Unstatistik des Monats: Verwirrende Zahlen zur Coronasterblichkeit
Die Februar-Unstatistik erläutert, wie unterschiedliche Zahlen zur Coronasterblichkeit zustande kommen. Sie zeigt zudem auf, dass ein sinnvoller Vergleich der Zahlen über Länder hinweg schon aufgrund der unterschiedlichen Bevölkerungsstruktur kaum möglich ist.
Die Unstatistik Februar ist die Coronamortalität. Leider tragen die dazu publizierten Zahlen fast mehr zur Verwirrung als zur Aufklärung des Pandemiegeschehens bei. Das Internetportal Statista etwa meldet am 23. Februar für Deutschland eine Mortalitätsrate von 3,02 Prozent. Das Deutsche Ärzteblatt dagegen konstatiert eine Rate von 1,4 Prozent, und der bekannte Statistiker P.A. Ioannidis von der US-Amerikanischen Stanford Universität beziffert die Corona-Mortalität gar ganz allgemein auf weniger als ein halbes Prozent.
Ein Teil dieser Konfusion liegt in der Natur der Daten begründet. Zunächst gibt es bei Raten immer einen Zähler und einen Nenner, wobei im Falle der Corona-Pandemie beide Komponenten alles andere als einfach zu messen sind. Dass etwa der Zähler eigentlich die an Corona und nicht die mit Corona verstorbenen Menschen zählen sollte, ist zwar allgemein akzeptiert, aber nicht durchgehend implementiert. So meldet der Spiegel, dass selbst bei hochbetagten Patienten rund sieben Prozent der mit Corona Verstorbenen an anderen Ursachen als an Corona verstorben sind. Trotzdem gehen auch sie in die Statistik der Corona-Todesfälle ein. Schwerer wiegt, dass der Zähler der Mortalitätsrate, wie die Statistiker sagen, eine „Flussgröße“, der Nenner dagegen eine Bestandsgröße ist. Dies bringt gewisse technische Probleme mit sich: Die innerhalb eines bestimmten Zeitraums – aber welchen Zeitraums? – Verstorbenen geteilt durch eine bestimmte Anzahl Menschen an einem bestimmen Tag. Aber welche Menschen und an welchem Tag? Alle Menschen eines Landes insgesamt, die mit dem Coronavirus Infizierten oder die an Corona tatsächlich auch Erkrankten?
Es gibt deutlich weniger Erkrankte als Infizierte
Nur im ersten Fall spricht man streng genommen von Mortalität, andernfalls von Letalität. Das Auseinanderhalten der beiden letzten Gruppen ist dabei nicht einfach. Nur etwa jeder dritte von dem Corona Virus befallene Mensch entwickelt auch einschlägige Symptome. Bei den anderen hält das körpereigene Immunsystem den Eindringling in Schach. Das Robert-Koch-Institut dagegen wertet alle labordiagnostischen Nachweise von SARS-CoV-2 unabhängig von klinischen Symptomen als COVID-19-Fälle. So gehen dann auch Unfallopfer oder Gebärende, die beim Betreten des Krankenhauses standardmäßig auf Corona getestet werden, auch ohne krank zu sein in die Zahl der Coronakranken ein. Damit geben die RKI-Daten für keine der fallbasierten Definitionen des Zählers verlässliche Zahlen ab.
Im letzten Fall unterscheidet man noch zwischen dem „Fall-Verstorbenen-Anteil“ (Case Fatality Rate, CFR), die die Verstorbenen in Bezug setzt zu den bestätigten Fällen, und „Infizierten-Verstorbenen-Anteil“ (Infection Fatality Rate), die auch die Dunkelziffer der klinisch relevanten, aber nicht diagnostizierten Fälle berücksichtigt. Und dann wird bei der CFR noch unterschieden, ob nur tatsächlich Erkrankte oder auch bestätigte Infektionen ohne Symptome eingehen. Im Medienalltag werden diese unterschiedlichen Berechnungsweisen jedoch oft in einen Topf geworfen, mit deutlichen Konsequenzen. Teilt man etwa im Extremfall die Zahl der Verstorbenen statt durch die Zahl der gemeldeten Erkrankten durch die Zahl der Infizierten, ob gemeldet oder nicht, sinkt die Mortalitätsrate auf ein Drittel des Wertes.
Mortalitätsrate hängt auch von der erfassten Zeitspanne ab
Bei der Zahl der Verstorbenen kommt es ferner auf die Zeitspanne an, über die man die Verstorbenen zählt: ein Tag, eine Woche, ein Monat, der komplette Zeitraum seit Beginn der Pandemie? Oder idealerweise die Zeitspanne zwischen Infektion und Entscheidung „Überleben ja oder nein“? Je nach Auswahl kommen hier sehr unterschiedliche Raten zustande. Das Statistische Bundesamt zum Beispiel zählt die Zahl der Verstorbenen seit Beginn der Pandemie, und teilt durch die Bevölkerung an einem bestimmten Tag. Auf diese Weise erhält man theoretisch, bei einer Zählweise über Jahre hinweg, sogar Mortalitätsraten von über 100 Prozent.
Selbst wenn man sich bei Zähler und Nenner auf eine einheitliche Vorgangsweise verständigen könnte, bliebe immer noch eine unterschiedliche Bevölkerungsstruktur, die etwa einen sinnvollen Vergleich über Länder hinweg sehr erschwert. So sind etwa US-Amerikaner im Durchschnitt sechs Jahre jünger als Deutsche, mit einem Anteil an Über-80-Jährigen von knapp vier Prozent, verglichen mit fast sechs Prozent in der Bundesrepublik. Aber vor allem in dieser Altersklasse stellt Corona eine große Bedrohung dar. Mit dieser Information im Hinterkopf ist daher die von Statista gemeldete US-Mortalitätsrate von nur 1,77 Prozent verglichen mit den bundesdeutschen 3,02 Prozent nochmals positiver zu bewerten.
Für sinnvolle Vergleiche über Raum und Zeit hinweg braucht man also eine Standard-Altersstruktur. So hat P.A. Ioannidis ausgehend von den Coronatodesfällen auf dem Kreuzfahrtschiff „Diamond Princess“ und anderen Statistiken seine bekannte Mortalitätsrate von weniger als einem halben Prozent für die Standard-Bevölkerung extrapoliert. Aber auch hier bleibt offen, welche Standard-Bevölkerung man nimmt, so dass als unser Rat nur bleibt: Auf nationaler Ebene auf die absoluten Todeszahlen achten (und darauf, wie die Corona-Todesfälle definiert sind), und internationale Vergleiche eher als interessante Zahlenspielereien denn als seriöse Statistiken verstehen.