Vierdimensional entwirrt – Schaltverhalten von Membranrezeptoren
Ein Forschungsteam des Universitätsklinikums Jena, der Hochschule Schmalkalden, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) und des Forschungszentrums Jülich konnten den Schaltvorgang eines Membranrezeptors entschlüsseln, der in Riechneuronen vorkommt. In ihrer jetzt in den Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) erschienenen Arbeit stellen sie ein thermodynamisches Profil für die Wechselwirkungen der vier Untereinheiten dieses Ionenkanals mit einer Analysemethode vor, die auf andere Membranrezeptoren prinzipiell übertragbar ist.
Als wichtige Schaltmoleküle sind Membranrezeptoren an nahezu allen Lebensprozessen beteiligt. Diese oft komplex aufgebauten Proteine sitzen wie sehr sensible Antennen in den äußeren Zellbegrenzungen, den Zellmembranen. Dort warten sie auf Signale, die in Form kleiner Moleküle, sogenannter Liganden, kommen und sich spezifisch und passgenau an die jeweiligen Rezeptoren anlagern können. Der Rezeptor ändert dann die Struktur und damit seine Eigenschaften und gibt so den Startschuss für andere Signal- oder auch Stofftransporte in der Zelle.
Membranrezeptoren sind zum Beispiel die Docking-Stationen für Adrenalin, Nikotin und Wachstumshormone. Ihr spezifisches Bindungsverhalten spielt eine wichtige Rolle für das Verständnis von Krankheitsmechanismen oder für Therapieansätze mit Wirkstoffen, die den Liganden chemisch sehr ähnlich sind.
Am Beispiel eines Ionenkanals, der als Membranrezeptor in den Nervenzellen der Nasenschleimhaut maßgeblich am Riechvorgang beteiligt ist, konnte ein Forschungsteam des Universitätsklinikums Jena, der Hochschule Schmalkalden und der HHU jetzt das Schaltverhalten eines komplexen Rezeptors umfassend charakterisieren. Dieser Membranrezeptor besteht aus vier Untereinheiten, von denen drei verschieden sind. Jede einzelne dieser Einheiten kann durch Liganden aktiviert werden und trägt so zum Öffnen des Ionenkanals bei, der den Fluss von verschiedenen Ionen durch die Zellmembran ermöglicht. Dies führt beim Riechvorgang zu weiteren Signalen.
In einer definierten Anordnung der Untereinheiten wurden die Bindungsstellen systematisch mit molekularbiologischen Techniken ausgeschaltet, was insgesamt 16 Konstellationen ergab. An diesen 16 verschiedenen Kanälen vermaß das Autorenteam den Stromfluss. „So konnten wir akribisch für jeden Schaltschritt die gegenseitige energetische Beeinflussung der Untereinheiten quantifizieren. Auf diese Weise entstand ein vollständiges thermodynamisches Profil für das Schaltverhalten des Rezeptors“, betont Prof. Dr. Klaus Benndorf, Seniorautor der jetzt in den PNAS erschienenen Arbeit.
Neben den genannten molekularbiologischen Methoden und funktionellen elektrischen Messungen kamen auch mathematische Analysen mit komplexen Markov-Modellen zum Einsatz. Eine elegante mathematische Lösung zur Bestimmung der zahlreichen Konstanten schlug Prof. Dr. Eckhard Schulz von der Hochschule Schmalkalden vor: „Die Schaltmöglichkeiten des vierteiligen Rezeptors legen die Struktur eines vierdimensionalen Würfels nahe. Damit lassen sich die einzelnen Schritte gut veranschaulichen.“
Mit molekularer Modellierung und Simulationsrechnungen konnten schließlich die Molekülsimulationsspezialisten um Prof. Dr. Holger Gohlke vom Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie der HHU und vom Jülich Supercomputing Centre dazu beigetragen, die wahrscheinlichste räumliche Anordnung der verschiedenen Untereinheiten ermitteln: „Die verschiedenen Anordnungen unterscheiden sich in den Epitopen zwischen den Untereinheiten, was zu Unterschieden in der gegenseitigen energetischen Beeinflussung der Untereinheiten führen kann“, erläutert Prof. Gohlke.
Deutlich überrascht ist Prof. Benndorf, dass sich die erdachte akribische kombinatorische Analyse tatsächlich als vollständig umsetzbar erwies. Er sieht darin einen vielversprechenden Ansatz: „Die beschriebene Strategie ist prinzipiell auch für die Analyse anderer Membranrezeptoren geeignet und hat somit erhebliches Potential für den Informationsgewinn, wie Liganden und damit auch potentielle Arzneimittel, solche Rezeptoren an- oder abschalten können.“
Originalpublikation: Schirmeyer, J., Hummert, S., Eick, T., Schulz, E., Schwabe, T., Ehrlich, G., Kukaj, T., Wiegand, M., Sattler, C., Schmauder, R., Zimmer, T., Kosmalla, N., Bonus, M., Gohlke, H., Benndorf, K., Thermodynamic profile of mutual subunit control in a heteromeric receptor. PNAS 2021 Vol. 118 No. xx e2100469118
DOI: 10.1073/pnas.2100469118
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Website der NIC Research Group „Computational Biophysical Chemistry“