An den Achillesfersen von Krebszellen
Eine neue Methode ermöglicht es, tausende Wirkstoffe gleichzeitig zu prüfen. Ein Start-Up um ÖAW-Molekularbiologe Stefan Ameres will das nun nutzen, um Medikamente gegen Krebs zu finden.
Das Start-up QUANTRO Therapeutics, das von Stefan Ameres vom IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Johannes Zuber vom Institut für Molekulare Pathologie (IMP) gegründet wurde, setzt auf neueste Methoden der funktionellen Genetik und zeitaufgelösten Transkriptomik, um Medikamente gegen Krebs zu entwickeln. Im Interview erklärt Ameres, wie das funktioniert.
Was ist das Ziel von QUANTRO Therapeutics?
Stefan Ameres: Wir kommen aus der Grundlagenforschung und haben neue Methoden in den Bereichen Transkriptomik und funktionelle Genetik entwickelt, mit denen wir jetzt neue Medikamente für die Krebstherapie entdecken und entwickeln wollen. Das Herzstück unseres jungen Unternehmens ist eine neue Art der Wirkstofffindung, mit der wir sehr viele Kandidatenmoleküle auf ihre Eignung als Medikamente gegen Krebs untersuchen können.
Wie stellt man sicher, dass ein Molekül nur Krebszellen unschädlich macht?
Ameres: Krebszellen durchlaufen während ihrer Entstehung bestimmte Veränderungen, die zu unkontrolliertem Wachstum führen. Das passiert bei gesunden Zellen nicht. Hier hat der Krebs Achillesfersen, nach denen Forscher schon jahrzehntelang suchen. Dabei hat sich herausgestellt, dass bestimmte Transkriptionsfaktoren, die das Umschreiben von DNA in RNA und damit auch die Herstellung von Proteinen in Zellen regeln, für Krebszellen unentbehrlich sind, jedoch in „normalen“ Zellen des entwickelten Organismus keine essentielle Rolle spielen. Hier können neue Medikamente ansetzen. Unser Know-how erlaubt erstmals die systematische Suche nach möglichen Wirkstoffen.
Wie findet man Moleküle, die relevante Transkriptionsfaktoren ausschalten können?
Ameres: Solche Inhibitoren identifizieren wir über ein charakteristisches Merkmal, das wir „Transkrptioneller Fingerabdruck“ nennen. Wir blockieren im Labor die Aktivität von Transkriptionsfaktoren in Krebszellen und analysieren dann das Transkriptom der Zelle, also die Gesamtheit der in der Zelle vorhandenen in RNA umgeschriebenen Gene. Dabei verwenden wir eine revolutionäre Methode namens SLAMseq, welche in meinem Labor entwickelt wurde und uns erlaubt unmittelbare transkriptionelle Effekte zu messen. Die dabei entstehende Signatur – der Fingerabdruck – dient uns als Zielvorgabe für wirksame Moleküle. So können wir in Zukunft bis zu 100.000 potentielle Kandidatenwirkstoffe gleichzeitig testen und prüfen, welche Ergebnisse zu unserem Vergleichsfingerabdruck passen.
Muss ein potenzielles Medikament exakt zu diesem Fingerabdruck passen?
Ameres: Nein, das ist das Schöne an dieser Methode: Es gibt Spielraum. Wir können systematisch Moleküle identifizieren, deren Auswirkungen auf das Transkriptom einer Krebszelle, also unserem Referenzfingerabdruck, möglichst nahe kommen. Dann können wir diese optimieren. Das funktioniert, weil wir mit SLAMseq neue Methoden entwickelt haben, die es erlauben, die Dynamik des Transkriptoms quantitativ zu studieren. Wir betrachten nicht nur ein Foto, sondern können wie auf einem Video zusehen, wie Gene in lebenden Zellen exprimiert werden.
Wie viele potenzielle Kandidaten für Krebsmedikamente gibt es?
Ameres: Die Zahl der möglichen Kandidaten ist extrem groß und man muss in diesem „chemischen Raum“ systematisch verschiedene Klassen testen. Hier haben wir mit der Firma Evotec glücklicherweise einen Partner gefunden, der exzellentes Know-How dafür besitzt diese Prüfungen an hohen Anzahlen systematisch ausgewählter Moleküle sehr effektiv durchzuführen. So haben wir Zugriff auf eine enorme Anzahl von potenziellen Wirkstoffen.
Gegen welche Arten von Krebs können so Medikamente entwickelt werden?
Ameres: Krebs ist ein äußerst diverses Phänomen. Manche Achillesfersen werden von mehreren Krebsarten geteilt, andere aber nicht. Die Systematik unseres Ansatzes ermöglicht es uns, mehrere Transkriptionsfaktoren auf potenzielle therapeutische Ansätze hin zu untersuchen, um möglichst viele verschiedene Typen von Krebsarten therapieren zu können. Langfristig planen wir diese Methode auch auf andere Krankheiten mit transkriptionellen Ursprung anzuwenden.
Muss die Wirkungsweise eines Transkriptionsfaktors im Detail bekannt sein, damit er als therapeutisches Ziel in Frage kommt?
Ameres: Bei vielen Transkriptionsfaktoren ist nicht genau klar, welche Effekte sie im Detail vermitteln. Die Genexpression und ihre Auswirkungen auf den Metabolismus von Zellen ist sehr komplex. Wir würden natürlich gerne genau wissen, wie jeder Transkriptionsfaktor funktioniert und wo wir ansetzen müssen um seine Wirkung zu inhibieren, aber für unsere Arbeit bei QUANTRO ist das nicht ausschlaggebend. Wir können Substanzen testen und systematisch untersuchen, ob sie molekular und physiologisch wirksam sind, auch wenn wir nicht im Detail wissen, warum das so ist.
Wann werden die ersten Kandidatenmoleküle getestet?
Ameres: Der Prozess ist aufwendig, weil derartige Screenings noch nie gemacht wurden. Es gibt noch einige Details zu klären. Wir arbeiten bereits seit zwei Jahren und konnten kürzlich mit dem Boehringer Ingelheim Venture Fund und Evotec zwei renommierte Investoren gewinnen. Das ermöglicht uns jetzt unsere Aktivitäten im Rahmen von QUANTRO Therapeutics stark zu erweitern. Wenn alles nach Plan läuft, werden wir schon sehr bald mit den Screenings starten.
AUF EINEN BLICK
Stefan Ameres ist Gruppenleiter am IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Mitglied der Jungen Akademie. Der START-Preisträger des FWF wurde 2018 für seine Methode SLAMSeq mit dem Houskapreis ausgezeichnet. Nach einem Starting Grant und einen Proof of Concept Grant erhielt er 2019 zudem einen Consolidator Grant des ERC (European Research Council).