Kolibakterien produzieren Korallen-Antibiotikum
„Korallenriffe speichern das Klimagas Kohlendioxid und schaffen eine sehr hohe Biodiversität. Wenn wir die Riffe der Welt schützen wollen, müssen wir solche biologisch aktiven Naturstoffe, die medizinisch nutzbare Aktivitäten besitzen, auf nachhaltige Weise herstellen“, davon ist Brück überzeugt.
Natürliches Antibiotikum aus dem biotechnologischen Labor
Zusammen mit seinem Team am Werner Siemens-Lehrstuhl für Synthetische Biotechnologie ist es ihm jetzt erstmals gelungen, einen der Wirkstoffe der Hornkoralle im Labor herzustellen – ohne dass dafür ein einziger Riffbewohner sterben musste. Das Molekül „Erogorgiaene“ ist ein Antibiotikum. Erste Bioaktivitätstests zeigen, dass es geeignet ist, um multiresistente Tuberkulose-Erreger zu bekämpfen.
Bislang war an einen Einsatz des Wirkstoffs kaum zu denken: Die Hornkoralle enthält nur extrem geringe Mengen Erogorgiaene und steht zudem unter Schutz – sie als Rohstoffquelle zu nutzen wäre weder wirtschaftlich sinnvoll noch ökologisch vertretbar. Die Herstellung mit klassischen chemischen Verfahren ist zwar möglich, aber aufwändig und verbunden mit toxischen Abfällen. Ein Kilo des Wirkstoffs würde um die 21.000 Euro kosten.
Nachhaltige Biotechnologie lässt die Herstellungskosten sinken
„Mit biotechnologischen Methoden jedoch lässt sich Erogorgiaene schneller, umweltfreundlicher und erheblich günstiger herstellen. Die Produktionskosten pro Kilo würden mit diesem Verfahren nur noch bei etwa 9.000 Euro liegen“, betont Brück.
Das neue Verfahren, das er zusammen mit Kollegen aus Berlin, Kanada und Australien entwickelt hat, besteht aus nur zwei Schritten: Die Hauptarbeit machen gentechnisch optimierte Kolibakterien, die sich von Glycerin ernähren – einem Reststoff aus der Biodiesel-Produktion.
Die Kolibakterien produzieren ein Molekül, das sich dann mit Hilfe von Enzymen in den gewünschten Wirkstoff verwandeln lässt. Dabei entsteht kein Abfall, da alle Nebenprodukte in einem geschlossenen Kreislauf wiederverwendet werden können. Das innovative Verfahren wurde mittlerweile zum Patent angemeldet.
Wirkstoffentwicklung nach dem Vorbild der Natur
„Die neue Technologieplattform zur Produktion von Naturstoffen mit Hilfe biotechnologischer Verfahren erfüllt sämtliche 12 Kriterien der Grünen Chemie“, sagt Thomas Brück. „Außerdem erfüllt sie vier der UN-Nachhaltigkeitsziele: Gesundes Leben für alle, Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen, Bewahrung und nachhaltige Nutzung der Ozeane und der Meeres-Ressourcen sowie Bewahrung des Lebens an Land.“
Inzwischen arbeitet das Forschungsteam bereits an der biotechnologischen Herstellung eines weiteren Korallen-Wirkstoffs: Nach dem Vorbild der Natur soll das Molekül Erogorgiaene im Labor in den Wirkstoff Pseudopteropsin umgewandelt werden.
Auf den setzen Mediziner große Hoffnung: Klinische Studien haben gezeigt, dass Pseudopteropsin durch einen neuen Wirkmechanismus Entzündungen hemmt. Damit ist es potentiell ein Kandidat für die Therapie von überschießenden Immunreaktionen, beispielsweise bei Infektionen durch Viren wie Covid-19, aber auch von altersbedingten chronischen Entzündungen.
Publikationen:
Marion Ringel, Markus Reinbold, Max Hirte, Martina Haack, Claudia Huber, Wolfgang Eisenreich, Mahmoud A. Masri, Gerhard Schenk, Luke W. Guddat, Bernhard Loll, Russell Kerr, Daniel Garbe und Thomas Brück:
Towards a sustainable generation of pseudopterosin-type bioactives
Green Chemistry, July 20, 2020 – DOI: 10.1039/D0GC01697G
Mehr Informationen:
Die Forschung wurde unterstützt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Projekt „Optimized microbial conversion of biomass residues for sustainable production of high value diterpene bio-actives“ (OMCBP) sowie die Werner Siemens Stiftung. Neben den Arbeitsgruppen von Prof. Thomas Brück und Prof. Wolfgang Eisenreich an der Technischen Universität München waren an der Forschungsarbeit Teams von Prof. Russel G. Kerr, University of Prince Edward Island (Kanada), Dr. Bernhard Loll, Freie Universität Berlin (Deutschland) und Prof. Gary Schenk, University of Queensland (Australien) beteiligt.