Nutzer im Mittelpunkt
Auch nach der Covid-Krise bleiben im Gesundheitswesen grosse Herausforderungen. Digitaltechnologien können helfen, diese zu meistern. Was bei der Entwicklung beachtet werden muss, erklärt Nicole Wenderoth.
Die Covid-19-Pandemie hat die Gesundheitssysteme weltweit zumindest zeitweise an ihre Belastungsgrenze gebracht. Doch selbst wenn die schwerste Gesundheitskrise der jüngeren Geschichte überwunden sein wird, bleiben im Gesundheitswesen angesichts des globalen demografischen Wandels grosse Herausforderungen bestehen.
Im Jahr 2050 werden die über 60-Jährigen in der Schweiz 34 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Chronische Krankheiten werden daher zunehmen. Steigende Kosten und ein grösserer Bedarf an Pflege- und Therapiefachleuten werden das Gesundheitssystem unter Druck setzen. Diesem können wir nur begegnen, wenn Gesundheitsdienstleistungen in Zukunft effizienter erbracht werden bei gleichbleibend hoher Versorgungsqualität für jede Patientin und jeden Patienten.
Mobile digitale Gesundheitstechnologien, wie sie an der ETH Zürich und im Future-Health-Technologies-Programm am Singapore-ETH-Centre entwickelt werden, sind ein wichtiger Hebel, um diesen Effizienzgewinn zu erreichen. Sie ermöglichen es, Gesundheitsdienstleitungen vom Spital zum Patienten nach Hause zu verlagern. Solche Technologien können bei Bedarf zu jeder Tageszeit eingesetzt werden für eine Reihe von Anwendungen von der Krankheitsprävention über das Patientenmanagement bis hin zur Rehabilitation.
Sensoren, Daten, Roboter
Tragbare Sensoren und Datenanalysesysteme ermöglichen es beispielsweise, das Sturz- und Knochenbruchrisiko vorherzusagen und darauf zu reagieren, bevor es zu einem Unfall kommt. Und Robotersysteme für den Heimgebrauch erlauben es, Physiotherapie im Wohnzimmer anzubieten, dabei gleichzeitig sicherzustellen, dass Patienten Fortschritte machen, und mit Gesundheitsexperten zu kommunizieren. Sie könnten bei der Schlaganfallrehabilitation zu Hause in Zukunft eine Schlüsselrolle übernehmen.
Solche Systeme werden Ärzte und Therapeuten nie ersetzen, aber sie können den direkten Kontakt mit ihnen ergänzen. Chatbots (computerisierte Dialogsysteme) in Smartphone-Apps zum Beispiel können die Benutzer daran erinnern, im Alltag gesundheitsfördernde Gewohnheiten anzunehmen, und zwar auch dann, wenn kein Ernährungsberater oder Personal Trainer anwesend ist.
Es ist entscheidend, dass solche Systeme nicht nur die gewünschten Dienstleitungen erbringen, sondern auch von den Patienten und ihren Familien gut akzeptiert werden. Denn die Wirksamkeit solcher Technologien hängt in der Praxis davon ab, ob sie die Bedürfnisse der Anwender erfüllen und ob die Nutzer ihnen vertrauen. Das ist auch stark kontextabhängig, weswegen es wichtig ist, die Anwender frühzeitig in den Entwicklungsprozess einzubinden und ihre Kultur und sozialen Normen zu berücksichtigen.
Ein empfindliches Gleichgewicht
Die Herausforderungen für digitale Gesundheitstechnologien sind ähnlich wie jene von «Smart Technologys» in anderen Bereichen und von «Smart Citys». Eine Gemeinsamkeit all dieser Technologien ist, dass sie grosse Mengen personenbezogener Daten analysieren. Und wie wir bei den Covid-Apps zur Rückverfolgung der Kontakte von infizierten Personen gesehen haben, sind Datenschutz und Datensicherheit kritische Themen, die sorgfältig und angemessen angegangen werden müssen.
Es gibt einen Zielkonflikt zwischen maximaler Privatsphäre und maximalem medizinischen Nutzen für Patienten und Gesellschaft. Diesen gilt es zu berücksichtigen.
Die Nutzung einer Vielzahl von Daten eines Patienten ermöglicht nicht nur eine personalisierte Gesundheitsversorgung für diese einzelne Person, sondern langfristig auch die Optimierung von Gesundheitstechnologien zum Nutzen der ganzen Gesellschaft. Da Gesundheitsdaten jedoch sensibel sind, ist es von entscheidender Bedeutung, dass jeder und jede Einzelne entscheiden kann, welche Informationen und Aufzeichnungen von tragbaren Geräten, Fitness-Apps, sozialen Medien und anderen Quellen für die medizinische Diagnose und Behandlung gesammelt und verwendet werden dürfen.
Wenn es uns gelingt, auf diese Weise das Vertrauen der Nutzer zu gewinnen, werden wir es auch schaffen, eine der grössten nächsten Herausforderungen im Gesundheitswesen zu meistern.