Pathologinnen und Pathologen gewinnen neue Einblicke in die Immuntherapie bei Lymphdrüsenkrebs
Medikamente, die das Immunsystem gegen Tumorzellen aktivieren, werden auch erfolgreich bei Lymphdrüsenkrebs eingesetzt. Eine Arbeitsgruppe unter der Führung von Dr. Wolfram Klapper, Leiter der Sektion Hämatopathologie des Instituts für Pathologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, und Professor an der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, konnte nun jedoch zeigen, dass die Therapie bei dieser Krebserkrankung aus einem anderen Grund wirkt, als zunächst angenommen wurde. Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit der Sektion für hämatologische Spezialdiagnostik der Klinik für Innere Medizin II mit den Schwerpunkten Hämatologie und Onkologie des UKSH, Campus Kiel, und dem Universitätsklinikum Köln durchgeführt und von der Deutschen Krebshilfe finanziert. Die Studienergebnisse wurden in dem hochrangigen Fachjournal „Blood“ publiziert, das die Arbeit als bemerkenswerten Beitrag zum Verständnis der Erkrankung einordnet.
Das Hodgkin-Lymphom ist ein Lymphdrüsenkrebs mit einem einzigartigen Merkmal: Innerhalb der krankhaft vergrößerten Lymphknoten machen die bösartigen Zellen in der Regel weniger als fünf Prozent aller Zellen aus; die Mehrheit stellen die gesunden Zellen des Immunsystems. Warum die Immunzellen zwar massenhaft den Weg in die Lymphknoten finden, es ihnen aber nicht gelingt, die bösartigen Zellen zu eliminieren, ist nicht vollständig geklärt. Ein Grund könnte ein Molekül auf den bösartigen Zellen sein, von dem man annimmt, dass es die angreifenden Immunzellen hemmt. In den vergangenen Jahren wurden Medikamente, sogenannte Immun-Checkpoint-Inhibitoren, entwickelt, die diese Hemmung aufheben und die körpereigene Abwehr aktivieren. Sie werden bereits erfolgreich gegen schwarzen Hautkrebs, Lungen- , Nieren- und Kopf-Hals-Tumoren eingesetzt.
Die Arbeitsgruppe untersuchte nun Gewebeproben aus den Lymphknoten von Patientinnen und Patienten, die mit den Medikamenten behandelt wurden. „Wir wollten den Immunzellen bei der Arbeit zusehen“, sagt Prof. Klapper. Das Ergebnis war überraschend: „Wir konnten unter der Therapie mit dem Medikament Nivolumab keine Aktivierung des Immunsystems nachweisen.“ Trotzdem verschwanden die bösartigen Zellen rasch, die Lymphknoten verkleinerten sich. „Wir gehen davon aus, dass durch die Therapie den bösartigen Zellen ein Überlebenssignal entzogen wird, das sie von den Immunzellen erhalten“, erklärt Dr. Sarah Reinke, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sektion für Hämatopathologie und Erstautorin der Studie, die neu entdeckte Wirkungsweise. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Menge der Immunzellen in den Lymphknoten nicht Ausdruck eines Angriffs sind, der von den bösartigen Zellen gestoppt wurde. Sondern dass die Tumorzellen die Immunzellen aktiv angelockt haben, um eine noch unbekannte Art von Unterstützung zu erhalten – die nun durch die Therapie unterbrochen wurde. Das neue Verständnis der Wirkungsweise trägt dazu bei, die Therapie effektiver einzusetzen und so womöglich Nebenwirkungen zu reduzieren, so Prof. Klapper.
Die Sektion Hämatopathologie ist das in Norddeutschland einzige Referenzzentrum des bundesweiten Kompetenznetzwerks Maligne Lymphome. Seit Jahrzehnten werden hier Lymphknoten-Gewebeproben von Patientinnen und Patienten aus ganz Deutschland bewertet und archiviert – in einer Biobank, die in den 1960er Jahren als erste spezialisierte Biobank in Deutschland gegründet wurde.
Die im Fachjournal „Blood“ veröffentlichte Originalarbeit trägt den Titel „Tumor and microenvironment response but no cytotoxic T-cell activation in classic Hodgkin lymphoma treated with anti-PD1“.
https://doi.org/10.1182/blood.2020008553