Unendliche Lust: Forschung über Sex im Alter
Wechseljahre, Erektionsprobleme, Krankheit: Altwerden verändert den Körper. Wie ist das dann mit dem Sex? Wann lässt die Lust nach? „Gar nicht“, sagt Prof. Dr. Michael Vogt von der Hochschule Coburg. Die Wahrheit über Sex im Alter ist anders als die meisten es sich vorstellen – und davon können auch junge Paare lernen.
Der Körper altert. Das ist im Bett ein Problem. Aber nicht wegen Rückenschmerzen und anderer Beschwerden – dafür findet sich immer irgendein Kissen, eine bessere Position oder sonstige Unterstützung. Das eigentliche Problem ist, dass sich die Bedürfnisse verändern und viele Paare nicht darüber sprechen. „In einer Welt, in der es um Erfolge geht, ist es schwer, sich nackt und verletzlich zu zeigen. Auch für die Jungen“, sagt Prof. Dr. Michael Vogt. „Aber bei älteren Menschen ist es ausgeprägter. Sie haben oft nicht gelernt, eigene Dinge zur Sprache zu bringen.“
An der Fakultät für Soziale Arbeit der Hochschule Coburg forscht Vogt zu Partnerschaft und zu Sexualität im Alter und ist deutschlandweit einer der wenigen Experten, die sich mit dem Thema beschäftigen. „Als ich in den 1990er Jahren damit angefangen habe, gab es eine Handvoll Wissenschaftler, die sich damit auseinandergesetzt haben. Heute sind es immerhin zwei Dutzend. Trotzdem ist Intimität und Sexualität immer noch eines der beiden großen Tabuthemen.“ Das andere ist Sterben und Tod.
Angehörige reagieren hilflos
Zu Vogts Forschungsschwerpunkten gehört die Bedeutung von Sexualität bei Demenz. Die Angehörigen wissen meist nichts darüber. „Sie sind von sexuellen Ausbrüchen völlig überrascht und reagieren hilflos.“ Als Professor der Hochschule Coburg vermittelt Vogt den Studierenden der Sozialen Arbeit auch psychosoziale Kenntnisse. „In der Seniorenbegleitung bedeutet das: Die Würde und der Wert eines Menschen brauchen mehr als eine Versorgungsstruktur, die auf satt und sauber ausgerichtet ist.“ Auch Sexualität gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen. Wann die Libido endet? „Mit dem letzten Atemzug“, sagt Prof. Vogt.
Berührung, Halten, Wärme, einander spüren: Der Wissenschaftler definiert Sex nicht nur als Geschlechtsverkehr, sondern zählt auch sexuelle Gedanken und Gefühle dazu. „Die Ausdrucksformen unserer Gefühle verändern sich mit dem Lebensalter: Das reicht von allen möglichen Stellungen bis zu einem zärtlichen Streicheln des Gesichts.“ Die Freude an der Lust hält den Körper gesund – und die Beziehung glücklich.
Corona macht Beziehungsprobleme sichtbar
Durch Corona hat das Thema an Bedeutung gewonnen, wie Vogt auch in seiner Funktion als Paar- und Sexualtherapeut erlebt. „Je älter man wird, umso mehr macht man zusammen: Man geht gemeinsam zum Arzt, zum Einkaufen und wenn jemand anruft, schaltet man das Telefon laut. Man hat sich wenig zu erzählen.“ Wenn es wie in der Pandemie kaum andere soziale Kontakte gibt, müssen die Paare sich aufeinander beziehen. Das macht Konflikte sichtbar. Vogt spricht darüber, dass viele Probleme haben, ihren alternden Körper anzunehmen, über Scham, darüber, dass einen mit 20 Jahren etwas anderes erregt als mit 60, und auch über Dominanz – darüber, wie die Machtbalance bei alten Ehepaaren oft kippt, wenn der Mann nicht mehr kann.
Angst und Enttäuschungen im Schlafzimmer gibt es in jeder Generation. Partner haben nicht immer gleichzeitig die gleichen sexuellen Bedürfnisse. Nur wer es schafft, das der oder dem Liebsten zu erklären, kann darüber verhandeln. Egal in welcher körperlichen Verfassung. „Auch junge Menschen können sich – zum Beispiel wegen starker Adipositas – schwertun, mit ihrem Begehren umzugehen. Aber es gibt immer Mittel und Wege.“