Dysgnathie: Operative Korrektur von Fehlstellungen des Kiefers und der Zähne dank digitaler Technik nun noch besser planbar, präziser und patientenfreundlicher
Am UKL arbeiten Kieferorthopäden und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen bei diesem kombinierten Routineeingriff zusammen / Ästhetik und Funktionalität des Gesichts verbessert sich
„Diese Dysgnathien findet man häufig, sie sind unterschiedlich stark ausgeprägt und treten bei bis zu 30 Prozent der Kinder und bei bis zu 20 Prozent der Erwachsenen auf. Allerdings kann ein Großteil ohne Operation sehr erfolgreich durch eine kieferorthopädische Behandlung im Wachstum behoben werden. Wenn es zur Operation kommt, sind die Patienten ausgewachsen und meist volljährig“, ergänzt Privatdozent Dr. Dr. Rüdiger Zimmerer, Leitender Oberarzt und Stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für MKG.
Fällt die Entscheidung für eine kombinierte Behandlung aus Spange und Kiefer-Operation, müssen Betroffene allerdings noch immer ein wenig Geduld mitbringen: „Die gesamte Therapie dauert zirka zwei Jahre“, sagt Prof. Köhne, „die eigentliche OP ist nach etwa der Hälfte der Zeit an der Reihe.“ In einem ersten Schritt werden nämlich die Zähne auf dem falsch stehenden Kiefer mittels Spange oder Zahnschiene geradegestellt. „Das kann die Zahnfehlstellung sogar erst einmal verschlimmern“, erklärt der Kieferorthopäde. Während der folgenden Operation werden dann die Kiefer durchtrennt und mit Titan-Platten neu fixiert.
Der Mund-Kiefer-Chirurg muss dafür natürlich die neuen Positionen der Kiefer kennen. Bisher standen ihm dafür zweidimensionale Schädelröntgenbilder zur Verfügung, die neuen Positionen wurden auf Papier geplant und anschließend Gipsmodelle angefertigt, mit deren Hilfe die Verschiebung des Kiefers simuliert wurde. Auf Kunststoffschienen, sogenannten OP-Splinte sind dann die neuen Positionen der Kiefer registriert worden. Die Nachteile dieser 2D-Planung: „Sowohl die Planung mit Gipsmodellen als auch die manuelle Herstellung der OP-Splinte ist handwerklich sehr anspruchsvoll und daher nur schwer standardisierbar“, erinnert sich Till Köhne, „es fehlte die letzte Präzision.“
Durch die Umstellung auf moderne digitale Technik haben sich diese Abläufe allesamt verbessert und vereinfacht. „Jetzt nutzen wir DVT, das heißt Digitale Volumentomografie. So erhalten wir ein 3D-Röntgenbild“, erläutert Prof. Köhne. „Diese Technologie setzt den Patienten im Übrigen viel weniger Strahlung aus als zum Beispiel bei einer Computertomografie, dem CT“, betont er.
„Zusätzlich bietet uns die DVT die Möglichkeit, bei der virtuellen Operationsplanung wichtige Strukturen wie Nerven und Zahnwurzeln zu segmentieren, also sichtbar zu machen, so dass sie bei der Operation sicher und gezielt umgangen und geschont werden können“, hebt PD Dr. Zimmerer hervor.
Mit einem sogenannten intraoralen Scanner erstellt Kieferorthopäde Köhne einen – völlig strahlungsfreien – Scan mit der genauen Position der Zähne. Am Computer wird dann dieser Scan auf das 3D- Röntgenbild des gesamten Gesichts gelegt. „In der virtuellen Operationsplanung setzen die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen die Kiefer dann in die vom Kieferorthopäden geplante neue Zielverzahnung. Entweder müssen Ober- und Unterkiefer zusammen operiert werden, oder es reicht aus, nur einen der beiden Kiefer zu verlagern“, erläutert PD Dr. Zimmerer.
Ist alles in der richtigen Position, können die UKL-Kieferorthopäden den passenden OP-Splint entwerfen und auf dem hauseigenen 3D-Drucker ausdrucken. „So sind viel präzisere Messungen möglich“, hebt Prof. Köhne hervor. Und MKG-Experte Zimmerer ergänzt: „Am Ende soll ein harmonisches Gesichtsprofil bei gleichzeitiger idealer Verzahnung erzielt werden. Hierbei ist sehr viel Erfahrung nötig.“
Für schwierige Fälle greifen die Mediziner des UKL auf die weltweit modernste Technik zurück: „Bei komplizierten Verlagerungen des Oberkiefers lassen wir die zur Stabilisierung der Knochen benötigten Titan-Platten im 3D-Druck individuell herstellen. Die Titan-Platten passen, ähnlich wie maßgeschneiderte Schuhe, nur dem Patienten und positionieren den Kiefer millimetergenau in der geplanten Position, theoretisch ohne Splint“, erklärt Dr. Zimmerer.
Selbst eine Art „Blick in die Zukunft“ ist mit dieser Technik möglich: Legt man ein 3D-Foto des Gesichts auf das dreidimensionale Röntgenbild, können die Veränderungen, die das Gesicht des Betroffenen erfahren wird, bereits vor dem Eingriff simuliert werden. Soll heißen: Der Patient kann vorab schon sehen, wie er nach erfolgreicher OP aussehen wird – wenn er es denn will.
Der Einsatz digitaler Technik zeigt für den Direktor der UKL-Kieferorthopädie neben der genaueren Planung und den präziser gearbeiteten und platzierten OP-Splints aber noch einen weiteren, nicht zu unterschätzenden Vorteil: „Für mich heißt Fortschritt bei der Digitalisierung auch immer leichterer Informationsaustausch“, sagt Prof. Till Köhne. „Informationen können nun bequem und schnell zwischen den beteiligten Ärzten, aber auch zwischen Arzt und Patient weitergegeben und ausgewertet werden. Alle Beteiligten haben Zugriff auf die wesentlichen Informationen.“
Keine Narben: Alle Schnitte innerhalb des Mundes
Die Operation geschieht in Vollnarkose. Drei bis vier Tage verbleiben die Patienten anschließend stationär und sind dann weitere drei bis vier Wochen krankgeschrieben. In dieser Zeit kann dann auch erst mal nur weichere Nahrung aufgenommen werden. Der Mund kann allerdings – mit nur leichten Einschränkungen – sofort nach der OP wieder geöffnet werden. Ebenfalls gut zu wissen: Alle Schnitte befinden sich innerhalb der Mundhöhle, von außen werden keine Narben zu erkennen sein. Innerhalb von 6-8 Wochen sind die Kiefer schon relativ stabil verwachsen. Die eingebrachten Titan-Platten und Schrauben sind nicht magnetisch, relativ grazil, erzeugen nach aktuellem Kenntnisstand keine Allergien und können sechs Monate nach der OP auch wieder entfernt werden. Der Eingriff ist standardisiert und wird teilweise mehrfach wöchentlich bei uns durchgeführt“, sagt MKG-Chirurg Zimmerer
Obwohl eines der Hauptziele dieser OP die Verbesserung des Gesichtsprofils sei, handele es hierbei nicht um eine ästhetische Operation, betont Prof. Köhne. So würden auch funktionelle Verbesserungen erzielt, beispielsweise verbessere sich bei den Betroffenen mit der korrekten Stellung von Kiefern und Zähnen auch die Aussprache. Zudem sei Dysgnathie die einzige Krankheit, bei der die Krankenkassen auch bei über 18-Jährigen die Zahnspangen bezahle, erklärt Köhne, Nachfolger des langjährigen Leiters der kieferorthopädischen Poliklinik, Karl-Heinz Dannhauer.
Die Zahnspange bleibt nach der Operation allerdings noch so lang im Mund, bis die sogenannte Feinverzahnung abgeschlossen ist. Nach dem erfolgreichen Ende der etwa zweijährigen Therapie kann sie aber endgültig herausgenommen werden.
Dysgnathie-Sprechstunde:
Immer freitags, 8.30 Uhr bis 12 Uhr
Anmeldung: Telefon 0341 / 97-21106
Weitere Informationen: https://www.uniklinikum-leipzig.de/einrichtungen/kieferorthopaedie