Telemedizin: Projekt docdirekt wird fortgesetzt
Smart zum Arzt: Das vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität zu Lübeck wissenschaftlich begleitete Telemedizinprojekt in Baden-Württemberg wird nach Beendigung der Modellprojektphase weitergeführt
Das gab jetzt die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg in Stuttgart bekannt. docdirekt ist vor zwei Jahren als Modellprojekt gestartet. Zunächst auf zwei Modellregionen beschränkt, wurde das Angebot jedoch zügig auf ganz Baden-Württemberg ausgeweitet. Seitdem können sich Versicherte der Gesetzlichen Krankenkassen aus dem gesamten Land bei docdirekt telemedizinisch beraten und behandeln lassen.
„Wir haben als Leuchtturmprojekt begonnen und konnten in den letzten beiden Jahren zeigen, dass es viele Fälle gibt, in denen die Telemedizin helfen kann. Sie ist eine gute Ergänzung zum normalen Praxisbetrieb“, berichtet Dr. Johannes Fechner, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KVBW. „Bei uns rufen Patientinnen und Patienten an, die der jeweils behandelnde Tele-Arzt nicht kennt. Und dennoch können ungefähr 80 Prozent der Anfragen per Videoanruf abschließend geklärt werden. Unsere Tele-Ärztinnen und Tele-Ärzte führen mit der gleichen Sorgfalt wie in der Praxis ein Anamnesegespräch. Sie wissen aber auch ganz genau, wann sie an ihre Grenzen stoßen, weil sie keine gesicherte Diagnose stellen können und verweisen dann die Patientinnen und Patienten in eine Praxis vor Ort. Wir haben mit docdirekt gezeigt, dass Telemedizin funktioniert.“
Mit der Beendigung des Modellprojekts lief auch die Zusammenarbeit mit der TeleClinic GmbH aus. Neuer technischer Partner an der Seite der KVBW ist Minxli, ein Unternehmen, das moderne Anwendungen für die digitale Arzt-Patienten-Kommunikation entwickelt.
Wissenschaftliche Evaluation
docdirekt wurde vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität zu Lübeck wissenschaftlich begleitet. Der Institutsdirektor, Prof. Dr. Jost Steinhäuser, beschreibt das Ziel der Evaluation: „Wir wollten docdirekt im Hinblick auf die Akzeptanz aus der Pa-tienten-, Anwender- und Organisationsperspektive betrachten, um so Strategien zu entwickeln, die der KVBW helfen, docdirekt auch über die Pilotphase hinaus zu im-plementieren. Unsere Befragungen machten sehr deutlich, dass besonders wichtige Punkte der ‚schnelle ärztliche Kontakt‘ und ‚eine erste Therapieempfehlung‘ waren.“ Aspekte der Bequemlichkeit, wie z. B. nicht in einem Wartezimmer sitzen zu müssen, waren hingegen eher unwichtig.
Im Zeitraum vom 11.04.2018 (Start von docdirekt) bis zum 16.10.2019 waren insgesamt 1.574 Fälle telemedizinisch behandelt worden. Während in der Startphase unter 50 Fälle im Quartal stattgefunden haben, stieg die Anzahl im dritten Quartal 2019 auf über 600. Die Behandelten waren im Schnitt 38,5 Jahre alt und zur Hälfte weiblich. Es wurden über 40 Interviews mit Bürgern, Ärzten und Mitarbeitern der KVBW geführt und über 2.000 zufällig ausgewählte Personen aus den anfänglichen Modellregionen Stadtkreis Stuttgart und Landkreis Tuttlingen zu einer Fragebogenaktion eingeladen. Die Ergebnisse der Studie sind unter folgendem Link nachzulesen:
eRezept und eAU
Aufbauend auf den Ergebnissen hat das Institut Strategien identifiziert, wie sich das Angebot weiter optimieren lässt. So wäre beispielsweise die Möglichkeit, eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) oder ein eRezept ausstellen zu können von entscheidender Bedeutung für die Weiterentwicklung des telemedizinischen Angebots.
Fechner sagt dazu: „Wir haben ja hier im Ländle gemeinsam mit dem Apothekerverband und der Landesapothekerkammer mit dem eRezept-Dienst GERDA bewiesen, dass es funktioniert. Um das eRezept nun aber auch flächendeckend einzuführen, brauchen wir noch ein paar Regelungen auf Bundesebene. Auch bei der eAU geht es voran. Erst letzte Woche hat der G-BA beschlossen, dass eine Krankschreibung für bis zu sieben Tagen per Onlinesprechstunde möglich ist, allerdings nur bei bekannten Patienten. So muss es jetzt weitergehen.“
Telemedizin: Gute Ergänzung
„Angesichts der aktuellen Entwicklung ist die Weiterführung von docdirekt für uns eine logische Konsequenz“, führt Fechner weiter aus. „In den letzten Wochen konnten wir aufgrund der Corona-Krise einen enormen Zuwachs von neun auf über 4.000 Genehmigungen für Videosprechstunden verzeichnen. Die Ärztinnen und Ärzte haben in der Krise diese Form der Arzt-Patienten-Kommunikation verstärkt genutzt und werden sie wohl auch nach der Krise weiter ihren Patienten im normalen Praxisbetrieb anbieten.“ Wichtig dafür sei die Ergänzung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) für die vollumfängliche Vergütung der Videosprechstunde gewesen. Zudem habe die Landesärztekammer vor wenigen Wochen den entscheidenden Schritt vollzogen, in dem sie das Fernbehandlungsverbot in der Berufsordnung vollständig aufgehoben hat.
„Für uns ist es angesichts dieser Entscheidungen nur konsequent, wenn wir den telemedizinischen Weg über docdirekt weiterhin anbieten. Damit können wir auch Patientinnen und Patienten behandeln, die keinen Arzt haben oder die ihren Hausarzt nicht erreichen. Sie können bei uns mit einem Arzt sprechen, den sie zwar nicht kennen, der sie aber trotzdem gut und kompetent behandelt“, so Fechner. „Die Videosprechstunde erfüllt hohe Qualitätsstandards“, ergänzt Jennifer Kelly, CEO von Minxli. „Alle Daten sind nach den neuesten Sicherheitsstandards und Datenschutzrichtlinien verschlüsselt und nur für den behandelnden Arzt und den Patienten zugänglich.“
Erreichbarkeit von docdirekt
Mit docdirekt steht den gesetzlich Krankenversicherten in Baden-Württemberg von Montag bis Freitag von 9 bis 19 Uhr eine kostenfreie, qualitätsgesicherte ärztliche Beratung zur Verfügung. Der Patient muss sich die iOS- oder Android-App herunterladen oder sich über www.docdirekt.de auf der Weboberfläche einwählen. Nach der Registrierung kann per Videotelefonie Kontakt mit dem docdirekt-Center der KVBW aufgenommen werden.
Eine speziell geschulte Medizinische Fachangestellte (MFA) erfasst Personalien, Krankheitssymptome, klärt die Dringlichkeit und vereinbart einen Termin für den Rückruf durch den Tele-Arzt. Der Tele-Arzt ruft zurück, spricht mit dem Patienten über seine Beschwerden und gibt eine Empfehlung für die Behandlung. Im Idealfall kann der Tele-Arzt den Patienten abschließend telemedizinisch beraten. Ist eine taggleiche persönliche Vorstellung des Patienten bei einem Arzt notwendig, wird der Patient an eine dienstbereite Haus- oder Facharztpraxis weitergeleitet.