Tiroler Forscher entschlüsselten wichtiges Neurofibromin-Gen

Erforschung von Neurofibromatose dank revolutionärer cryoEM-Methode

Dem Strukturbiologen Bernhard Rupp von der Medizinischen Universität Innsbruck ist es mit seinem früheren Mitarbeiter Andreas Naschberger und weiteren ForscherInnen von der Stockholm University gelungen, erstmals die Molekularstruktur von Neurofibromin in hoher Auflösung zu entschlüsseln. Die Ergebnisse bringen die Erforschung der Erbkrankheit Neurofibromatose einen großen Schritt voran und wurden nun im renommierten Fachjournal Nature veröffentlicht.

Innsbruck, am 28.Oktober 2021: Veränderungen in dem wichtigen Tumorsuppressor*-Protein Neurofibromin durch Mutationen im NF1 Gen sind ursächlich für die autosomal dominant vererbbare monogenetische Erkrankung Neurofibromatose Typ 1. „Patientinnen und Patienten, die an Neurofibromatose erkrankt sind, leiden an verschiedensten Symptomen, oft hervorgerufen von gutartigen oder bösartigen Tumoren der Haut und des Nervensystems, die schon im Kleinkindesalter auftreten können“, sagt Strukturbiologe Bernhard Rupp, der am Institut für Genetische Epidemiologie (Direktor: Florian Kronenberg) an der Medizinischen Universität Innsbruck forscht. „Mit einer Geburtenhäufigkeit von 1:3000 gehört Neurofibromatose zu einer der häufigsten Erbkrankheiten, und das Verständnis der molekularen Mechanismen dieser Erkrankung ist Voraussetzung für die Entwicklung von therapeutischen Ansätzen und Wirksoffen“, erklärt der Wissenschafter. Neurofibromin ist in fünf bis zehn Prozent aller spontan auftretenden Tumoren mutiert und als direkter Regulator des Proto-Onkogens* RAS auch in den Fokus der Krebsforschung gerückt.

Für die Strukturaufklärung haben die WissenschafterInnen eine Technik benutzt, die in den vergangenen Jahren eine Revolution in der Strukturbiologie ausgelöst hat. Mit der kryo-Elektronen Mikroskopie (cryoEM), für deren Entwicklung 2017 der Nobelpreis für Chemie verliehen wurde, ist es möglich, Projektionen von Abbildungen einzelner makromolekularer Strukturen, eingebettet in einer dünnen amorphen Eisschicht, aufzunehmen. Aus vielen dieser zweidimensionalen Projektionen kann die gesamte dreidimensionale Struktur rechnerisch rekonstruiert werden. Dabei werden mittlerweile Auflösungen erzielt, die es erlauben, die räumliche Anordnung der Proteinmoleküle (Konformation), oft bereits in atomarem Detail, zu bestimmen.

Therapeutische Angriffsfläche

Es kommt nicht jeden Tag vor, dass eine Studie von Tiroler ForscherInnen in dem prestigereichen wissenschaftlichen Fachjournal Nature veröffentlicht wird. Die aktuelle Publikation zeigt eindrucksvoll, dass Neurofibromin zwei biologische Zustände einnehmen kann (Link zur Animation). In einer dieser Anordnungen ist Neurofibromin inaktiv, da seine katalytische Domäne* (GRD) durch seine eigene zentrale Kerndomäne sterisch inhibiert ist. Das bedeutet, dass der Zugang der GRD an das Onkoprotein RAS* nicht möglich ist, was zu unkontrolliertem Zellwachstum und Krebs führen kann.

In der aktiven Form von Neurofibromin kann die katalytische Domäne durch eine massive Konformationsänderung RAS binden, und RAS kann daher reguliert werden. „Das Ergebnis zeigt, dass nicht nur RAS selbst wie ein molekularer Schalter an- und abgeschaltet werden kann, sondern, dass auch Neurofibromin einen inaktiven und aktiven Zustand besitzt“, erklärt Andreas Naschberger, der das Projekt als Postdoktorand in Innsbruck zusammen mit Rupp konzipiert und das Protein hergestellt hat.

Die Struktur erklärt zudem, warum eine Vielzahl krankmachender Mutationen auch außerhalb der katalytischen Domäne auftritt, da für die beschriebene weitreichende Konformationsänderung Neurofibromin flexibel sein muss.  Diese notwendige Flexibilität kann durch Mutationen an vielen Stellen des gesamten Proteins effektiv eingeschränkt werden, sodass Neurofibromin nicht mehr in die aktive, funktionelle Form übergehen kann. Aus diesem Grund kann die Krankheit auftreten, auch wenn die Mutationen nicht in der katalytischen Domäne liegen.

Revolutionäre Technik

„Es ist erstaunlich, wie sich die Strukturbiologie und damit die gesamte biologische und biomedizinische Forschung durch cryoEM verändert hat und noch verändern wird. Mit modernsten Instrumenten und neuen Detektoren können Daten über Nacht aufgenommen und oft in wenigen Tagen prozessiert werden. Mittels cryoEM ist es somit möglich, viele verschiedene, biologisch relevante molekulare Konformationen flexibler Strukturen in kurzer Zeit zu entschlüsseln“, sagt Rupp. Dank laufender Weiterentwicklung seien diese high-end cryoEM-Instrumente auch für Universitäten finanzierbar geworden. „Die Anschaffung einer leistungsfähigen biomolekularen cryoEM-Anlage wäre auch am Forschungsstandort Innsbruck sinnvoll“, so Rupp. Denn erst nach Naschbergers Übersiedelung nach Schweden konnten die Arbeiten mit Rozbeh Baradaran und Marta Carroni an der eigentlichen Strukturbestimmung in der cryoEM-Abteilung (Leiterin: Marta Carroni) abgeschlossen werden. Naschberger und Rupp haben anschließend die Struktur von Neurofibromin verfeinert und öffentlich zugänglich gemacht.

*Tumorsuppressor: Ein Protein, das andere, krebsverursachende Proteine reguliert.

*Proto-Onkogen RAS: Ein Protein, das bei fehlerhafter Regulierung Krebswucherung verursacht.

*Katalytische Domaine: Ein wichtiger Teilbereich des Tumorsuppressor-Proteins Neurofibromin, der an das RAS Onkogen bindet (GRD, GTPase-activating Protein-related Domain)

Steckbrief:

Bernhard Rupp ist unabhängiger Leiter seiner FWF-Projekte am Institut für Genetische Epidemiologie an der Medizinischen Universität Innsbruck. Seine fast 170 wissenschaftlichen Arbeiten reichen thematisch von viralen und bakteriellen Proteasen und Toxinen, Plasmaproteinen, Strukturgenomik und Wirkstoff-Design, bis zu Methodenentwicklung und Validierung von Strukturmodellen. Rupp hat sein Doktorat in Physikalischer Chemie sowie die Habilitation in Molekularer Strukturbiologie an der Universität Wien erlangt, arbeitete danach in Israel, Deutschland, der Schweiz und seit mehr als 30 Jahren auch in den USA.

Forschungsarbeit:
Naschberger, A., Baradaran, R., Rupp, B. et al. The structure of neurofibromin isoform 2 reveals different functional states. Nature (2021). https://doi.org/10.1038/s41586-021-04024-x

Weiterführende Links:

Institut für Genetische Epidemiologie an der Medizinischen Universität Innsbruck

SciLifeLab an der University Stockholm

Details zur Medizinischen Universität Innsbruck

Die Medizinische Universität Innsbruck mit ihren rund 2.200 MitarbeiterInnen und ca. 3.400 Studierenden ist gemeinsam mit der Universität Innsbruck die größte Bildungs- und Forschungseinrichtung in Westösterreich und versteht sich als Landesuniversität für Tirol, Vorarlberg, Südtirol und Liechtenstein. An der Medizinischen Universität Innsbruck werden folgende Studienrichtungen angeboten: Humanmedizin und Zahnmedizin als Grundlage einer akademischen medizinischen Ausbildung und das PhD-Studium (Doktorat) als postgraduale Vertiefung des wissenschaftlichen Arbeitens. An das Studium der Human- oder Zahnmedizin kann außerdem der berufsbegleitende Clinical PhD angeschlossen werden.

Seit Herbst 2011 bietet die Medizinische Universität Innsbruck exklusiv in Österreich das BachelorstudiumMolekulare Medizin“ an. Ab dem Wintersemester 2014/15 kann als weiterführende Ausbildung das Masterstudium „Molekulare Medizin“ absolviert werden.

Die Medizinische Universität Innsbruck ist in zahlreiche internationale Bildungs- und Forschungsprogramme sowie Netzwerke eingebunden. Schwerpunkte der Forschung liegen in den Bereichen Onkologie, Neurowissenschaften, Genetik, Epigenetik und Genomik sowie Infektiologie, Immunologie & Organ- und Gewebeersatz. Die wissenschaftliche Forschung an der Medizinischen Universität Innsbruck ist im hochkompetitiven Bereich der Forschungsförderung sowohl national auch international sehr erfolgreich.