Internettherapie für traumatisierte Ärztinnen und Ärzte
Schreibtherapie kann bei posttraumatischen Belastungsstörungen helfen
Ärztinnen und Ärzte leiden etwa vier Mal häufiger an Belastungsstörungen als die Allgemeinbevölkerung.
Ein Trauma kann seelische Wunden hinterlassen, die nicht immer ohne Unterstützung heilen. Psychologen der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig haben in einer Forschungsstudie eine internetbasierte Schreibtherapie für Ärzte entwickelt, die nach einem traumatischen Ereignis im Beruf unter posttraumatischem Stress leiden. Erste Ergebnisse dieser bundesweiten Studie belegen, dass über die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte bereits ein traumatisches Ereignis erlebt hat. Die internetbasierte Schreibtherapie kann hier Abhilfe schaffen. Sie lässt sich zudem flexibel in den Alltag integrieren und bietet eine höhere Anonymität als herkömmliche Therapien. Interessenten können im Rahmen einer Studie kostenlos jederzeit an dieser Internettherapie teilnehmen.
Ein Trauma ist ein Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung, das die Verarbeitungsfähigkeiten einer Person übersteigt und extreme Angst und Hilflosigkeit auslöst. „Ärztinnen und Ärzte haben ein erhöhtes Risiko, traumatische Erfahrungen zu erleben, da sie täglich mit Schmerz, Leid, schweren Erkrankungen oder dem Tod konfrontiert sind“, erklärt Studienleiterin Prof. Dr. Anette Kersting, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Leipzig. Zudem tragen sie eine große Verantwortung im Hinblick auf das Wohl ihrer Patientinnen und Patienten. Fehlentscheidungen können schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen. „Ein traumatisches Ereignis kann unterschiedliche Folgen haben“, so Kersting. „Häufig treten posttraumatische Stresssymptome wie belastende Erinnerungen, Vermeidung von Orten, Menschen oder Situationen oder überhöhte Reizbarkeit auf. Solche Situationen sind kein Einzelfall.“ Ärztinnen und Ärzte leiden etwa vier Mal häufiger an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) verglichen mit der erwachsenen Allgemeinbevölkerung.
Erste Studienergebnisse zeigen, dass mit 65,9 Prozent über die Hälfte der Betroffenen mehr als ein traumatisches Ereignis im Arztberuf erlebt hat. Zum Zeitpunkt des traumatischen Ereignisses befanden sich 61 Prozent der Stichprobe von bislang 43 Probanden in ihrer Assistenzarztzeit. In 24 Prozent der Ereignisse waren die Ärzte von primärer Traumatisierung betroffen, wobei am häufigsten Fremdgefährdung, wie Aggression anderer Personen gegenüber dem Arzt als Auslöser beschrieben wurde. In 76 Prozent der traumatischen Ereignisse kann von Sekundärtraumatisierung ausgegangen werden, das heißt eine oder mehrere andere Personen waren von Tod, Verletzung oder Gewalt betroffen. Die häufigsten Arten sekundärer Traumatisierung waren Konfrontation mit Erkrankungen (49 Prozent) oder selbstgefährdendem Verhalten wie zum Beispiel suizidalen Handlungen von Patienten oder Kollegen (17 Prozent). Neben der ärztlichen Begleitung des Leidens ihrer Patienten (27 Prozent) beschrieben die Ärzte vorrangig negative Behandlungsverläufe (51 Prozent), zum Beispiel medizinische Fehler, erfolglose Rettungsversuche sowie Behandlungskomplikationen als traumatische Ereignisse. Als wichtiger Faktor wurde in 28 Prozent der Ereignisse ein Mangel an Unterstützung benannt, zum Beispiel als Assistenzarzt allein die nächtliche Station leiten, einschließlich des mangelhaften Fehlermanagements. Die Konfrontation mit dem Tod oder das Sterben anderer Menschen spielte bei 68 Prozent der Ereignisse eine Rolle.
Die Ergebnisse zeigen eine hohe psychische Belastung der Ärzte bei niedrigem Hilfesuchverhalten. 53,7 Prozent der Teilnehmenden erfüllten das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung, 36,6 Prozent erfüllten die Kriterien für posttraumatischen Stress. Depressive Symptomatik zeigte sich bei 56,1 Prozent der Betroffenen. Bei 14,6 Prozent waren Suizidgedanken vorhanden, 9,7 Prozent hatten bereits einen oder mehrere Suizidversuche begangen. Schädlicher Alkoholkonsum wurde von 24,4 Prozent berichtet. In den vergangenen 12 Monaten wurden von nur 36,6 Prozent der Betroffenen Unterstützungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel psychologische oder ärztliche Konsultation, Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, in Anspruch genommen.
Die Wirksamkeit konventioneller Psychotherapien bei posttraumatischem Stress (PTS) ist gut belegt. Einer Behandlung von Ärzten mit PTS stehen jedoch einige Hürden entgegen. So erschweren zum Beispiel lange und unregelmäßige Arbeitszeiten sowie die Angst vor negativen Auswirkungen auf die berufliche Karriere die Inanspruchnahme therapeutischer Unterstützung. Internetbasierte Interventionen lassen sich dagegen flexibel in den Alltag integrieren und bieten eine höhere Anonymität als herkömmliche Therapien. Vor diesem Hintergrund bietet die im Rahmen der Studie angebotene Schreibtherapie mit zehn Schreibaufgaben, die über einen Zeitraum von fünf Wochen bearbeitet werden, die Chance, die Versorgungssituation belasteter Ärzte zu verbessern. Die von der Roland-Ernst-Stiftung geförderte Studie soll die Wirksamkeit der Internettherapie zur Verarbeitung von posttraumatischem Stress nach einem belastenden Ereignis im Arztberuf evaluieren.