Antikörper-Therapie gegen Covid-19

Rettender Schutz für chronisch Kranke und andere Risikogruppen?

Herzstiftung fördert Entwicklung neuer Antikörper-Therapie gegen Covid-19. Wirkstoff-Kandidat von Forschern der TU Braunschweig geht in klinische Phase. Prophylaxe-Option zur Impfung für chronisch Kranke und medizinische Fachkräfte

Eine Anwendung erster Impfstoff-Kandidaten an Menschen zum Schutz vor Covid-19 steht kurz bevor. Typische „aktive“ Impfstoffe heilen nicht die Erkrankung. Sie müssen schon vor Kontakt mit dem Krankheitserreger eine Immunantwort des Körpers auslösen, die mit der Bildung von schützenden Antikörpern einhergeht. „Die Impfung zum Schutz vor der ,normalen‘ Grippe hat insbesondere für Herzpatienten einen großen und erwiesenen Nutzen“, betont Herzspezialist Prof. Dr. Heribert Schunkert vom Vorstand der Deutschen Herzstiftung im Rahmen der Covid-19-Projektförderung der Herzstiftung.

Die Wirkung einer Impfung tritt allerdings erst nach zwei bis drei Wochen ein. Diese Zeitspanne ist aber zu lang für Patienten mit einer schweren akuten Covid-19-Erkrankung oder für medizinisches Pflegepersonal, das sofort geschützt werden soll. Neben Impfstoffen sollen deshalb auch Antikörper-Therapien („passive“ Impfstoffe) zum Schutz Gesunder vor einer Covid-19-Erkrankung oder zur Unterstützung des Immunsystems von Covid-19-Erkrankten zum Einsatz kommen. Sie könnten direkt das Virus neutralisieren. Im Labor hergestellte menschliche Antikörper haben den Vorteil, dass sie den Körper durch passive Immunisierung je nach Gabe (intravenös, subkutan) innerhalb von Minuten bis weniger Stunden vor einer Infektion durch das Coronavirus schützen – solange, bis das Immunsystem eigene Antikörper produziert hat.

Ältere und chronisch Kranke vor Covid-19 schützen

Genau hier setzt das von der Deutschen Herzstiftung finanziell mit 50.000 Euro geförderte Forschungsvorhaben „Menschliche monoklonale Antikörper gegen SARS-CoV-2 zur Prophylaxe gegen Covid-19 – Unterstützung der Entwicklung“ an der Technischen Universität Braunschweig an (zum Projekt im Video-Clip: www.youtube.com/watch?v=nCV0NytOLLs). Das Ziel der Entwicklung eines Medikaments gegen Covid-19 sollte sein, nicht nur den Heilungsprozess von akut Covid-19-Erkrankten zu unterstützen, sondern gerade auch Risikogruppen, die nicht hundertprozentig von einer Corona-Impfung profitieren können, vor einer Infektion zu schützen: Menschen mit Vorerkrankungen und ältere Personen. Die Gabe von Antikörpern kann deshalb eine wichtige therapeutische Ergänzung zur Impfung gegen Covid-19 sein. In Deutschland zählen Millionen Menschen zu den Bevölkerungsgruppen, die oft nicht schnell genug eine eigene Immunaktivität gegen Viren wie SARS-CoV-2 entwickeln können: Das sind neben Älteren insbesondere chronisch Kranke mit Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, angeborenen Herzfehlern, Patienten nach einer Organtransplantation mit ohnehin geschwächter Immunaktivität oder Patienten mit Nieren- oder Lungenkrankheiten.

Nachgebaute menschliche Antikörper gegen Covid-19 aus dem Reagenzglas

Einem Verbund von Wissenschaftlern unter der Leitung des Molekularbiologen Prof. Dr. Stefan Dübel von der Technischen Universität (TU) Braunschweig ist es im April 2020 gelungen, im Reagenzglas einen ersten menschlichen Antikörper (COR-101) gegen SARS-CoV-2 herzustellen. Die rund 80 Wissenschaftler im sogenannten „Corona Antibody Team“ (CORAT), einem Konsortium aus dem Institut für Biochemie, Biotechnologie und Bioinformatik der TU Braunschweig, das Prof. Dübel zusammen mit seinem Kollegen Prof. Michael Hust leitet, zusammen mit dem Biotechnologieunternehmen Yumab GmbH und vielen weiteren Unterstützern, haben den monoklonalen Antikörper COR-101 nach dem genetischen Bauplan, der DNA-Sequenz, von menschlichen Antikörpern, die der Blutbahn von Gesundeten entnommen wurden, nachgebaut. „Diese Antikörper sind von Antikörpern unseres eigenen Körpers nicht zu unterscheiden, außer dass sie die Coronaviren blockieren können“, erklärt Dübel. Klinische Studien sollen nun die Wirksamkeit von COR-101 am Menschen in einem – von den Zulassungsbehörden so auch genehmigten – stark verkürzten Verfahren erproben. Zunächst erfolgen sorgfältige Tests des neuen Wirkstoffs auf Nebenwirkungen, wie Dübel betont. „Menschliche Antikörper haben aber erfahrungsgemäß ein wesentlich verträglicheres Nebenwirkungsprofil als chemische Substanzen – schließlich hat jeder sie auch sonst stets in großen Mengen im eigenen Blut.“

Wirkungsmechanismus gegen SARS-CoV-2 aufgeklärt

Der von CORAT nachgebaute Antikörper wirkt nach einem sehr einfachen Prinzip. Er zielt auf einen Oberflächenanker auf der Proteinhülle von SARS-CoV-2, das Virusoberflächen-Spike-Protein, mit dem das Virus an die menschliche Zelle andockt. Der Antikörper blockiert das Spike-Protein und verhindert damit das Andocken und somit das Eindringen des Virus in die Zelle: der menschliche Organismus wird vor einem Ausbruch von Covid-19 geschützt (Abb.). Die klinische Anwendung dieses neutralisierenden Antikörper-Kandidaten soll sich auf diejenigen Patienten konzentrieren, die nicht durch eine Impfung behandelt werden können. „Wir erwarten, dass der Antikörper auch Gesunde, also noch nicht an Covid-19 Erkrankte, vor einer Coronavirus-Infektion schützen kann“, so Dübel. Die Wirkungsdauer dürfte nach den Erfahrungen mit anderen Antikörper-Medikamenten ungefähr ein bis drei Monate betragen.

Antikörper-Herstellung in Zellkraftwerken: große Mengen, konstante Qualität

Gefunden haben die Braunschweiger Wissenschaftler ihren „Antikörper-Super-Kandidaten“ in Genbibliotheken mit rund 10 Milliarden menschlichen Antikörper-Genbauplänen. Die Genbibliotheken werden aus Immunzellen im menschlichen Blut von Spendern gewonnen, darunter auch von genesenen Covid-19-Patienten. Das gesamte Antikörper-Repertoire eines Menschen passt dabei in ein kleines Teströhrchen. In einer Vielzahl parallel laufender Tests musste sich der ideale Antikörper-Wirkstoff-Kandidat dadurch qualifizieren, nicht nur gegen das SARS-CoV-2 zu wirken, sondern auch gute Lagereigenschaften aufzuweisen und gut produzierbar zu sein. Außerdem erkennt er auch neue Varianten (Mutanten) des Virus, die mittlerweile entstanden sind.

Antikörper-Verfahren bereits bei Virus-Bekämpfung bewährt

Dübel und seine CORAT-Kollegen haben den SARS-CoV-2 neutralisierenden Antikörper mithilfe des sogenannten Antikörper-Phagen-Displays erzeugt. Dieses Verfahren, vor Corona schon von Forschern der TU Braunschweig entwickelt, hatte sich bereits bei vielen anderen Viren, darunter den gefährlichen Marburg-Viren oder dem Sudan-Ebola-Virus bewährt. „Dabei werden menschliche monoklonale, also aus einem einzigen Zellklon stammende Antikörper aus menschlichem Blut auf der Oberfläche eines Phagen, eine Art Transportvirus, festgehalten“, erklärt Prof. Dübel im Magazin der TU Braunschweig. „Der Vorteil des Verfahrens liegt darin begründet, dass Antikörper gegen beliebige Stoffe in kürzesten Zeiträumen gefunden werden können, weil keine Abhängigkeit von Plasmaspendern besteht“, betont der Forscher. Hinzu komme, dass bei Plasmaspenden von Menschen die Qualität der Antikörper immer variiert, und auch nicht genügend gewonnen werden könne, um alle Erkrankte zu behandeln. Dies wurde auch in einer klinischen Studie deutlich, die keinen Nutzen eines Serums aus Antikörpern von Covid-19-Genesenden zeigen konnte (DOI:10.1056/NEJMoa2031304). Bei künstlich hergestellten, aber dennoch genetisch komplett menschlichen Antikörpern nach dem Verfahren der Braunschweiger Forscher im CORAT-Verbund sei dagegen stets eine genau bekannte Zusammensetzung und höchste Qualität der Antikörper gewährleistet, und sie können in beliebigen Mengen produziert werden.

Einfachere Anwendung von Antikörpern

Dübel betont noch einen weiteren Vorteil von Antikörpern: „Im Gegensatz zu den sich derzeit in der Zulassung befindenden RNA-Impfstoffen benötigen Antikörper-Medikamente keine ausgeklügelte Tiefkühllogistik, denn sie sind sehr stabile und robuste Moleküle“. Schon vor einem Jahrhundert hätten Ärzte, so der Molekularbiologe, wochenlang ungekühlt Fläschchen mit Antikörpern in ihren Taschen mit sich herumgetragen, um sie beispielsweise für den Einsatz gegen Tetanus oder Diphtherie stets bereit zu haben. „Für COR-101 erwarte ich deshalb auch eine viel einfachere und günstigere Logistik als für die derzeit entwickelten RNA-Impfstoffe. Außerdem benötigen wir viel weniger Dosen im Vergleich zu diesen Impfstoffen, da wir nur Infizierte und Risikogruppen behandeln müssen.“