Herzschädigung bei Covid-19: Kann SARS-CoV-2 eine Herzmuskelentzündung (Myokarditis) verursachen?
Von Herzstiftung gefördert: Tübinger Herzforscher untersuchen Schädigungsmuster durch SARS-CoV-2 im Herzmuskelgewebe verstorbener Covid-19-Patienten
Der Schaden, den es anrichten kann, ist enorm. Das Coronavirus SARS-CoV-2 ist auch deshalb ein sehr ernst zu nehmender Krankheitserreger für die Medizin, weil es sämtliche Organe befallen kann. Selbst genesene Patienten berichten von Folgewirkungen in Nieren, Lunge, Herz und Gehirn. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie wurden bei Covid-19-Patienten neben Symptomen wie Atemwegsprobleme bis hin zur Luftnot sowie Fieber und Husten auch vermehrt Herz- und Gefäßkomplikationen beschrieben. Dass SARS-CoV-2 den Herzmuskel schädigen kann, ist mittlerweile bekannt. „Allerdings kennen wir noch nicht die genauen Mechanismen, mit denen das neuartige Coronavirus das Herz schädigt, wenn es den Herzmuskel befällt“, räumt der Kardiologe und stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Herzstiftung Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer ein. „Für Covid-19-Patienten sind rasch Forschungserkenntnisse dringend nötig, damit wir früh und gezielt mit Therapien eingreifen können, noch bevor das Virus seinen lebensbedrohlichen Schaden im Herzen verursacht.“
Die Deutsche Herzstiftung unterstützt mit 40.000 Euro genau zu dieser Fragestellung ein Forschungsvorhaben der Abteilung für Kardiopathologie des Instituts für Pathologie und Neuropathologie am Universitätsklinikum Tübingen unter Leitung von Prof. Dr. med. Karin Klingel. Das im Rahmen von Autopsien an Covid-19 verstorbenen Patienten entnommene Gewebe des Herzens sowie weiterer Organe werden histologisch, immunhistologisch sowie molekularbiologisch und elektronenmikroskopisch untersucht. Der Titel des Tübinger Forschungsprojekts lautet: „SARS-CoV-2: ein neues kardiotropes Virus mit Myokarditispotenzial?” Über das Forschungsprojekt informiert das Experten-Video auf dem YouTube-Kanal der Herzstiftung unter https://youtu.be/61aIQctQ6nw
Studien haben gezeigt, dass Covid-19-Patienten auch EKG-Veränderungen und erhöhte Troponinwerte im Blut aufweisen. „Das deutet auf eine direkte Schädigung der Herzmuskelzellen und mögliche Funktionsstörungen der Gefäßinnenwände hin, bedarf aber der genauen wissenschaftlichen Abklärung“, berichtet die Ärztin und Forscherin Prof. Klingel. Für die richtige Therapie der Covid-19-Infektion speziell bei Risikogruppen wie Herz-Kreislauf-Patienten ist es wichtig, den richtigen Zeitpunkt abzupassen. „Noch bevor das Virus großflächig Entzündungen in Lunge und anderen Organen hervorruft, sollten wir medizinisch beispielsweise durch Gabe antiviraler Substanzen eingreifen. Dazu müssen wir unterscheiden, in welcher Krankheitsphase sich der Patient gerade befunden hat als er verstarb und wo sich das Virus im Herzen in diesem Augenblick vermehrt (repliziert): in den Herzmuskelzellen, den Zellen der Gefäßinnenhaut oder in Entzündungszellen wie den Makrophagen?“, erläutert Klingel.
SARS-CoV-2 schädigt offensichtlich direkt den Herzmuskel – auch bei Jüngeren
Die Covid-19-Forschung verfolgt mehrere Hypothesen, wie das neuartige Coronavirus den Herzmuskel schädigen und möglicherweise zu einer Herzmuskelentzündung (Myokarditis) führen kann. Der ersten Hypothese zufolge könnte SARS-CoV-2 über den Rezeptor ACE2 (Angiotensin-konvertierendes Enzym 2) nicht nur in die Lunge, sondern auch in das Herz gelangen und dort direkt über die Virusvermehrung die Herzmuskelzellen zytotoxisch schädigen. Die Tübinger Forscherin und ihr Team untersuchen, in welchen Zelltypen das Virus tatsächlich seine Erbinformation, die Ribonukleinsäure (RNA) replizieren und sich so in den menschlichen Organen ausbreiten kann. Daher auch die Autopsien in der Tübinger Pathologie: die Gewebeanalysen umfassen alle Organe von verstorbenen meist älteren Covid-19-Patienten über 80 Jahre, die auch an Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit (KHK), Diabetes und Herzmuskelerkrankungen wie Kardiomyopathie oder Herzschwäche litten. In der Tübinger Pathologie lassen sich mittels histochemischer und immunhistochemischer Methoden oder mit Hilfe der Elektronenmikroskopie die unterschiedlichen Gewebestrukturen des Herzens sichtbar machen, die im Zuge von Covid-19 möglicherweise verändert werden. Die erhobenen Ergebnisse werden den klinischen Daten aus der zuvor stattgefundenen stationären Behandlung der Patienten am Tübinger Universitätsklinikum gegenübergestellt. „Am Mikroskop erkennen wir dank der Technik der In-situ-Hybridisierung deutlich den Virusbefall spezifischer Zellen in Lunge und Herz anhand der angefärbten Virus-RNA in Form roter Flecken“, erläutert Prof. Klingel. In Zusammenarbeit mit der Berliner Charité haben die Tübinger außerdem die Möglichkeit, zusätzlich zu ihren Ergebnissen aus dem Gewebe verstorbener, auch Herzmuskelbiopsien lebender Covid-19-Patienten, darunter auch jüngere Patienten, zu untersuchen und zu vergleichen. „Hier konnten wir ganz klar erkennen: Auch jüngere Menschen können offensichtlich eine Schädigung durch SARS-CoV-2 haben, die das Herz beeinträchtigt.“
Gegen gefürchteten „Zytokinsturm“ die richtige Therapie zum richtigen Zeitpunkt
Die zweite Hypothese zur Schädigung des Herzens befasst sich mit einer Beeinträchtigung des Herzmuskels infolge einer Überreaktion des Immunsystems. Während einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus könnte es auch im Rahmen einer schon bestehenden kardiovaskulären Vorerkrankung zu einer massiven Überreaktion des Immunsystems in Form eines „Zytokinsturms“ kommen. Zytokine sind Botenstoffe des Immunsystems, die bei Entzündungen freigesetzt werden „Ein Mechanismus, der auch bei Influenzavirusinfektionen mit funktionellen Störungen des Herzmuskels einhergeht und zu gefährlichen Rhythmusstörungen führen kann“, wie Klingel betont. Unter anderem untersuchen die Mediziner anhand von Gewebeproben die Coronavirus-infizierten Organe nach molekularen Schädigungsmechanismen. „So gewinnen wir Informationen über die Erzeugung pathogener Proteine, über lokale Entzündungsprozesse, Zellsterben und Reaktionen des Immunsystems.“ Im Visier hat die Forscherin insbesondere die Botenstoffe Interleukin-6 (IL-6) und -1 (IL-1). „Zytokinspiegel im Blut zeigen uns, was gerade im Zuge der Virusinfektion passiert und wann es Zeit wird, therapeutisch einzugreifen. Interleukin-6 ist ein guter Indikator für den richtigen Moment, die Überreaktion des Immunsystems etwa mit Hilfe eines IL-6-Rezeptorblockers zu stoppen.“ Da käme derzeit ein anti-entzündlicher Wirkstoff wie Tocilizumab infrage. In der Vergangenheit konnten die hier angewandten Methoden bereits zur Aufklärung von Herzmuskelentzündungen, wie sie etwa durch andere RNA-Viren wie den Enteroviren (Coxsackieviren) hervorgerufen werden, beitragen. „Wir erhoffen uns nun mehr Aufschluss darüber, inwiefern Sars-CoV-2 ein neues Virus mit Myokarditis-Potenzial darstellt.“