Erste Erkenntnisse der Tiroler Covid-19-Kinderstudie: „Wir müssen genau hinschauen und die zweite Welle abwarten“
In Tirol steht das psychische Wohlergehen von Kindern im Alter von 3 bis 12 Jahren im Fokus einer Studie. Das Projekt läuft zwei Jahre, dementsprechend gibt es erste Einblicke in die Ergebnisse. Die Auswertung der ersten Befragungsrunde zeigt die Einschränkung der Lebensqualität und das Bedrohungserleben von Kindern in Tiroler Hotspotregionen. Noch muss kein Alarm geschlagen, aber weiterhin genau hingeschaut werden, sagen die Expertinnen der Universitätsklinik Innsbruck. Am 14. Dezember startet die zweite Befragungsrunde.
Innsbruck, 09.12.2020: 24 Monate dauert das vom Land Tirol geförderte Forschungsprojekt der Univ.-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter. Ziel ist die langfristige Erfassung von Angst-, Stress- und Traumasymptomen sowie der Lebensqualität der 3 bis 12-jährigen Kinder. In regelmäßigen Abständen werden Kinder und Eltern befragt. 220 Kinder und 438 Eltern aus Nord- und Südtiroler Hotspotregionen gaben bereits im Juni 2020 Auskunft, auch über die Zeit der Quarantäne im März. „Ziel ist es, ein Früherkennungsinstrument von Belastungssymptomen zu entwickeln, dass in der Schule und im Kindergarten eingesetzt werden kann“, erklärt Kathrin Sevecke, Leiterin der Studie und Primaria der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Landeskrankenhaus (LKH) Hall. Auch haben die ersten Auswertungen direkt zur Weiterentwicklung von Entlastungs- und Unterstützungsmaßnahmen beigetragen. „Wir wollen eine Spezialsprechstunde und Telefonhotline an der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hall in Tirol für stark belastete Kinder und deren Eltern einrichten“, sagt Sevecke. Diese Services können mit der zweiten Befragungsrunde am 14. Dezember 2020 starten.
Ampelsystem: TeilnehmerInnen der Studie bekommen Hinweis auf Belastung
Zur zweiten Befragungsrunde, die am 14. Dezember startet, werden allerdings nicht nur diejenigen eingeladen, die schon beim ersten Mal dabei waren. Auch weitere interessierte Kinder und ihre Eltern aus Nord- und Südtirol sind aufgerufen, sich an der Onlinebefragung zu beteiligen. Neu eingeführt wurde ein Ampelsystem. Nach der Befragung zeigt den Kindern ein Smiley an, wie belastet sie sind. „Bei den Eltern gibt es eine Ampel. Zeigt diese gelb oder rot, heißt das, bitte nehmt Kontakt mit uns auf“, erklärt Silvia Exenberger, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Studie und Klinische und Gesundheitspsychologin. Ab 14. Dezember ist folgender Link für die Befragung freigeschalten: https://kidscreen.ches.pro
Einschränkung der Lebensqualität insbesondere durch fehlende soziale Kontakte
An der ersten Erhebung beteiligten sich 220 Kinder und 438 Eltern aus Hotspotregionen wie dem Paznaun- oder Grödnertal. Die erste Auswertung zeigt in Bezug auf Traumatisierung und Angstempfinden noch keine signifikanten Auffälligkeiten. „Das ist ein erster guter Befund, aber wir müssen jetzt genau hinschauen, wie sich dieser Wert entwickelt“, sagt Kathrin Sevecke. Deutliche Auswirkungen haben die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie auf die Lebensqualität der Kinder laut Angaben der Eltern. „Durch die Quarantäne haben die Kinder stark an Lebensqualität verloren. Nach dem Ende der Quarantäne hat sich gezeigt, dass dies zu 80 Prozent durch fehlende soziale Kontakte zustande kommt“, erklärt Sevecke.
Auch die Kinder betonen, dass sie sehr unter dem Verlust ihrer Freunde während der ersten Quarantäne im März 2020 gelitten haben. Allerdings seien auch positive Veränderungen bemerkt worden. So seien Kinder aus Sicht ihrer Eltern selbständiger und entschleunigt worden.
Geschlechterspezifische Unterschiede: Mädchen sind besorgter
In Bezug auf das Bedrohungserleben ergeben sich aber deutliche Unterschiede zwischen Mädchen und Buben. „Wir haben hier beispielsweise gefragt, ob die Kinder sehr besorgt waren, dass ein Familienmitglied erkranken könnte“, erklärt Silvia Exenberger. „Hier hat sich gezeigt, dass 62 Prozent der Mädchen dies sehr stark erlebt haben, allerdings nur 52 Prozent der Jungen.“ Auch haben Mütter ihre Söhne diesbezüglich besser eingeschätzt, als ihre Töchter. Das heißt, Mädchen haben ein intensiveres Bedrohungserleben und damit verbunden auch mehr Trauma- und Angstsymptome, allerdings fällt dies ihren Müttern weniger auf. „Das bedeutet, wir müssen hier genau hinschauen“, sagt die Psychologin. Regionale Auffälligkeiten gab es dagegen kaum: „Wir haben bisher keine großen Unterschiede zwischen Nord- und Südtirol festgestellt.“
Erstes Resümee: Belastung wird sich erst nach der zweiten Welle zeigen
„Wir müssen jetzt die Ergebnisse nach der zweiten Welle abwarten“, resümiert Klinikdirektorin Kathrin Sevecke. „Die Belastung wird sich voraussichtlich erst nach dieser Befragungsrunde zeigen. Dieser zweite Lock-Down geht vielmehr an das System und die Nerven.“ Die Expertinnen hoffen jedenfalls auf eine große Beteiligung an der zweiten Befragungsrunde.