EAST – AFNET 4 Studie: Frühe rhythmuserhaltende Therapie verbessert Aussichten bei Vorhofflimmern
Patienten mit neu diagnostiziertem Vorhofflimmern profitieren von einer frühen rhythmuserhaltenden Therapie. Das hat die Studie EAST – AFNET 4 herausgefunden, in der 2789 Patienten behandelt und fünf Jahre lang beobachtet wurden. Eine frühe rhythmuserhaltende Therapie mit Antiarrhythmika und/oder Katheterablation reduzierte im Vergleich zur üblichen Behandlung kardiovaskuläre Todesfälle, Schlaganfälle und durch Verschlechterung einer Herzinsuffizienz oder akutes Koronarsyndrom bedingte Krankenhausaufenthalte. Die Studie wurde heute beim Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) vorgestellt [1,2].
EAST – AFNET 4 ist eine europaweite klinische Studie, die vom Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET) in Kooperation mit der Europäischen Rhythmologen-Vereinigung (EHRA) durchgeführt wurde. EAST steht für Early treatment of Atrial fibrillation for Stroke prevention, auf Deutsch: frühe Behandlung von Vorhofflimmern zur Verhinderung von Schlaganfällen.
Der wissenschaftliche Leiter der EAST – AFNET 4 Studie und Vorstandsvorsitzende des AFNET, Prof. Paulus Kirchhof, Universitäres Herzzentrum Hamburg und Universität Birmingham, fasst die wesentlichen Ergebnisse der Studie zusammen: „Eine rhythmuserhaltende Therapie, die zügig begonnen wurde, sobald Vorhofflimmern diagnostiziert wurde, reduzierte bei Patienten mit einem frühen Stadium von Vorhofflimmern kardiovaskuläre Folgen, ohne dass die Patienten mehr Zeit im Krankenhaus verbringen mussten, und ohne Sicherheitsbedenken. Diese Ergebnisse haben das Potential, die klinische Praxis grundlegend zu verändern, hin zum frühen Rhythmuserhalt zeitnah nach der Diagnosestellung Vorhofflimmern.“
Vorhofflimmern geht meist mit einem unregelmäßigen schnellen Herzschlag einher, und die Betroffenen haben ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle, weil während des Flimmerns Blutgerinnsel im Herzvorhof entstehen und mit dem Blutstrom ins Gehirn gelangen können. Patienten mit dieser Herzrhythmusstörung sterben häufig vorzeitig oder erleiden schwere Folgekrankheiten – sogar dann, wenn sie nach den aktuellen Leitlinien behandelt werden. Die heute übliche Therapie besteht im Wesentlichen aus Medikamenten zur Regulierung der Herzschlagfrequenz, um den Herzmuskel zu schützen, und zur Blutgerinnungshemmung (orale Antikoagulation), um das Schlaganfallrisiko zu senken. Rhythmusmedikamente (Antiarrhythmika) oder nichtmedikamentöse Maßnahmen (Katheterablation) zum Erhalt des normalen Sinusrhythmus kommen nur dann zum Einsatz, wenn der Patient unter besonders schweren Symptomen leidet. Die EAST – AFNET 4 Studie hat untersucht, ob eine rhythmuserhaltende Therapie mit Medikamenten und/oder einer Katheterablation, wenn sie frühzeitig nach der Diagnose Vorhofflimmern begonnen wird, die Aussichten der Patienten verbessert.
„Sogar mit oraler Antikoagulation und optimaler Frequenzregulierung kommen kardiovaskuläre Todesfälle, Schlaganfälle und Herzschwäche bei Patienten mit Vorhofflimmern häufig vor, insbesondere bei denjenigen, die an Begleiterkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems leiden.“ sagt Prof. John Camm, St. George’s Universität, London, Großbritannien, und Mitglied des wissenschaftlichen Leitungsgremiums der EAST – AFNET 4 Studie.
„Das Risiko für schwere kardiovaskuläre Komplikationen und Todesfälle ist bei Patienten mit Vorhofflimmern im ersten Jahr nach der Diagnose am höchsten. Das legt nahe, dass eine Therapie am meisten nützt, wenn sie möglichst früh stattfindet.“ erklärt Prof. Kirchhof. „Außerdem verursacht Vorhofflimmern schon nach wenigen Wochen Schäden am Herzvorhof. Eine frühzeitige rhythmuserhaltende Therapie könnte diese Schäden verhindern oder verringern und die Behandlung dadurch wirksamer machen.“
Das Kompetenznetz Vorhofflimmern hat die EAST – AFNET 4 Studie ins Leben gerufen und als Sponsor durchgeführt. Als wissenschaftliche Partner waren die European Heart Rhythm Association (EHRA) und das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) beteiligt. Finanzielle Unterstützung zur Durchführung der Studie wurden von der Deutschen Herzstiftung, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Firmen Sanofi und Abbott zur Verfügung gestellt.
Insgesamt 2789 Patienten mit frühem Vorhofflimmern (weniger als ein Jahr nach der ersten Diagnose) nahmen an der EAST – AFNET 4 Studie teil. Sie wurden von 2011 bis 2016 in 135 Kliniken und Praxen in elf europäischen Ländern in die Studie eingeschlossen. Die Studienteilnehmer wurden einer der beiden Behandlungsgruppen „früher Rhythmuserhalt“ oder „übliche Behandlung“ nach dem Zufallsprinzip zugeordnet (Randomisierung). Die Patienten in beiden Gruppen erhielten eine leitlinienkonforme Therapie, bestehend aus der Behandlung ihrer kardiovaskulären Begleiterkrankungen, Blutgerinnungshemmung und Frequenzregulierung.
Alle Patienten der Gruppe „früher Rhythmuserhalt“ erhielten nach der Randomisierung zusätzlich Antiarrhythmika oder eine Katheterablation. Sobald bei einem Patienten dieser Gruppe Vorhofflimmern erneut auftrat, wurde die Therapie mit eine intensiviert mit dem Ziel, den normalen Sinusrhythmus durch eine Katheterablation und/oder antiarrhythmische Medikamente wiederherzustellen und möglichst dauerhaft zu erhalten.
Patienten der Gruppe „übliche Behandlung“ erhielten nur dann eine rhythmuserhaltende Therapie, wenn diese notwendig war, um durch Vorhofflimmern verursachte Symptome zu bessern, die trotz leitlinienkonformer frequenzregulierender Behandlung auftraten.
Anhand der im Prüfplan festgelegten Studienendpunkte wurden das Auftreten von schweren Komplikationen und die Krankenhausaufenthalte der Patienten zwischen beiden Studiengruppen verglichen. Der erste primäre Endpunkt umfasst kardiovaskulären Tod, Schlaganfall und Krankenhausaufenthalte wegen Verschlechterung einer Herzschwäche oder akutem Koronarsyndrom. Der zweite primäre Endpunkt zählt die pro Jahr im Krankenhaus verbrachten Nächte. Der primäre Sicherheitsendpunkt umfasst Schlaganfall, Tod jeglicher Ursache sowie schwere Komplikationen der rhythmuserhaltenden Therapie.
Die Randomisierung der Studienteilnehmer in eine der beiden Studiengruppen erfolgte durchschnittlich 36 Tage nach der Erstdiagnose. Fast alle Teilnehmer der Gruppe „früher Rhythmuserhalt“ (95 Prozent) erhielten tatsächlich die vorgesehene Behandlung, bestehend aus einem Antiarrhythmikum oder Katheterablation. Nach zwei Jahren waren 65 Prozent der Patienten der Gruppe „früher Rhythmuserhalt“ immer noch unter rhythmuserhaltender Therapie, und 19,4 Prozent der Patienten hatten sich einer Ablation unterzogen. 85 Prozent der Teilnehmer der Gruppe „übliche Behandlung“ waren ohne rhythmuserhaltende Maßnahmen versorgt worden. Von den Teilnehmern der Gruppe „früher Rhythmuserhalt“ befanden sich 82 Prozent im Sinusrhythmus, während es in der Gruppe „übliche Behandlung“ nur 61 Prozent waren.
Durch die frühe rhythmuserhaltende Therapie wurde ungefähr jedes fünfte Endpunkt-Ereignis verhindert: Die Studienteilnehmer wurden im Mittel über 5,1 Jahre beobachtet. Innerhalb dieser Beobachtungszeit ereignete sich der primäre Studienendpunkt in der Gruppe „früher Rhythmuserhalt“ bei 249 Patienten und in der Gruppe „übliche Behandlung“ bei 316 Patienten. Schwere Komplikationen und Krankenhausaufenthalte wegen Verschlechterung einer Herzinsuffizienz oder wegen eines akuten Koronarsyndroms waren also unter früher rhythmuserhaltender Therapie seltener als unter der üblichen Behandlung. Die absolute Risikoreduktion mit früher rhythmuserhaltender Behandlung lag bei 1,1 Prozent pro Jahr.
Prof. Hein Heidbüchel, Universität Antwerpen, Belgien, und Präsident der European Heart Rhythm Association (EHRA), erläutert: „Der klinische Nutzen des frühen Rhythmuserhalts zeigt sich auch in Subgruppen, zum Beispiel wenn man ausschließlich asymptomatische Patienten betrachtet, oder Patienten, die bei Randomisierung im Sinusrhythmus waren, oder Patienten ohne Herzschwäche.“ In der Gruppe „früher Rhythmuserhalt“ traten im Vergleich zur Gruppe „übliche Behandlung“ alle Bestandteile des primären Endpunktes seltener auf, kardiovaskuläre Todesfälle und Schlaganfälle waren signifikant reduziert.
Hinsichtlich des zweiten primären Endpunkts gab es keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen: Die im Krankenhaus verbrachte Zeit war unabhängig von der Behandlungsgruppe.
Der primäre Sicherheitsendpunkt ergab in beiden Gruppen ähnliche Zahlen: 231 Ereignisse bei „frühem Rhythmuserhalt“ gegenüber 223 Ereignissen bei „üblicher Behandlung“. Während in der Gruppe „früher Rhythmuserhalt“ Komplikationen der rhythmuserhaltenden Therapie zwar unregelmäßig, aber häufiger vorkamen, waren Schlaganfälle und Todesfälle in dieser Gruppe seltener, so dass sich die Zahl der Ereignisse in beiden Behandlungsgruppen insgesamt in etwa die Waage hält. Dieses Ergebnis deckt sich mit Beobachtungen aus anderen aktuellen Studien zur rhythmuserhaltenden Therapie.
AFNET Vorstandsmitglied und EAST Sponsor-Vertreter Prof. Andreas Götte, Paderborn, bemerkt abschließend: „AFNET und EHRA haben EAST – AFNET 4 als große wissenschaftsinitiierte Studie europaweit durchgeführt. Der Erfolg dieser Studie zeigt, dass solche Studien ein wirkungsvolles Mittel sind, um die klinische Praxis zu verändern.“
Informationen zu EAST – AFNET 4
https://www.easttrial.org
Twitter @afnet_ev, hashtag #EASTtrial
Publikationen
[1] Kirchhof P, Breithardt G, Camm AJ, et al. Improving outcomes in patients with atrial fibrillation: rationale and design of the Early treatment of Atrial fibrillation for Stroke prevention Trial. Am Heart J. 2013;166:442-448. doi:10.1016/j.ahj.2013.05.015
[2] Kirchhof P, Camm AJ, Goette A, Brandes A, Eckardt L, Elvan A, Fetsch T, van Gelder IC, Haase D, Haegeli LM, Hamann F, Heidbüchel H, Hindricks G, Kautzner J, Kuck K-H, Mont L, Ng GA, Rekosz J, Schön N, Schotten U, Suling A, Taggeselle J, Themistoclakis S, Vettorazzi E, Vardas P, Wegscheider K, Willems S, Crijns HJGM, Breithardt G, for the EAST – AFNET 4 trial investigators. Early rhythm control therapy in patients with atrial fibrillation. New England Journal of Medicine. Epub 29 Aug 2020.
doi: 10.1056/NEJMoa2019422
Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET)
Das Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET) ist ein interdisziplinäres Forschungsnetz, in dem Wissenschaftler und Ärzte aus Kliniken und Praxen deutschlandweit zusammenarbeiten. Ziel des Netzwerks ist es, die Behandlung und Versorgung von Patienten mit Vorhofflimmern in Deutschland, Europa und den USA durch koordinierte Forschung zu verbessern. Dazu führt das Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. wissenschaftsinitiierte klinische Studien (investigator initiated trials = IIT) und Register auf nationaler und internationaler Ebene durch. Der Verein ist aus dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kompetenznetz Vorhofflimmern hervorgegangen. Seit Januar 2015 werden einzelne Projekte und Infrastrukturen des AFNET vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) gefördert.
https://www.kompetenznetz-vorhofflimmern.de
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