Was der Corona-Lockdown mit dem Klimawandel zu tun hat
Der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) legt am Montag, 9. August 2021, den ersten Teil seines neuen Sachstandsberichts vor, der den wissenschaftlichen Kenntnisstand zu den naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels zusammenfasst. Dieser wird durch weltweite Wetterextreme wie Starkregen, Dürre und Waldbrände immer deutlicher spürbar. Die Jülicher Atmosphärenforscherin Prof. Astrid Kiendler-Scharr ist Leitautorin des Kapitels „Short-lived Climate Forcers“, auf Deutsch „kurzlebige Klimaschadstoffe“, in dem mittlerweile sechsten Sachstandsbericht des IPCC. In einem Interview gibt Kiendler-Scharr, die auch Vorstandsvorsitzende des Deutschen Klima-Konsortiums (DKK) ist, einen Einblick in die Bedeutung kurzlebiger Klimaschadstoffe.
Der erste Corona-Lockdown im Frühjahr 2020 war ein einschneidendes gesellschaftliches Ereignis – was bedeutete der für die Atmosphärenforschung?
Prof. Astrid Kiendler-Scharr: Die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus haben die Welt für uns in ein Real-Labor verwandelt. Wir konnten live verfolgen, wie sich die Chemie der Atmosphäre ändert, wenn tatsächlich weniger Luftschadstoffe ausgestoßen werden. Für die Jülicher Messkampagne nutzten wir einen einzigartigen Träger für die Instrumente: einen Zeppelin. Das Luftschiff ist sehr flexibel einsetzbar und erlaubt eine Vielzahl von Messungen, gerade in den unteren Schichten der Atmosphäre.
Was wurde bei der Kampagne gemessen?
Wir haben kurzlebige Klimaschadstoffe wie Aerosole, Kohlenwasserstoffe, Ozon und Methan gemessen. Das Gros stammt aus menschengemachten Quellen.
Wie sehen die ersten Ergebnisse aus?
Zum einen – und wenig überraschend – reduzierte der Lockdown weltweit die Belastung der Atmosphäre mit Stickstoffdioxid und Feinstaub. In einer Meta-Studie die über 200 Veröffentlichungen zusammenfasst, konnten wir zeigen, je strikter die einschränkenden Maßnahmen waren, desto stärker war die Wirkung. Das Weniger an Stickoxiden hatte aber die Folge, dass die bodennahen Ozon-Werte stiegen – ab einer gewissen Konzentration ist Ozon gesundheitsschädlich.
Auch in anderen Teilen der Welt wurde der Lockdown für Messungen genutzt. Was passiert mit diesen Daten?
Ein internationales Team unter Jülicher Leitung stellte im April 2021 eine umfangreiche Übersichtsstudie der Ergebnisse bis September 2020 vor. Weitere Studien folgen seither. Damit der Wissenstransfer schneller geht, haben wir eine Website eingerichtet. Dort können Forscherteams Messergebnisse fortlaufend hinzufügen, um die bisherigen Forschungsergebnisse zu ergänzen und zu verfeinern.
Welche Rolle spielen diese Ergebnisse für neue Erkenntnisse zur Atmosphärenchemie und zum Klimawandel?
Die Daten sind die Basis, um noch besser berechnen zu können, wie sich die vom Menschen emittierten Luftschadstoffe auf die Atmosphärenchemie und den Strahlungshaushalt der Erde auswirken. Wenn wir den Ausstoß von kurzlebigen Klimaschadstoffen vermindern, halten wir eine enorm wichtige Stellschraube in den Händen, um Klimaziele zu erreichen. Denn schnelle Einsparungen dieser Schadstoffe wirken sich in kurzer Zeit aus und können so einen wesentlichen Beitrag leisten, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.
Weitere Informationen:
Institut für Energie- und Klimaforschung, Troposphäre (IEK-8)
Pressemitteilung „Folgen des Corona-Lockdowns: Neue Studie versammelt Daten zu Schadstoffen in der Atmosphäre“ (13. April 2021)
Informationen für Medienvertreter:innen:
Im Vorfeld des neuen Sachstandsberichts des Weltklimarats erklärten Expertinnen und Experten heute bei einem Pressegespräch des Deutschen Klima-Konsortiums (DKK) die wissenschaftlichen Hintergründe und erläuterten zentrale Konzepte der Klimaforschung. Die Pressemitteilung finden Sie auf der Website des DKK. Das DKK hält auch Basisfakten zum Klimawandel bereit. Auf der Seite findet sich außerdem eine Übersicht der DKK-Autorinnen und Autoren des sechsten IPCC-Berichtszyklus.
Umfangreiches Informationsmaterial zu Klimaforschung und -wandel enthält die Website der Helmholtz-Klima-Initiative.