eine Immuntherapie gegen SARS-Coronaviren legen. Die Projektförderung von „Immunaktivierung und Hemmung von SARS-CoV-2“ (Restrict SARS-CoV-2) durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beträgt über 542 000 Euro für 1,5 Jahre.
Wie lässt sich der Vermehrungszyklus von SARS-CoV-2 hemmen?
So genannte Spike-Proteine stehen im Mittelpunkt des Projekts „protACT“, eingeworben von Dr. Daniel Sauter. Diese Proteine in der Virushülle verschaffen Coronaviren Zutritt zur Zielzelle, in der sie sich vermehren. Allerdings muss dieser „Schlüssel“ zum neuen Wirt vorab aktiviert werden, indem er durch zelluläre Proteasen „geschnitten“ wird. Das neue Coronavirus SARS-CoV-2 scheint hierbei im Vorteil gegenüber anderen Erregern zu sein. „Mit seiner polybasischen Schnittstelle für die häufige Protease Furin verfügt es sozusagen über einen Generalschlüssel. Dieser könnte die Ausbreitung des Virus erleichtern und seine krankmachenden Eigenschaften verstärken“, erklärt Daniel Sauter. Die genaue Rolle von Furin und anderen Proteasen bei der Aktivierung des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 will er im neuen Projekt erforschen. Vor allem ein Vergleich zwischen verschiedenen Coronaviren – auch von Fledermäusen und Schuppentieren – soll zeigen, welchen Einfluss eine polybasische Schnittstelle auf die Infektiosität hat. Dazu kommen Analysen von Mutationen, die im Verlauf der aktuellen COVID-19-Pandemie auftreten.
Hoffnung auf neue therapeutische Angriffspunkte
Projektziel sind zum einen neue Einblicke in die Aktivierung von SARS-CoV-2. Zudem hoffen die Forschenden um Sauter, neue therapeutische Angriffspunkte zu finden. Lässt sich durch die Hemmung von Furin der Vermehrungszyklus und somit die Ausbreitung des neuen Coronavirus hemmen? Die BMBF-Förderung des Vorhabens „Aktivierung und therapeutische Hemmung des SARS-CoV-2 Spike-Proteins“ (protACT) beläuft sich auf rund 367 000 Euro. Daniel Sauter kooperiert unter anderem mit Forschenden der Universitäten Tübingen und Tokio sowie des DPZ in Göttingen.
Die beiden neuen Forschungsvorhaben ergänzen das bereits am Ulmer Institut für Molekulare Virologie angesiedelte EU-Projekt Fight-nCoV, in dem antivirale Wirkstoffe gegen das neue Coronavirus erprobt werden. Darüber hinaus gilt der Leibniz-Preisträger Professor Frank Kirchhoff als führender Experte der HIV/AIDS-Pandemie. Dabei handelt es sich um die am besten erforschte Zoonose: Erkenntnisse zum Ursprung von HIV und zur Anpassung des Erregers an den Menschen sind auch für das Verständnis der Coronavirus-Pandemie relevant.