Morbus Crohn
Coronavirus-Pandemie: Erhöht eine chronische Darmentzündung das Risiko?
Original Titel:
Are patients with inflammatory bowel disease at increased risk for Covid-19 infection?
MedWiss – Zwei Wissenschaftler aus Italien befassten sich mit der Fragestellung, ob Patienten mit einer chronischen Darmentzündung ein größeres Risiko für COVID-19 aufweisen. Sie kamen zu dem Schluss, dass nach jetzigem Wissensstand nicht davon ausgegangen werden kann, dass Betroffene ein erhöhtes Risiko haben.
Das neue Coronavirus SARS-CoV-2 breitet sich rasant aus. In den meisten Fällen verläuft eine Infektion mit SARS-CoV-2 mild, doch gerade ältere Patienten und Patienten mit Vorerkrankungen haben häufiger einen schweren oder gar tödlichen Krankheitsverlauf. Patienten mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung (CED) stehen ebenfalls im Verdacht, ein erhöhtes Risiko für COVID-19, die Krankheit, die durch SARS-CoV-2 ausgelöst wird, bzw. für einen schwereren Krankheitsverlauf von COVID-19 zu haben. Die Wissenschaftler Giovanni Monteleone und Sandro Ardizzone der Universität Tor Vergata (Rom) bzw. Universität Mailand erörterten in einer Veröffentlichung, ob Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa ein erhöhtes Risiko aufweisen.
Wieso könnten Patienten mit chronischer Darmentzündung ein erhöhtes Risiko aufweisen?
Manche COVID-19-Patienten berichteten von gastrointestinalen Symptomen. Analysen verschiedener Proben von Patienten mit COVID-19 haben gezeigt, dass SARS-CoV-2 in vielen Fällen auch in Stuhlproben nachweisbar war. Oftmals wurden die Viren auch dann noch in den Stuhlproben gefunden, wenn sie in Atemwegsproben schon nicht mehr nachweisbar waren.
Coronaviren binden an Angiotensin-konvertierendes Enzym 2 (kurz ACE2) und können so in die Wirtszellen eindringen. ACE2 wird von verschiedenen Zellen hergestellt – nämlich von den Epithelzellen der Lunge, des Darm, der Niere und der Blutgefäße. Im terminalen Ileum und im Dickdarm sind sie in besonders hohen Konzentrationen vorhanden. Und hier kommen auch die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen ins Spiel. Die Expression (also im Prinzip die Herstellung) von ACE2 ist bei Patienten mit chronischer Darmentzündung im entzündeten Darm erhöht – besonders bei Patienten mit Morbus Crohn.
Neben der Bindung an ACE2 ist die Fusion der Coronavirus-Hülle mit der Wirtszelle ein entscheidender Schritt bei der Infektion. Ein Protein, das bei diesem Schritt involviert ist, soll bei Patienten mit einer chronischen Darmentzündung aktiver sein.
Diese Beobachtungen lassen vermuten, dass der entzündete Darm von Patienten mit chronischer Darmentzündung eine optimale Eintrittspforte für den Virus darstellt. Allerdings fanden die beiden Wissenschaftler bei ihrer Suche in der Datenbank PubMed am 17. März 2020 keine Hinweise darauf, dass Patienten mit chronischer Darmentzündung häufiger an COVID-19 erkrankten als die Allgemeinbevölkerung. Außerdem wurde bisher von den CED-Zentren in Wuhan keine SARS-CoV-2-Infektionen bei Patienten mit chronischer Darmentzündung gemeldet. Was könnten die Gründe dafür sein?
ACE2 ist nicht gleich ACE2
Es gibt zwei unterschiedliche Formen von ACE2 – eines das auf der Zelloberfläche sitzt und eines, das in geringen Mengen im Blut zirkuliert. ACE2, welches an der Zelloberfläche verankert ist, dient als Eintrittspforte für SARS-CoV-2. Das im Blut zirkulierende ACE2 scheint laut in vitro-Studien das SARS-CoV-2 abzufangen. SARS-CoV-2, welches an dem zirkulierenden ACE2 bindet, bindet somit nicht mehr an ACE2, welches in der Membran verankert ist, und gelangt somit auch nicht in die Zelle. Bei Patienten mit chronischer Darmentzündung ist das ACE2, welches im Blut zirkuliert, erhöht, was einen schützenden Effekt im Hinblick auf eine SARS-CoV-2-Infektion haben könnte. Außerdem ist noch nicht sicher geklärt, ob die Menge an ACE2 an der Oberfläche von Darmzellen für das Eindringen und die Vermehrung von SARS-CoV-2 in Darmzellen relevant ist. Möglicherweise sind weitere, bis jetzt noch nicht identifizierte Faktoren nötig, damit SARS-CoV-2 an die Wirtszelle bindet. Immerhin breitet sich das Virus schnell über die Atemwege aus, obwohl die oberen Atemwege nur eine moderate Menge an ACE2 an der Zelloberfläche aufweisen.
Entzündungshemmende Wirkstoffe könnten sich auch positiv auswirken
Ein anderer wichtiger Punkt, der bei Patienten mit chronischer Darmentzündung im Hinblick auf SARS-CoV-2 berücksichtigt werden sollte, ist ihre medikamentöse Behandlung. Viele Patienten erhalten immunsupprimierende Medikamente, um die chronische Darmentzündung unter Kontrolle zu bekommen/halten. Immunsupprimierende Medikamente unterdrücken das Immunsystem, was zur Folge hat, dass die Betroffenen anfälliger für Infektionen sind. Auf der anderen Seite könnte die Unterdrückung der Entzündungsreaktion durch die Hemmung bestimmter, entzündungsrelevanter Zytokine nicht nur im Hinblick auf die Entzündungen im Darm, sondern eventuell auch bei Lungenentzündungen wie COVID-19 hilfreich sein. Patienten mit schwerer COVID-19 wiesen nämlich ein ähnliches Zytokinprofil auf wie der entzündete Darm von Patienten mit chronischer Darmentzündung. Das galt auch für die lebensbedrohliche Überreaktion des Immunsystems (Zytokinsturm), bei der hohe Konzentrationen an entzündungsrelevanten Zytokinen gebildet werden und die in sehr ernsten Fällen von COVID-19 auftritt. Dementsprechend könnten Wirkstoffe, die diese Zytokine hemmen, auch bei schweren Formen von COVID-19 hilfreich sein. Solche Wirkstoffe werden für die Behandlung von chronischen Entzündungen wie chronische Darmentzündungen oder rheumatoide Arthritis eingesetzt. In China wurde ein solcher Wirkstoff (Tocilizumab) bereits gegen den Zytokinsturm bei COVID-19 eingesetzt.
Die Wissenschaftler schlussfolgerten, dass nach jetzigem Wissensstand nicht davon ausgegangen werden kann, dass Patienten mit chronischer Darmentzündung ein erhöhtes Risiko für COVID-19 haben. Daher raten sie den Patienten, ihre Medikamente weiterhin anzuwenden. Allerdings sollten Patienten, die Immunsuppressiva bekommen, verstärkt auf COVID-19-Symptome achten. Generell sollten Patienten, die älter als 60 Jahre alt sind oder zusätzliche Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Lungenerkrankungen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden, komplett zu Hause bleiben und Versammlungen meiden.
[DOI 10.1093/ecco-jcc/jjaa061]
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