Zweite und dritte COVID-19-Welle traf das Pflegepersonal deutlich härter
Das Pflegepersonal in Schweizer Spitälern war im Vergleich zur ersten Welle während der zweiten und dritten COVID-19-Welle einer deutlich höheren Arbeitsbelastung sowie stärkerem Zeitdruck ausgesetzt. Als Folge sank beim Pflegepersonal neben der Arbeitszufriedenheit auch die Wahrscheinlichkeit, weiter im Pflegeberuf arbeiten zu wollen. Das zeigt eine Umfrage des Instituts für Unternehmensrechnung und Controlling der Universität Bern.
Im Rahmen des Spitalpflegereports Schweiz untersucht das Institut für Unternehmensrechnung und Controlling der Universität Bern in enger Kooperation mit Schweizer Spitälern seit 2019 das Arbeitsumfeld von Pflegefachpersonen. 2019 wurden für den ersten Spitalpflegereport rund 1’500 Personen in 12 Spitälern befragt. 2020, während der ersten COVID-19-Welle im Frühjahr 2020, waren es 4’100 Personen in 19 Spitälern. Um die Auswirkungen der zweiten und dritten COVID-19-Welle (im Herbst/Winter 2020 und Frühjahr 2021) auf Pflegefachpersonen zu analysieren, führten die beiden Professoren Markus Arnold und Arthur Posch, unterstützt von der Doktorandin Lynn Selhofer, im Sommer und Herbst 2021 erneut eine Umfrage unter 4’038 Pflegefachpersonen aus 26 Schweizer Spitälern durch.
«Diese Datenerhebung ermöglicht einen Vergleich der Resultate über mehrere Jahre. Da die erste Erhebung 2019, noch vor Ausbruch der Pandemie, stattgefunden hat, liefern uns die nachfolgenden Befragungen nun auch Einblicke in die Auswirkungen der Pandemie auf das Spitalpflegepersonal», sagt Markus Arnold.
Arbeitsbelastung und Zeitdruck stiegen deutlich an
Insgesamt stieg während der zweiten und dritten COVID-19-Welle die Belastung für Pflegefachpersonen sehr stark an. Das zeigt sich sowohl an einer höheren Arbeitsbelastung (+26%) als auch an einer grösseren emotionalen Erschöpfung der Pflegenden (+19%). Als Folge der gestiegenen Arbeitsbelastung musste auch unter einem höherem Zeitdruck (+18%) gearbeitet werden. «Die Resultate belegen eindeutig, dass die zweite und dritte Welle der Pandemie das Pflegepersonal deutlich stärker traf als noch die erste Welle», erklärt Markus Arnold.
Besonders stark betroffen waren Pflegende in den Not- und Intensivabteilungen. Gegenüber 2019 nahm die Arbeitsbelastung während der zweiten und dritten COVID-19-Welle hier um 61% zu, während die Zunahme in anderen Abteilungen lediglich 38% betrug. «Dass Not- und Intensivabteilungen besonders stark von der zweiten und dritten COVID-19-Welle betroffen waren, ist auch daran ersichtlich, dass die emotionale Erschöpfung sowie der Zeitdruck im Vergleich zu anderen Abteilungen erheblich höher war», fasst Arnold die Situation für Not- und Intensivabteilungen zusammen.
Arbeitszufriedenheit und Zufriedenheit mit der Bezahlung sanken stark
Als Folge der erhöhten Arbeitsbelastung sank auch die Arbeitszufriedenheit der Pflegefachpersonen während der zweiten und dritten COVID-19-Welle deutlich gegenüber der ersten COVID-19-Welle (-7%). Noch stärker im Vergleich zur ersten COVID-19-Welle sank die Zufriedenheit der Pflegefachpersonen mit ihrer Bezahlung während der zweiten und dritten COVID-19-Welle (-9%). Diese Entwicklung steht in starkem Kontrast zur ersten COVID-19-Welle, während der – trotz höherer Belastung – die Arbeitszufriedenheit gegenüber 2019 sogar leicht anstieg (+1%).
Zieht man das Jahr 2019, also die Situation vor der Pandemie, als Vergleichsbasis heran, zeigt sich, dass die Zufriedenheit des Pflegepersonals mit seiner Bezahlung über die gesamte bisherige COVID-19-Pandemie hinweg um insgesamt 15% sank, die gesamte Arbeitszufriedenheit um 6%. «Die Entwicklungen bei der Arbeitszufriedenheit und bei der Zufriedenheit mit der Bezahlung belegen eindeutig, dass die zweite und dritte COVID-19-Welle den Pflegefachpersonen viel mehr abverlangte als die erste Welle», erklärt Arthur Posch.
Die sinkende Zufriedenheit führte auch dazu, dass heute mehr Pflegefachpersonen in Erwägung ziehen, ihren Beruf nicht weiter auszuüben. Nach der zweiten und dritten COVID-19-Welle gaben Pflegefachpersonen durchschnittlich an, dass sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 81% dem Pflegeberuf in zwei Jahren auch noch nachgehen werden. Vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie lag dieser Wert noch bei 88%. «Auch diese Ergebnisse zeichnen aus meiner Sicht ein klares Bild: Für ein Berufsfeld, das bereits heute unter drastischem Fachkräftemangel leidet, ist ein Rückgang von 7% viel. Hinzu kommt, dass die Belastungen der zweiten und dritten COVID-19-Welle für viele Pflegefachpersonen über ein erträgliches Mass hinausgingen», hält Posch fest.
Neben der hohen Arbeitsbelastung und dem Zeitdruck litten Pflegefachpersonen auch unter grossem emotionalem Stress und Schlafstörungen, was sich negativ auf deren Zufriedenheit und Bindung an den erlernten Pflegeberuf auswirkte. «Inwieweit sich diese problematischen Entwicklungen auch in der aktuellen vierten Welle fortsetzen, untersuchen wir aktuell in einem Folgeprojekt», erklärt Markus Arnold das weitere Forschungsprogramm.
Einflussfaktoren auf die Arbeitszufriedenheit
Neben den Erkenntnissen zur allgemeinen Entwicklung der Arbeitszufriedenheit zeigt die aktuelle Studie auch auf, wie Spitäler die Arbeitszufriedenheit ihres Pflegepersonals positiv beeinflussen können. Besonders positiv wirken sich dabei vor allem mehr Mitspracherechte bei COVID-19-Massnahmen, mehr Entscheidungsspielräume bei der Arbeit sowie explizites Lob der Vorgesetzten aus. Einen sehr positiven Einfluss hat zudem ein kooperatives Arbeitsklima zwischen dem Pflege- und dem ärztlichen Personal.
«Es ist hervorzuheben, dass Pflegefachpersonen all jene Massnahmen besonders schätzen, die ihnen gegenüber Vertrauen und Wertschätzung signalisieren», fasst Arthur Posch zusammen. Dies beinhaltet auch eine regelmässige Überarbeitung und klare Kommunikation der Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie und zum Schutz der Mitarbeitenden. «Sinnvolle Massnahmen erhöhen die Zufriedenheit, senken den Zeitdruck und verhindern emotionale Erschöpfung der Pflegefachpersonen», so Markus Arnold.
Spitalpflegereport Schweiz
Der Spitalpflegereport Schweiz ist ein Forschungsprogramm, bei dem Markus Arnold und Arthur Posch in enger Kooperation mit Schweizer Spitälern seit 2019 regelmässig die Arbeitssituation von Pflegefachpersonen untersuchen. Der Spitalpflegereport Schweiz ist Teil des grösseren mehrjährigen Forschungsprojektes «An Integrated Perspective on the Role of Nursing in Knowledge Translation». Das Projekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördert. Seit September 2021 ist Lynn Selhofer als Doktorandin im Spitalpflegereport Schweiz involviert.
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Institut für Unternehmensrechnung und Controlling (IUC)
Das Institut für Unternehmensrechnung und Controlling befasst sich in Lehre, Forschung und Beratung mit Themen des Financial und des Managerial Accounting. Die Forschung des IUC konzentriert sich auf die Verwendung und Gestaltung von Rechnungslegungs- und Performanceinformationen für Unternehmenssteuerung und Leistungsbewertung, für die Steuerung über Anreize und für Management-Entscheidungen. Unter anderem forscht das IUC auch zur Rolle von Steuerungssystemen in den Bereichen Healthcare, Public Finance und Risikomanagement.
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