Unter deutscher Federführung: Neue internationale MRT-Leitlinie bei Multipler Sklerose
Die Magnetresonanztomografie (MRT) ist heute für die Diagnostik, Prognoseabschätzung und Verlaufsbeurteilung der Multiplen Sklerose (MS) nicht mehr wegzudenken. Auf der ganzen Welt gibt es dazu Konsensuspapiere – jetzt gelang erstmals einer internationalen transatlantischen Expertengruppe eine umfassende Revision, Erweiterung und Vereinheitlichung der Empfehlungen zum Einsatz der MRT bei der MS. Ein wesentliches Ziel ist, durch standardisierte Untersuchungen bzw. Bildgebungsprotokolle die Diagnostik und Behandlung der Patientinnen/Patienten weiter zu verbessern und ggf. individuell anzupassen bzw. zu optimieren.
Die vom Europäischen Netzwerk MAGNIMS („Magnetic Resonance Imaging in MS“) und dem CMSC („Consortium of Multiple Sclerosis Centers“) bereits 2015 und 2016 veröffentlichten Leitlinien zum Einsatz der MRT bei der Diagnostik und dem Monitoring der MS haben einen wichtigen Beitrag hin zu einer routinemäßigen, standardisierten Anwendung der MRT in der klinischen Patientenbetreuung geleistet. Seitdem gibt es weiteren, erheblichen Wissenszuwachs und Fortschritte, einschließlich einer Revision der diagnostischen McDonald-Kriterien und der Bewertung der spinalen MRT-Bildgebung. Außerdem erfolgten erneut Sicherheitsüberlegungen hinsichtlich der (wiederholten) intravenösen Gabe von Gadolinium-basierten Kontrastmitteln (GBCAs) wegen potenzieller zerebraler Akkumulation.
Diese und andere neue Entwicklungen werden nach umfassenden Literaturreviews in der Leitlinien-Revision einer international transatlantischen Expertenkommission berücksichtigt, die jetzt in „The Lancet Neurology“ [1] publiziert wurde. Der verantwortliche Erstautor der neuen internationalen Empfehlungen zur Bildgebung bei Multipler Sklerose kommt aus Deutschland, Prof. Dr. Dr. Mike P. Wattjes vom Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie der Medizinischen Hochschule Hannover. Unter seiner Federführung wurden erstmals die aktuellen MAGNIMS-, CMSC- und NAIMS („North American Imaging in MS Cooperative“) -Empfehlungen zusammengeführt und neueste Forschungsdaten integriert, um den Einsatz der MRT-Bildgebung für MS-Patientinnen/-Patienten weiter zu verbessern. „Diese neuen Empfehlungen sind insofern ein Meilenstein, da sie jetzt von drei, sowohl dem Europäischen (MAGNIMS) als auch den beiden nordamerikanischen (CMSC, NAIMS), Konsortien getragen werden“, kommentiert Prof. Dr. med. Ralf Gold, Bochum. In der Konsensus-Gruppe finden sich Co-Autorinnen/-Autoren aus Deutschland, Niederlande, UK, USA, Italien, Österreich, Dänemark, Schweiz, Kanada und Spanien.
Ein besonderer Fokus liegt auf der Standardisierung von MRT-Protokollen (zerebral und spinal), sowohl für die Diagnostik, für die Einschätzung der Prognose als auch für das Therapiemonitoring. Es werden Indikationen und Zeitpunkte der Untersuchungen genannt, einschließlich definierter Bedingungen (Scanner, Sequenzen, Schichtdicken). Empfohlen wird der Einsatz der 3D-FLAIR-Bildgebung als wichtigste Pulssequenz der zerebralen Untersuchung – mit der höchsten Diagnosegenauigkeit und sichersten Erkennung neuer Läsionen, auch zur Überwachung der Therapieeffektivität. Spinale MRT-Untersuchungen werden für die initiale Diagnostik (zur Erfassung der ZNS-Verteilung) und im Verlauf bei gezielter Indikation empfohlen – aufgrund der technischen Herausforderung bei schwacher Evidenz jedoch nicht für ein Routine-Monitoring im Rahmen einer MS-Therapie.
Die Standardisierung erlaubt eine bessere Interpretation und Vergleichbarkeit interindividuell in Studien, aber auch intraindividuell für exakte Verlaufsbeurteilungen, wodurch auch die Notwendigkeit einer Kontrastmittelgabe reduziert wird. Zur Problematik der Kontrastmittelgabe wird ausführlich Stellung genommen mit Empfehlungen für den angemessenen Umgang bzw. sinnvollen Einsatz Gadolinium-haltiger Kontrastmittel in Abhängigkeit von der Fragestellung. Im Gegensatz zu früheren Leitlinien wird empfohlen, wiederholte Gadolinium-Gaben bei fehlender klinischer Konsequenz zu vermeiden. Für die Routinediagnostik werden ein zerebrales Kontroll-MRT (ohne Kontrastmittel) drei bis sechs Monate nach Therapiebeginn und nachfolgend jährliche Kontrollen empfohlen. Eine Besonderheit ist die Erweiterung der internationalen Empfehlungen zur MS-Bildgebung bei speziellen Situationen und Indikationen wie progredienter Verlaufsform, Schwangerschaft und Wochenbett sowie bei MS im Kindesalter.
„Die MRT-Protokolle für die Untersuchung der MS-Patienten/-Patientinnen wurden vereinheitlicht und vereinfacht, was den Einsatz insgesamt unkomplizierter macht“, erläutert Prof. Gold. „Wir halten diese Konsensus-Empfehlungen für wegweisend, da die hier vorgeschlagenen Standards die neurologische Krankenversorgung maßgeblich beeinflussen werden.“
Abschließend werden vielversprechende neue Konzepte, Methoden und MRT-Techniken diskutiert, die eine klinische Relevanz haben könnten und die baldige Implementierung in die Routinediagnostik verdienen. Von besonderem Interesse sind dabei Methoden zur Bestimmung der Krankheitsaktivität und zur Beurteilung der Effektivität von Behandlungsmaßnahmen, unter Berücksichtigung von Aspekten der Medikamentensicherheit. Vor dem Hintergrund der kontinuierlich wachsenden Zahl an Substanzen für die krankheitsmodifizierende Therapie der MS und deren möglichen Nebenwirkungen kommt den MR-Techniken zur Vorhersage des individuellen Therapieansprechens eine besondere Bedeutung zu.
„Neue standardisierte Techniken der MS-Bildgebung mit höchster Sensitivität und Spezifität sind eine große Herausforderung – sie stellen jedoch die Zukunft dar, beispielsweise wenn es darum geht, zukünftige Behandlungskonzepte der Neuroprotektion, Remyelinisierung und Reparatur zu begleiten“, ergänzt Prof. Gold.
„Diese Entwicklungen verdeutlichen die Rolle der MRT-Bildgebung für das Management von MS-Patientinnen/-Patienten“, so Prof. Dr. med. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. „Die DGN unterstützt die Umsetzung dieser Empfehlungen und setzt sich für die Implementierung insbesondere zur Therapie-Beurteilung in Register- und Versorgungsstudien ein.“
Literatur
[1] Wattjes MP, Ciccarelli O, Reich DS et al. 2021 MAGNIMS-CMSC-NAIMS consensus recommendations on the use of MRI in multiple sclerosis. The Lancet Neurology 2021.
https://www.thelancet.com/journals/laneur/article/PIIS1474-4422(21)00095-8/fulltext