Opioide als wirksame Mittel gegen den Schmerz?! Experten empfehlen kritischen Umgang
Deutscher Schmerzkongress 2020
Jahrestagung der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) e.V. vom 21. bis 24. Oktober 2020 in Mannheim und online
Opioide als wirksame Mittel im Kampf gegen den Schmerz?! Experten empfehlen kritischen Umgang
Opioide gehören zu den stärksten Schmerzmitteln mit relevantem Suchtpotential. Weltweit gehört Deutschland zu den Ländern mit den meisten Opioidverordnungen – rund 70 Prozent davon erfolgen bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (CNTS).
Dennoch liegt in Deutschland keine Opioidkrise vor, sagen Experten auf der Online-Pressekonferenz zum Deutschen Schmerzkongress 2020, die am Mittwoch, den 21. Oktober von 11 bis 12 Uhr, stattfindet. Sie empfehlen in der aktualisierten Leitlinie zur Schmerztherapie einen kritischen Umgang mit Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen. Medienvertreter können sich unter: https://register.gotowebinar.com/register/2515898518007216397 für die Pressekonferenz anmelden. Der Schmerzkongress findet in diesem Jahr online und live in Mannheim statt. Veranstalter sind die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) e.V.
Die Behandlung chronischer Schmerzen – tumorbedingt oder nicht-tumorbedingt – ist eine Herausforderung. Häufig kommen dabei Opioide zum Einsatz. Sie gehören zu den stärksten Schmerzmitteln. „Da mit der Verwendung der Schmerzhemmer bei CNTS zahlreiche Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schwindel und Müdigkeit einhergehen – und gleichzeitig die Wirkung bei CNTS bei vielen Patienten nur gering ist – sollte ihr Einsatz, gerade auch wegen dem Risiko einer Abhängigkeit, kritisch hinterfragt und überprüft werden“, sagt Professor Dr. Frank Petzke von der Abteilung Schmerzmedizin der Klinik für Anästhesiologie, Universitätsmedizin Göttingen. Das hätten beispielsweise die dramatischen Erfahrungen mit der Opioidkrise in den USA gezeigt, die durch die unkritische Verordnung medizinischer Opioide mit ausgelöst und unterhalten wurde. Mittlerweile wird die Krise durch die illegale Einnahme von Heroin und illegal hergestelltem Fentanyl und Fentanylanaloga verschärft. 2018 gab es in den USA circa 46000 Todesfälle im Zusammenhang mit einer Opioid-Überdosierung, davon etwa ein Drittel durch medizinisch verordnete Opioide. Geschätzt 1,7 Millionen Amerikaner sind von medizinisch verordneten Opioiden abhängig. Gerade weil in Deutschland im weltweiten Vergleich viele Opioidverordungen durchgeführt werden, beobachten Schmerzexperten die Entwicklungen hierzulande mit einem kritischen Blick. Von einer Opioidkrise wollen sie jedoch nicht sprechen – auch wenn Unter-, Fehl- und Überversorgungen im klinischen Alltag zu finden sind. „Damit die Gabe der Schmerzhemmer sozusagen in kontrollierten Bahnen erfolgt, hat es sich die Deutsche Schmerzgesellschaft bereits früh zur Aufgabe gemacht, Einsatzgebiete und Grenzen einer Schmerztherapie mit Opioiden zu definieren und Vorschläge für eine gute klinische Praxis zu erarbeiten“, erklärt Petzke.
Die Aktivitäten in diesem Bereich erfolgen schon seit vielen Jahren: Bereits 2009 erschien die erste Version einer Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (LONTS). Darin wurde darauf hingewiesen, dass Opioide im Durchschnitt nur geringe Wirkeffekte bei CNTS zeigen und dass deren Einsatz verantwortungsvoll erfolgen sollte. Zum Ausbleiben einer Opioidkrise in Deutschland trägt nach Einschätzung von Schmerzexperten zum einen diese Leitlinie bei, zum anderen auch das Gesundheitswesen: Hier werden auch Kosten für die oft wirksameren nicht-medikamentöse Schmerztherapien erstattet und Opioidverschreibungen reguliert.
Ein interdisziplinäres Team unter Beteiligung von Vertretern aus 30 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften sowie von zahlreichen Organisationen hat unter der Koordination der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. nun die dritte Version von LONTS erarbeitet (siehe untenstehender Link). Die Experten haben darin mögliche Indikationen, aber auch Kontraindikationen für Opioide bei CNTS definiert und Voraussetzungen für eine seriöse Entscheidungsfindung und Therapiebegleitung geschaffen. „In der überarbeiteten Leitlinie haben wir beispielsweise die Indikationen für eine Opioidbehandlung von mehr als vier Wochen bei chronischen Rücken- und Arthroseschmerzen weiter eingeengt“, sagt Petzke. Behandler und Patienten müssten demzufolge bereits vor Beginn der Behandlung gemeinsam Therapieziele definieren, sozusagen als zukünftige Marker eines individuellen Therapieerfolgs. Zudem haben die Experten in enger Zusammenarbeit mit suchtmedizinischen Experten in der Leitlinie diagnostische Kriterien zur Identifikation eines missbräuchlichen/abhängigen Gebrauchs von medizinisch verschriebenen Opioiden und Empfehlungen für Therapien erarbeitet.
„Die Leitlinie soll Therapeuten und Patienten bei der individuellen Entscheidung unterstützen, wann Opioide bei chronischen Schmerzen zum Einsatz kommen sollten und wann nicht“, fasst der Schmerzexperte zusammen.
Individualisierte Ansätze in der Schmerzmedizin werden auch in weiteren Vorträgen der Online- Pressekonferenz angesprochen, nämlich im Rahmen einer Antikörpertherapie oder bei der individualisierten Diagnostik von chronischen Schmerzen. Als Beispiel für die Digitalisierung der Schmerzmedizin stellt eine Expertin den Einsatz von Apps bei Migräne vor.
Link:
Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen- nicht tumorbedingten Schmerzen (LONTS):
https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/145-003.html
Terminhinweis:
Online-Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses
(21. bis 24. Oktober 2020) der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. und der
Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG)
„Gleich und doch verschieden – personalisierte Schmerzmedizin“
Termin: Mittwoch, 21. Oktober, 11:00 bis 12:00 Uhr
Anmeldung und Link für die Teilnahme an der Online-Pressekonferenz: https://register.gotowebinar.com/register/2515898518007216397
Vorläufige Themen und Referenten:
Neue Wundermittel gegen den Schmerz? Über die Wirkung der personalisierten Antikörpertherapie in der Schmerzmedizin
PD Dr. med Tim Jürgens, Präsident der DMKG, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsmedizin Rostock
Projekt PAIN2020: Der Patient im Fokus – wie eine individualisierte Diagnostik chronischen Schmerzen entgegenwirken kann
Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Ulrike Kaiser, Universitätsklinikum Dresden
UniversitätsSchmerzCentrum
Apps, Kopfschmerzregister und Co.: Über die Digitalisierung in der Kopfschmerzmedizin
Priv.-Doz. Dr. med. Ruth Ruscheweyh, Zertifizierte DMKG -Kopfschmerzexpertin, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München
Opioide – wirkungsvolle Mittel im Kampf gegen den Schmerz?! Neueste Erkenntnisse über Vor- und Nachteile
Prof. Dr. Frank Petzke, Klinik für Anästhesiologie, Abteilung Schmerzmedizin, Universitätsmedizin Göttingen
Moderation: Friederike Gehlenborg, Pressestelle des Deutschen Schmerzkongresses
Zur Deutschen Schmerzgesellschaft e.V.:
Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. ist mit über 3600 persönlichen Mitgliedern die größte wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaft im Bereich Schmerz in Europa. Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. ist Mitglied der IASP (International Association for the Study of Pain) sowie der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften). Sie ist zudem die interdisziplinäre Schmerzdachgesellschaft von derzeit 19 mitgliederstarken weiteren medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften im Bereich Schmerz. Diese Perspektive wird zudem erweitert durch die institutionelle korrespondierende Mitgliedschaft der Vereinigung aktiver Schmerzpatienten SchmerzLOS e.V. in der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V.
Die Mitgliedschaft der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. ist interdisziplinär und interprofessionell und besteht aus Schmerzexperten aus Praxis, Klinik, Psychologen, Pflege, Physiotherapie u. a. sowie wissenschaftlich ausgewiesenen Schmerzforschern aus Forschung, Hochschule und Lehre.
Zur Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG):
Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG) ist eine interdisziplinäre wissenschaftliche Fachgesellschaft, die das Wissen über die Genese von Kopf- und Gesichtsschmerzen, deren Prävention und Therapie in Fachkreisen bei Ärzten, Psychologen, Physiotherapeuten, Pharmakologen und Apothekern, aber gerade auch bei Patienten und anderen Interessierten mehren und verbreiten möchte.