Diabetes: Studie zum Sättigungsmechanismus bringt neue Erkenntnisse
Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung der Universität zu Lübeck hat die Rolle des Gehirns bei Typ-2-Diabetes untersucht und die Ergebnisse bei Nature Metabolism veröffentlicht
Um die Krankheit besser zu verstehen, haben die Forschenden unter Federführung des Institut national de la santé et de la recherche médicale (Inserm), der Universität Lille und des Universitätsklinikums Lille im Labor für Neurowissenschaften und Kognition in Lille mehrere Jahre lang die Rolle von Leptin untersucht, einem Hormon, das an der Appetitkontrolle beteiligt ist und Sättigungssignale an das Gehirn sendet.
In einer neuen Studie, die in der Fachzeitschrift Nature Metabolism veröffentlicht wurde, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur die Kenntnisse über den Mechanismus des Sättigungsgefühls erweitert, sondern auch ein neues Mausmodell für Diabetes entwickelt, das für die künftige Forschung in diesem Bereich nützlich und relevant sein wird.
Gesundheitliche Komplikationen
Diabetes ist eine Krankheit, bei der ein erhöhter Blutzuckerspiegel langfristig zu gesundheitlichen Komplikationen führen kann. Es gibt zwei Typen von Diabetes: Typ 1 und Typ 2. Typ-2-Diabetes (T2D) ist für 90 Prozent der Diabetes-Fälle verantwortlich. Die Patienten sind in der Regel adipös oder übergewichtig und haben Risikofaktoren wie Bewegungsmangel und unausgewogene Ernährung.
Das Sättigungshormon Leptin wird dabei vom Fettgewebe in einer Menge ausgeschüttet, die proportional zu den Fettreserven des Körpers ist. Es reguliert den Appetit, indem es das Sättigungsgefühl steuert und wird von Tanyzyten – Zellen, in die es durch Bindung an die LepR-Rezeptoren eindringt – in das Gehirn transportiert. Tanyzyten sind also das Tor zum Gehirn, das Leptin hilft, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und die Sättigungsinformation an die Nervenzellen zu übermitteln.
Transportmechanismus im Fokus
Frühere Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass dieser Transport bei adipös oder übergewichtigen Personen gestört ist. Dies erklärt teilweise ihre gestörte Appetitregulierung, da es für die Sättigungsinformationen schwieriger ist, das Gehirn zu erreichen. In ihrer neuen Studie haben die Forscher diesen Transportmechanismus genauer unter die Lupe genommen, insbesondere die Rolle der LepR-Rezeptoren.
In Mausmodellen entfernten die Forschenden den LepR-Rezeptor, der sich auf der Oberfläche der Tanyzyten befindet. Nach drei Monaten verzeichneten die Mäuse eine deutliche Zunahme ihrer Fettmasse (die sich in diesem Zeitraum verdoppelte) sowie einen Verlust an Muskelmasse (die sich um mehr als die Hälfte reduzierte). Die Gewichtszunahme war insgesamt nur mäßig. Die Wissenschaftler maßen auch regelmäßig den Blutzuckerspiegel der Tiere nach der Injektion von Glukose.
Sie stellten fest, dass die Mäuse in den ersten vier Wochen des Experiments mehr Insulin ausschütteten, um den Blutzuckerspiegel auf einem normalen Niveau (zwischen 0,70 und 1,10 g/l) zu halten. Drei Monate nach der Entfernung des Rezeptors schien ihre Fähigkeit, Insulin aus der Bauchspeicheldrüse abzusondern, erschöpft zu sein.
Prä-diabetischer Zustand
Das Entfernen der LepR-Rezeptoren und die Beeinträchtigung des Leptintransports in das Gehirn führten also dazu, dass die Mäuse zunächst einen prä-diabetischen Zustand entwickelten. Dies ist der Fall, wenn der Körper mehr Insulin als üblich ausschüttet, um den Blutzucker zu kontrollieren. Längerfristig waren die Mäuse dann nicht mehr in der Lage, Insulin auszuschütten und somit ihren Blutzuckerspiegel zu kontrollieren. Diese Daten legen also nahe, dass ein gestörter Leptintransport in das Gehirn über die LepR-Rezeptoren eine Rolle bei der Entstehung von Typ-2-Diabetes spielt.
Bei einem gesunden Tier oder Menschen steigt der Blutzuckerspiegel nach der Aufnahme von Glukose leicht an und sinkt dann rasch wieder ab. Um den Blutzuckerspiegel wieder in den normalen Bereich zu bringen, schüttet die Bauchspeicheldrüse Insulin aus, das der Glukose hilft, in die Körperzellen einzudringen.
Bei Tieren, denen der LepR-Rezeptor fehlt, über den Leptin in das Gehirn gelangt, ist der Blutzuckerspiegel im nüchternen Zustand und erst recht nach der Aufnahme von Glukose abnorm hoch. Die Bauchspeicheldrüse ist nicht mehr in der Lage, das Insulin auszuschütten, das der Körper für die Aufnahme der Glukose benötigt. Die Bauchspeicheldrüse ist nicht mehr in der Lage, das Insulin auszuschütten, das der Körper für die Aufnahme der Glukose benötigt. Die „Taubheit“ des Gehirns gegenüber den von Leptin übermittelten Informationen macht die Bauchspeicheldrüse somit unwirksam.
Sofortige Wirkung
Im letzten Teil ihrer Forschung brachten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Leptin wieder in das Gehirn ein und beobachteten eine sofortige Wirkung auf die Bauchspeicheldrüsenfunktion – insbesondere ihre Fähigkeit, Insulin zur Regulierung des Blutzuckers auszuschütten. Die Mäuse erlangten schnell wieder einen gesunden Stoffwechsel.
Diese Studie klärt also die Rolle des Gehirns bei Typ-2-Diabetes auf und trägt dazu bei, die Erforschung einer Krankheit voranzutreiben, von der man früher annahm, dass sie das zentrale Nervensystem nicht betrifft.
„Wir zeigen, dass die Reaktion des Gehirns auf Leptin für die Steuerung der Energiehomöostase und des Blutzuckerspiegels wesentlich ist. Wir zeigen auch, dass die Blockierung des Leptintransports zum Gehirn die Funktion der Neuronen, die die Insulinsekretion der Bauchspeicheldrüse steuern, beeinträchtigt“, schließt Vincent Prévot, Forschungsdirektor am Inserm und letzter Autor der Studie.
„Faszinierend an den Studienergebnissen ist für mich, dass eine kleine Zellgruppe im Gehirn, die Tanyzyten, den Stoffwechsel des gesamten Organismus steuert“, ergänzt Prof. Markus Schwaninger, Direktor des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Universität zu Lübeck.
Ein weiteres interessantes Ergebnis dieser Studie: Durch das Entfernen des LepR-Rezeptors, über den Leptin ins Gehirn gelangt, weist das erhaltene Tiermodell die Merkmale des so genannten ostasiatischen Diabetes auf, der von den Forschern noch wenig untersucht wird. Dieser Diabetes-Phänotyp betrifft vor allem die Bevölkerungen Koreas und Japans.
Während der so genannte westliche Diabetes vor allem bei Menschen auftritt, die stark übergewichtig (BMI >25) oder krankhaft adipös (BMI >30) sind, wird dieser andere Typ-2-Diabetes-Phänotyp häufig mit Menschen assoziiert, die leicht übergewichtig sind, einen erhöhten Bauchfettanteil und eine Insulininsuffizienz aufweisen, die auf eine mangelhafte Insulinsekretion der Bauchspeicheldrüse zurückzuführen ist.
Den Wissenschaftlern zufolge wird die Entwicklung dieses neuen Tiermodells die weitere Erforschung dieser Krankheit, von der Millionen von Menschen betroffen sind, ermöglichen.