COVID-19 / Erkrankung

COVID-19, Hypoxia, systemische Inflammation: Die richtigen Patienten für Tocilizumab?

Original Titel:
Tocilizumab in patients admitted to hospital with COVID-19 (RECOVERY): preliminary results of a randomised, controlled, open-label, platform trial

Kurz & fundiert

  • PrePrint-Veröffentlichung, vorläufige Analyse laufender Studie
  • Größere klinische Studie zu Tocilizumab bei COVID-19
  • Behandlung von COVID-19-Patienten mit Hypoxia und systemischer Inflammation
  • Analyse von über 4 000 COVID-19-Patienten: Tocilizumab versus Standardbehandlung
  • Bestätigung der Relevanz systemischer Kortikosteroide
  • Trotz offener Fragen: Endlich die richtige COVID-Patientengruppe für Tocilizumab?

 

MedWiss – Tocilizumab ist ein monoklonaler Antikörper, der an den Rezeptor für das Interleukin IL-6 bindet, dadurch Entzündungsprozesse hemmt und daher auch bei COVID-19 hilfreich sein könnte. Die vorliegende Studie bietet trotz offener Fragen den bislang größten Datensatz zum klinischen Vergleich von COVID-19-Patienten (mit Hypoxia und systemischer Inflammation) unter Tocilizumab versus Standardbehandlung. Die Daten erlauben, im Gegensatz zu vorherigen, erfolglosen Studien, eine vorsichtige Hoffnung, dass nun die richtige Patientengruppe für eine wirksame Therapieverbesserung bei COVID-19 mit IL-6-Antagonisten gefunden ist. Die Studie wurde als PrePrint veröffentlicht.


Tocilizumab ist ein monoklonaler Antikörper, der an den Rezeptor für das Interleukin IL-6 bindet und dadurch Entzündungsprozesse hemmt. Der Wirkstoff wird vor allem zur Behandlung rheumatoider Arthritis eingesetzt. Wegen seiner antiinflammatorischen Wirkung ist der Antikörper allerdings auch bei der Behandlung von COVID-19 von Interesse. Mehrere kleinere Studien hatten ihn eher ohne Erfolg untersucht. Nun wurde allerdings die Sicherheit und Wirksamkeit von Tocilizumab bei erwachsenen Patienten mit klinisch behandeltem COVID-19 untersucht, die sowohl Anzeichen für Hypoxia als auch systemischer Inflammation aufwiesen. Die Studiengruppe veröffentlichte nun im PrePrint eine vorläufige Analyse der laufenden Studie.

Größere klinische Studie zu Tocilizumab bei COVID-19

In dieser randomisierten, kontrollierten, offenen (open-label) Plattform-Studie wurden verschiedene Behandlungen für Patienten in klinischer Behandlung wegen COVID-19 in Großbritannien untersucht. Studienteilnehmer mit Hypoxia (Sauerstoffsättigung < 92 % in Luft oder Sauerstofftherapie) und Anzeichen für systemische Inflammation (C-reaktives Protein, CRP ≥ 75 mg/l) konnten randomisiert werden, um entweder die Standardbehandlung zu erhalten oder zusätzlich intravenöses Tocilizumab (400 mg – 800 mg je nach Körpergewicht). Eine zweite Dosis konnte nach 12 bis 24 Stunden verabreicht werden, wenn der klinische Zustand des Patienten sich nicht verbessert hatte. Vorrangig wurde die Sterblichkeit innerhalb von 28 Tagen analysiert.

Behandlung von COVID-19-Patienten mit Hypoxia und systemischer Inflammation

Zwischen 23. April 2020 und 24. Januar 2021 wurden 4 116 Erwachsene in die Einschätzung von Tocilizumab aufgenommen. Von den Patienten wurden 562 (14 %) mechanisch beatmet, 1 686 (41 %) erhielten nicht-invasive Atemunterstützung und 1 868 (45 %) erhielten keine Atemunterstützung bis auf Sauerstoff. Die medianen CRP-Werte betrugen 143 mg/l. 3 385 (82 %) Patienten erhielten systemische Kortikosteroide zum Zeitpunkt der Randomisierung.

Zur Nachbeobachtung wurden Fragebögen ausgefüllt. Diese wurden zum Zeitpunkt dieser vorläufigen Analyse für 1 602 (79 %) von 2 022 randomisierten Patienten in der Tocilizumab-Gruppe und für 1 664 (79 %) von 2 094 Patienten in der Gruppe mit Standardbehandlung ausgefüllt.

Von diesen Patienten hatten 1 333 (83 %) der Patienten in der Tocilizumab-Gruppe und 44 (3 %) der Patienten in der Standardbehandlung mindestens eine Dosis Tocilizumab oder Sarilumab (ebenfalls ein IL-6 Antagonist) erhalten. 461 (29 %) Patienten in der Tocilizumab-Gruppe und 10 (<1 %) in der Standardbehandlungsgruppe erhielten mehr als eine Dosis Tocilizumab oder Sarilumab. Weitere Behandlungen für COVID-19 während der 28 Tage nach Randomisierung waren vergleichbar in beiden Behandlungsgruppen.

Analyse von über 4 000 COVID-19-Patienten: Tocilizumab versus Standardbehandlung

Die Behandlung mit Tocilizumab war mit einer signifikanten Reduktion der Sterblichkeit nach 28 Tagen im Vergleich zur Standardbehandlung assoziiert. 596 Patienten von 2 022 (29 %) in der Tocilizumab-Gruppe verstarben im Vergleich zu 694 (33 %) von 2 094 Patienten in der Gruppe mit der Standardbehandlung. Das Verhältnis von Verstorbenen in der Tocilizumab-Gruppe relativ zur Standardbehandlungsgruppe betrug 0,86 (95 % Konfidenzintervall, CI: 0,77 – 0,96; p = 0,007). Die Autoren berichten auch eine exploratorische Analyse zu Patienten mit positivem SARS-CoV-2-Nachweis (3 858 Patienten, 94 %). Bei diesen betrug das Ratenverhältnis Verstorbener in Tocilizumab- vs. Standard-Gruppe 0,87 (95 % CI: 0,78 – 0,98; p = 0,02).

Reduktion der Sterblichkeit bei Patienten mit Hypoxia und systemischer Inflammation

Die Behandlung mit Tocilizumab war auch mit einer größeren Wahrscheinlichkeit zu einer Entlassung aus dem Krankenhaus innerhalb von 28 Tagen assoziiert (54 % mit Tocilizumab vs. 47 % mit Standardbehandlung; Ratenverhältnis 1,22; 95 % CI: 1,12 – 1,34, p < 0,0001). Deutlich war auch ein Behandlungsvorteil bei den Patienten zu sehen, die zu Beginn der Randomisierung nicht invasiv mechanisch beatmet wurden. Hier war Tocilizumab mit einer Risikoreduktion mit Blick auf Progression in Richtung mechanischer Beatmung oder Tod im Vergleich zur Standardbehandlung assoziiert (33 % vs. 38 %, Risikoverhältnis 0,85; 95 % CI: 0,78 – 0,93; p = 0,0005).

Die Analyse diverser weiterer Untergruppen der Patientenpopulation erbrachte keine deutlichen Unterschiede. Es könnte eventuell aber einen Vorteil für Männer geben, zusätzlich mit Tocilizumab behandelt zu werden. Bestätigend zu anderen Studien und klinischen Erfahrungen zeigte sich jedoch ein klarer Überlebensvorteil für Patienten, die mit systemischen Kortikosteroiden behandelt wurden.

Bestätigung der Relevanz systemischer Kortikosteroide

Die Studie lässt noch einige Fragen offen – so ist unklar, wie viele statistische Vergleiche durchgeführt wurden und welche der Tests somit konkret als vertrauenswürdige Effekte einzustufen sind. Je mehr Punkte verglichen werden, desto häufiger kann es nämlich vorkommen, dass per Zufall ein nur scheinbarer Effekt gefunden wird. Die Ergebnisse eines solchen multiplen Testens werden normalerweise mit Hilfe mathematischer Verfahren korrigiert, wodurch verschiedene vorher gesehenen “Effekte” auch rasch verschwinden können. Die Arbeit hat auch noch kein Review-Verfahren durchlaufen – üblicherweise werden in diesem Verfahren solche offenen Punkte konkretisiert oder durch bessere Analysen korrigiert.

Trotz offener Fragen: Endlich die richtige COVID-Patientengruppe für Tocilizumab?

Die Studienautoren schließen, dass die begleitende Behandlung mit Tocilizumab zur Hemmung einer systemischen Inflammation die Therapie bei COVID-19-Patienten verbessern kann. Trotz der bislang unbeantworteten Fragen bietet die Studie den bislang größten Datensatz eines klinischen Vergleichs von COVID-19-Patienten unter Tocilizumab und Standardbehandlung. Dies erlaubt eine vorsichtige Hoffnung, dass nun die richtige Patientengruppe für eine wirksame Therapieverbesserung bei COVID-19 mit IL-6-Antagonisten gefunden ist.

Die Studie wurde als PrePrint veröffentlicht, ist also vor Veröffentlichung nicht im Peer-Review-Prozess überprüft worden.

[DOI: 10.1101/2021.02.11.21249258]

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