Künstliche Intelligenz erkennt untergehende Sehzellen
Studie der Universitäten Bonn, Stanford und Utah zur atrophischen AMD
Eine auf künstlicher Intelligenz (KI) beruhende Software, die von Wissenschaftlern an der Augenklinik des Universitätsklinikums Bonn, der Stanford University und University of Utah entwickelt wurde, erlaubt eine präzise Verlaufsbeurteilung der geographischen Atrophie (GA), eine Erkrankung der lichtempfindlichen Netzhaut infolge altersabhängiger Makuladegeneration (AMD). Der innovative Ansatz ermöglicht die voll automatisierte Vermessung der atrophischen Hauptläsionen mittels Daten der optischen Kohärenztomographie, die den Aufbau der Netzhaut dreidimensional sichtbar macht. Darüberhinausgehend kann das Forscher-Team die Integrität, also die „Unversehrtheit“ lichtempfindlicher Zellen der gesamten zentralen Netzhaut präzise bestimmen und auch fortschreitende degenerative Veränderungen der so genannten Photorezeptoren jenseits der Hauptläsionen nachweisen. Die Erkenntnisse sollen für die Wirksamkeitsbeurteilung neuer innovativer Therapieansätze genutzt werden. Die Studie ist nun in der Fachzeitschrift „JAMA Ophthalmology“ erschienen.
Für die geographische Atrophie, eine der häufigsten Ursachen für Erblindung in Industrienationen, gibt es bislang keine wirksame Therapie. Bei der Erkrankung werden Zellen der Netzhaut geschädigt und sterben ab. Dabei dehnen sich die Hauptläsionen – Areale von degenerierter Netzhaut, auch „geographische Atrophie“ genannt – im Verlauf der Erkrankung aus und führen zu blinden Flecken im Gesichtsfeld der Betroffenen. Eine entscheidende Herausforderung für die Erprobung von Therapien ist, dass diese Läsionen langsam voranschreiten, sodass für Interventionsstudien eine lange Nachbeobachtungszeit notwendig ist. „Für die Beurteilung von Therapieansätzen konzentrierten wir uns bislang primär auf die Hauptläsion der Erkrankung. Allerdings leiden Patienten neben den zentralen Gesichtsfeldausfällen auch an Beschwerden wie einer eingeschränkten Lichtsensitivität in der umgebenden Netzhaut“, erklärt Prof. Dr. Frank G. Holz, Direktor der Augenklinik des Universitätsklinikums Bonn. „Ein Erhalt der Mikrostruktur der Netzhaut außerhalb der Hauptläsionen wäre daher bereits ein wichtiger Teilerfolg, anhand dessen sich zukünftige Therapieansätze auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen ließen.“
„Unversehrtheit“ lichtempfindlicher Zellen sagt Krankheitsverlauf voraus
Die Wissenschaftler konnten zudem nachweisen, dass die Integrität der lichtempfindlichen Zellen außerhalb von Arealen geographischer Atrophie prognostisch für das zukünftige Fortschreiten der Erkrankung ist. „Möglicherweise ließe sich daher die Ausweitung von Hauptläsionen durch Therapieansätze verlangsamen, welche die umgebenden lichtempfindlichen Zellen schützen,“, meint Prof. Monika Fleckenstein vom Moran Eye Center der University of Utah in USA, Initiatorin der in Bonn durchgeführten Verlaufsstudie zu geographischer Atrophie, die der aktuellen Veröffentlichung zugrunde liegt.
„Die Forschung in der Augenheilkunde ist zunehmend datengetrieben. Die vollautomatisierte, präzise Analyse feinster, mikrostruktureller Veränderungen in Daten der optischen Kohärenztomographie mittels KI stellt ein wichtigen Schritt in Richtung personalisierte Medizin für Patienten mit altersabhängiger Makuladegeneration dar“, erläutert Erstautor Dr. Maximilian Pfau von der Universitäts-Augenklinik Bonn, der derzeit als Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und Postdoktorand an der Stanford University am Department of Biomedical Data Science tätig ist. „Weiterhin wäre es sinnvoll, Therapiestudien aus der Vergangenheit mit den neuen Methoden erneut auszuwerten, um auch mögliche Effekte auf die Photorezeptor-Integrität zu beurteilen.“
Publikation: Maximilian Pfau, Leon von der Emde, Luis de Sisternes, Joelle A. Hallak, Theodore Leng, Steffen Schmitz-Valckenberg, Frank G. Holz, Monika Fleckenstein, Daniel L. Rubin, MD: Progression of Photoreceptor Degeneration in Geographic Atrophy Secondary to Age-Related Macular Degeneration, JAMA Ophthalmology, DOI: 10.1001/jamaophthalmol.2020.2914