Antibiotika bringen Darmmikrobiom aus dem Gleichgewicht
Wechselspiel zwischen Pilzen und Bakterien beeinträchtigt
Jena. Eine Behandlung mit Antibiotika beeinflusst das Mikrobiom im Verdauungssystem nachhaltig. Während sich die Bakterienflora innerhalb von 30 bis 90 Tagen nach Medikamentenbehandlung weitgehend regeneriert, verändert sich deren Wechselspiel mit den Pilzen, die ebenfalls den Darm besiedeln. In einer Kombination aus bioinformatischen Analysen und Laborexperimenten zeigte ein internationales Forscherteam nun, dass das friedliche Miteinander von Bakterien und Pilzen durch eine Antibiotikabehandlung in eine Konkurrenzsituation wechselt. Dies könnte in der Folge Pilzinfektionen begünstigen.
Die Entdeckung von Antibiotika war ein Meilenstein in der Medizingeschichte; schwere, oftmals tödliche Infektionen schienen für immer besiegt. Heutzutage sind auch negative Effekte des Antibiotikaeinsatzes bekannt: So wirkt er sich nachteilig auf die Zusammensetzung der Darmflora aus. „In unserem Verdauungstrakt herrscht ein empfindliches Gleichgewicht zahlreicher Mikrobenarten, das durch die Gabe von Antibiotika gestört wird. Nicht nur die Bakterien sind betroffen, sondern auch die in unserem Darm vorkommenden Pilze. Die Interaktion zwischen den Bakterien und Pilzen unter dem Einfluss von Antibiotika sind beim Menschen bislang noch nicht untersucht worden“, sagt Gianni Panagiotou, Leiter der Forschungsgruppe Systembiologie und Bioinformatik am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (Leibniz-HKI).
Für seine Studie analysierte das von Panagiotou geleitete Team Stuhlproben von 16 gesunden Probanden. 14 von ihnen erhielten über sechs Tage verschiedene Breitbandantibiotika, zwei weitere Studienteilnehmer bildeten die Kontrollgruppe. Die Freiwilligen gaben ihre Stuhlproben vor, während und nach der Antibiotikaeinnahme ab. „30 Tage nach Behandlungsende hat sich das bakterielle Mikrobiom weitgehend regeneriert. Wir konnten jedoch noch 90 Tage nach der Behandlung Veränderungen bei mehr als einem Drittel der Pilzspezies im Darm nachweisen. Dabei beobachteten wir, dass sich die Pilzgemeinschaften gemeinsam mit denen der Bakterien veränderten“, so Panagiotou. Die Pilze traten zueinander in Konkurrenz und es gelang nicht allen, sich erneut anzusiedeln. Dadurch nahm die Vielfalt der Pilzarten ab. Diese Veränderungen manifestierten sich über den weiteren Studienverlauf. Bei der Verarbeitung der gewonnenen Daten fanden die Forschenden einen weiteren Hinweis auf die große Bedeutung von Interaktionen zwischen Pilzen und Bakterien: So unterdrücken mehrere Stoffwechselprodukte der Bakterien die krankmachenden Fähigkeiten von Pilzen, wie beispielsweise dem Hefepilz Candida albicans.
„Unsere Studie mit ihrer relativ geringen Teilnehmerzahl führte bereits zu wichtigen neuen Erkenntnissen. Sie weist uns auch die Richtung weiterer Untersuchungen. So werden wir die Probandengruppe vergrößern und Antibiotika mit einem engeren Wirkungsspektrum einbeziehen“, sagt Panagiotou, der seinen Teil der Studie im Rahmen des DFG-Sonderforschungsbereiches/Transregio FungiNet durchführte. Mit seiner Forschung trägt er dazu bei, das komplexe Geschehen in mikrobiellen Gemeinschaften besser zu verstehen. Der Jenaer Exzellenzcluster Balance of the Microverse widmet sich solchen Mikrobiomen und möchte ihre Dynamiken erforschen sowie die zugrunde liegenden Prinzipien ihrer Regulation in verschiedenen Lebensräumen identifizieren. Diese Erkenntnisse tragen dazu bei, Lösungsansätze für verschiedene gesellschaftliche Bereiche wie der Medizin oder der Landwirtschaft zu entwickeln.
An der Studie arbeiteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Leibniz-HKI aus Jena, der Technischen Universität Dänemark und der Universität Hongkong mit. Sie analysierten mit bioinformatischen Methoden enorme Datenmengen aus den Gensequenzen aller in den Proben enthaltenen Mikroorganismen. Zudem untersuchten sie im biochemischen Labor die Freisetzung verschiedener bakterieller Stoffwechselprodukte, die das Pilzwachstum beeinflussen. Die Ergebnisse der Studie veröffentlichte das Forscherteam im Fachjournal Microbiome.
Originalpublikation
Seelbinder B, Chen J, Brunke S, Uribe RV, Meyer AC, de Oliveira Lino FS, Chan KF, Loos D, Imamovic L, Tsang CC, Lam RPK, Sridhar S, Kang K, Hube B, Woo PCY, Sommer MOA, Panagiotou G (2020) Antibiotics create a shift from mutualism to competition in human gut communities with a longer-lasting impact on fungi than bacteria. Microbiome 8, 133.
Das Leibniz-HKI
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des Leibniz-HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet modifiziert.
Das Leibniz-HKI verfügt über sechs wissenschaftliche Abteilungen und vier Forschungsgruppen, deren Leiter überwiegend berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie. Gemeinsam mit der FSU betreibt das HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 450 Personen am Leibniz-HKI, davon 150 als Doktoranden.
Das Leibniz-HKI ist Kernpartner großer Verbundvorhaben wie dem Exzellenzcluster Balance of the Microverse, der Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio), ChemBioSys und PolyTarget, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics sowie von InfectControl 2020, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Das Leibniz-HKI ist zudem Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.
Die Leibniz-Gemeinschaft
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 96 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften.
Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen – in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Die Leibniz-Institute unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.000 Personen, darunter 10.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Finanzvolumen liegt bei 1,9 Milliarden Euro.