Neue Einsichten in SARS-CoV-2 Cluster in Österreich
Mehr als 200 Virus-Genome wurden in einer Zusammenarbeit zwischen Molekularmediziner/innen der ÖAW, der Medizinischen Universität Wien, der Medizinischen Universität Innsbruck und der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit sequenziert. Die gewonnenen Daten tragen zu einem besseren Verständnis der Mutationswege und der Evolution der österreichischen SARS-CoV-2 Virenstämme bei.
Mit gemeinsamen Anstrengungen forschen Wissenschaftler/innen weltweit zum pandemischen SARS-Cov-2-Virus, mit dem Ziel die virologischen, immunologischen und krankmachenden Eigenschaften des Virus zu enträtseln. Genomsequenzen von weltweit zirkulierenden SARS-CoV-2-Viren werden veröffentlicht und der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung gestellt. Ein besseres Verständnis der Evolution des Virus wird entscheidend sein, um die zugrunde liegende Mutationsdynamik zu verstehen und die Entwicklung von wirksamen antiviralen Behandlungs- und Impfstrategien zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie zu unterstützen.
In Österreich leisteten Wissenschaftler/innen des CeMM – Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zusammen mit Kooperationspartner/innen der Medizinischen Universität Wien Pionierarbeit bei der Sequenzierung der ersten Genome aus Proben österreichischer PatientInnen. Im Rahmen des Projekts „Mutationsdynamik von SARS-CoV-2“ wurden die ersten Resultate bereits Anfang April 2020 der Öffentlichkeit und der internationalen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellt. Diese Initiative unter der Leitung der CeMM-Forscher Andreas Bergthaler und Christoph Bock am CeMM verfolgt die Durchleuchtung von 1.000 SARS-CoV-2-Genomen österreichischer Patient/innen mittels modernster Techniken der Next-Generation-Sequenzierung und hochentwickelter Computeranalysen. Das Projekt umfasst ein breites nationales Kooperationsnetzwerk mit Partner/innen auch aus der Medizinischen Universität Innsbruck und der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) sowie von Krankenhäusern und diagnostischen Laboratorien.
Aufbauend auf den ersten 21, im April veröffentlichten Genomsequenzen liefert die Verfügbarmachung von 216 neuen SARS-CoV-2-Genomen aus ganz Österreich nun ein genaueres Bild der zirkulierenden Viren und der frühen Phase der COVID-19-Pandemie. Die genetischen Unterschiede des Genoms zeigen, dass sich bei dem in der frühen Phase der Pandemie zirkulierende Virenpool bereits eine große Vielfalt zeigte und einige Viren zu größeren Übertragungsclustern führten als andere. Österreich profitiert dabei von der gewissenhaften Rückverfolgung der Infektionsketten (Contact Tracing) durch die AGES, welche bisher mehr als 250 Cluster an COVID-19-Fällen ermittelte. „Unsere integrative Analyse der neuen SARS-CoV-2-Genominformationen mit epidemiologischen Daten liefert wertvolle neue Erkenntnisse darüber, wie sich das Virus im Land ausgebreitet hat. Die Sequenzdaten des Virus bestätigen epidemiologische Erkenntnisse aus dem Contact Tracing von virologischer Seite. Zeitgleich konnten wir sowohl die Heterogenität innerhalb von Clustern beobachten als auch Hinweise auf mehrere, gleichzeitig zirkulierende Viren sammeln“, so Bergthaler.
Mutationen im Spike-Protein
Die molekulare Sequenzanalyse ergab durchschnittlich 6,9 Mutationen pro Genom, von denen mehr als 4 zu veränderten Aminosäuren führten. Weltweit besonders im Fokus des Interesses stehen die Mutationen im viralen S- oder Spike-Protein, welcher die Oberfläche des Virions ziert und dem Coronavirus das namensgebende, kronenartige Aussehen verleiht. Das virale S-Protein ist für die Anbindung an den Zellrezeptor ACE2 essenziell und auch das primäre Ziel für neutralisierende Antikörper. Als solches sind Mutationen in dieser Region für die Entwicklung serologischer Tests und den antikörperbedingten Schutz durch Schutzimpfungen wichtig. In allen österreichischen SARS-CoV-2-Genomen wurden insgesamt 12 mutierte Veränderungen im 1.273 Aminosäuren langen S-Protein identifiziert. Darunter befindet sich die Virusmutation D614G, welche eine frühe Gabelung der Transmissionskette von SARS-CoV-2 in Europa darstellt. D614G findet sich auch in der Mehrzahl der Virusgenome aus Österreich. Die funktionellen Konsequenzen der D614G Mutation werden gegenwärtig von mehreren internationalen Forschungsgruppen untersucht.
Aktuell laufen vertiefende Analysen mit einem interdisziplinären Team aus den Bereichen Genomik, biomathematische Modellierung, Evolutionsbiologie und Virologie, aus denen neue Erkenntnisse darüber erwartet werden, wie das S-Protein und andere virale Proteine mutieren sowie darüber, wie diese Mutationen zwischen einzelnen Personen übertragen werden.
Neben der internationalen Veröffentlichung der Virusgenome verstärken die ÖAW-Forscher/innen ihre Bemühungen, eine breite Öffentlichkeit an den Forschungsaktivitäten zur derzeitigen Viruspandemie teilhaben zu lassen. Dazu wurde eine online frei verfügbare interaktive Datenbank namens Nextstrain Austria entwickelt, die auf Basis des Open-Source-Projekts Nextstrain.org den Anwender/innen erlaubt, alle sequenzierten österreichischen Virusgenome mit mehr als 8.000 Virusgenomen aus der ganzen Welt zu vergleichen. Diese Seite wird regelmäßig aktualisiert und bietet Einblicke in die laufende intensive Forschung zum SARS-CoV-2-Virus.
Das Projektteam setzt zugleich seine Bemühungen zur Sequenzierung von 1.000 SARS-CoV-2 Virusgenomen fort, womit ein genaues Bild der auftretenden Virusmutationen und Virusübertragungen geliefert werden soll. Damit sollen EpidemiologInnen, medizinischen Fachkräften und GesundheitsexpertInnen wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse zur Beurteilung der Übertragungswege des Virus sowie seines Potentials zur Unterwanderung einer impfstoff-induzierten Immunantwort und zur Ausbildung einer Resistenz gegen antivirale Medikamente an die Hand gegeben werden.
Auf einen Blick
SARS-CoV-2 Genomdaten:
Die Sequenzen, dazugehörige Informationen und ein Blog sind unter cemm.at/sars-cov-2 abrufbar.
Förderung:
Das Projekt „Mutationsdynamik von SARS-CoV-2“ wird durch eine COVID19-Rapid Response Förderung des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) sowie durch Sachleistungen des CeMM, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Medizinischen Universität Wien und der jeweiligen Partner kofinanziert.