Darm-Hirn-Achse beeinflusst Multiple Sklerose
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Universität Basel und des Universitätsspitals Basel, zu dem auch Wissenschaftler der Neurologischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) zählen, hat eine Verbindung zwischen der Darmflora und Entzündungsherden im zentralen Nervensystem bei Multipler Sklerose entdeckt. Bei dieser neu identifizierten Darm-Hirn-Achse spielt eine bestimmte Klasse von Immunzellen eine zentrale Rolle. Die Entdeckung könnte den Weg zu neuen Therapien gegen MS wiesen, die auf die Darmflora abzielen.
Was tun, wenn das eigene Immunsystem das Nervensystem angreift? Neuere Therapien gegen die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose (MS) setzen darauf, bestimmte Immunzellen (die B-Zellen) aus dem Blut der Betroffenen zu entfernen. Allerdings entdeckten Forschende aus Basel bereits vor einigen Jahren, dass man dabei besser kein zu breites Spektrum der verschiedenen B-Zellen entfernen sollte, da dies die Erkrankung sogar noch verschlimmern kann.
Eine neue Studie im Fachjournal Science Immunology wirft nun ein neues Licht auf diese Beobachtung: Ein internationales Forschungsteam um PD Dr. Anne-Katrin Pröbstel von der Universität und dem Universitätsspital Basel hat entdeckt, dass bestimmte B-Zellen eine Art Brücke zwischen der Darmflora und den Entzündungsherden im zentralen Nervensystem schlagen und hier entzündungshemmend wirken.
«Aus früheren Studien wissen wir, dass die Zusammensetzung der Darmflora eine Rolle bei der MS spielt. Aber wie genau sich Darmbakterien und Immunzellen gegenseitig beeinflussen, war bisher unbekannt», erklärt die Erstautorin der Studie, PD Dr. Pröbstel.
Immunzellen für Darm und Hirn
Im Mittelpunkt der neuen Studie standen sogenannte IgA-produzierende B-Zellen, kurz IgA-B-Zellen. Immunglobulin A (IgA) ist eine bestimmte Klasse von Antikörpern, die insbesondere die Immunabwehr der Schleimhäute sicherstellt. Die IgA-B-Zellen sind damit beispielsweise für die Darmgesundheit zentral.
Durch vergleichende Analysen von Stuhlproben von MS-Patienten und gesunden Personen stellten die Wissenschaftler fest, dass MS-Betroffene im Darm IgA-B-Zellen aufweisen, die sich insbesondere gegen MS-typische Darmbakterien richten – also solche, die gehäuft bei MS-Betroffenen vorkommen.
In einem weiteren Schritt analysierten sie die Rolle dieser Immunzellen im Krankheitsverlauf bei insgesamt 56 MS-Patienten. Demnach häuften sich die IgA-B-Zellen bei MS-Betroffenen mit akuten Entzündungsherden in der Hirn-Rückenmarks-Flüssigkeit und im Hirngewebe. In Kooperation mit dem Team um PD Dr. Lucas Schirmer von der Universitätsmedizin Mannheim konnten die Autoren zeigen, dass sich solche potenziell entzündungshemmenden IgA-B-Zellen in der Tat auch in MS-Läsionen im Gewebe von an MS verstorbenen Patienten anreichern.
«Offenbar wandern diese Immunzellen aus dem Darm zu den Entzündungsherden im zentralen Nervensystem und schütten dort einen entzündungshemmenden Botenstoff aus», fasst Pröbstel die Ergebnisse zusammen. «Das erklärt, warum sich die Erkrankung verschlimmert, wenn man diese Immunzellen mit Medikamenten aus dem Blut entfernt.»
Auslöser noch unbekannt
Was genau die IgA-B-Zellen als Helfer gegen MS aktiviert und dazu anregt, vom Darm ins zentrale Nervensystem zu wandern, wird weiter untersucht. Wäre der Auslöser bekannt, könnte dies ein Ansatzpunkt für die Behandlung der MS sein. Denkbar wäre beispielsweise, die Zusammensetzung der Darmflora von Betroffenen gezielt zu verändern, um die IgA-B-Zellen als Helfer gegen die Entzündungen im Nervensystem zu mobilisieren.
Neben der Universität Basel und der Universitätsmedizin Mannheim waren an der Studie auch die University of California San Francisco, die Technische Universität München, die Universitäten Umeå (Schweden) und Toronto (Kanada) sowie das Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam beteiligt.
Originalpublikation
Gut microbiota-specific IgA+ B cells traffic to the CNS in active multiple sclerosis
Anne-Katrin Pröbstel, et al
Science Immunology 20 Nov 2020:
Vol. 5, Issue 53, eabc7191
DOI: 10.1126/sciimmunol.abc7191