Bauchspeicheldrüse im Eigenbau
Die Technische Hochschule Aschaffenburg untersuchte die ungewöhnliche Do-it-yourself-Szene unter Diabetiker*innen beim Bau und Einsatz von künstlichen Bauchspeicheldrüsen. Die Ergebnisse wurden kürzlich in Kooperation mit dem Uniklinikum Würzburg publiziert.
Bei Diabetes Mellitus, der Zuckerkrankheit, versiegt in der Bauchspeicheldrüse die Produktion von Insulin, dem zuckerverarbeitenden Hormon. Mit einer Reihe von medizintechnischen Hilfsmitteln kann die Funktion des Organs weitgehend nachgebildet werden, was den Diabetiker*innen den Alltag erleichtert und die Blutzuckereinstellung verbessert. Für eine kontinuierliche Glukosemessung wird dabei ein Klebesensor mit einer sehr feinen Nadel ins Unterhautfettgewebe eingestochen. Bei einer manuellen Lösung liest der Patient die dort gewonnenen Messdaten zum Blutzuckerspiegel aus – häufig über eine Smartphone-App. Entsprechend dieser Informationen stellt er eine kleine Pumpe ein, die bedarfsgerecht Insulin ins Unterhautfettgewebe injiziert.
Als Weiterentwicklung dieser Methode gilt ein sogenanntes Closed-Loop-System, das den Insulinwert permanent misst und ohne Zutun des Patienten die Insulinzufuhr eigenständig steuert. Das erste kommerzielle Closed-Loop-System ist seit dem Jahr 2019 in Deutschland erhältlich.
Technikaffine Community treibt die Industrie vor sich her
Allerdings ist der Bau einer solchen künstlichen Bauchspeicheldrüse technisch schon deutlich länger möglich: Eine junge, technikaffine Gemeinde an Diabetiker*innen entwickelt und nutzt seit 2014 eine Software, die eine Kommunikation zwischen Pumpe und Sensor über einen zwischengeschalteten Computerchip ermöglicht. „Es ist faszinierend, dass hier seit Jahren eine blühende Do-it-yourself-Community die Industrie quasi vor sich hertreibt“, sagt Prof. Dr. Holger K. von Jouanne-Diedrich, der an der Technischen Hochschule Aschaffenburg im Bereich Künstliche Intelligenz lehrt und forscht sowie den neuen Studiengang Medical Engineering and Data Science mit konzipiert, aufgebaut und gestaltet hat. Unter seiner Leitung wurde im Rahmen eines Masterprojektes ein solches Do-it-yourself-System gebaut. Außerdem wurden über tausend Patient*innen befragt, um herauszufinden, welche Diabeteshilfsmittel sie einsetzen, welche Funktionen nötig wären, wer bereits eine künstliche Bauchspeicheldrüse verwendet und ob selbstgebaute Systeme Vorteile haben. Von Seite des Uniklinikums Würzburg unterstützten Dr. Anna Laura Herzog und Prof. Dr. Christoph Wanner das Vorhaben. Die Umfrage wurden im Dezember 2020 gemeinsam in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Plos One veröffentlicht.
Mindestens 100 Eigenbau-Systeme im Einsatz
Demnach würde die Hälfte der Umfrageteilnehmer*innen einem automatischen System am ehesten vertrauen. Mehr als 85 % wären bereit, ein kommerzielles System zu nutzen – der Zeitpunkt der Umfrage war kurz vor der Zulassung des ersten kommerziellen Systems. Über 100 Teilnehmer*innen setzen bereits ein selbstgebautes Closed-Loop-System ein. „Da diese Systeme wegen der fehlenden behördlichen Überwachung nicht von den Diabetes-Fachgesellschaften empfohlen werden, gab es bisher wenig medizinische Veröffentlichungen über die Verbreitung und Anwenderzufriedenheit in Deutschland. Durch die erfreulich hohe Umfragebeteiligung war es uns erstmals möglich, einen guten Überblick über die aktuelle Nutzung in Deutschland zu erlangen“, resümiert Prof. von Jouanne-Diedrich.
Literatur:
Herzog AL, Busch J, Wanner C, von Jouanne-Diedrich HK (2020) Survey about do-it-yourself closed loop systems in the treatment of diabetes in Germany. PLoS ONE 15(12): e0243465. doi.org/10.1371/journal.pone.0243465