Omikron bringt fünfte Corona-Welle nach Österreich

Die neue Coronavirus-Variante wird im Jänner zu einer neuen Welle der Erkrankungen in Österreich führen. Wie heftig diese ausfällt, hängt auch von den Gegenmaßnahmen ab. Eine Dreifachimpfung schützt jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit vor schweren Verläufen, sagt ÖAW-Molekularbiologe Ulrich Elling.

„Die Dreifachimpfung bietet auch einen gewissen Schutz vor Ansteckung, vor allem wenn sie frisch ist“, sagt Ulrich Elling vom IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Soweit zur guten Nachricht. Weniger optimistisch ist der Molekularbiologe, wenn es um das Infektionsgeschehen in den kommenden Wochen geht: „Sicher scheint, dass mehr Personen infiziert werden als bei bisherigen Wellen.“ Besonders ungeimpfte Menschen sind gefährdet und müssen mit ähnlichen Kranheitsverläufen wie bei der Delta-Variante rechnen, so Elling im Interview.

ULRICH ELLING ZUR GEFAHR DURCH OMIKRON

Expert/innen warnen derzeit eindringlich vor Omikron. Wie schlimm wird es?

Ulrich Elling: Wir wissen noch nicht genau, wie schlimm die nächste Welle wird. Es ist vor allem unklar, welche Gegenmaßnahmen ergriffen werden und ob die dann auch wirklich greifen. Sicher scheint, dass mehr Personen infiziert werden als bei bisherigen Wellen. Die Frage ist, ob der Anstieg steil und hoch ausfallen wird oder ob er lang gezogen werden kann.

Etwa zum Jahreswechsel wird die Zahl der Infektionen in Österreich nach oben gehen.“

Lässt sich abschätzen, wann die Infektionskurve nach oben schnellen wird?

Elling: Etwa zum Jahreswechsel wird die Zahl der Infektionen in Österreich nach oben gehen – das wissen wir aus Hochrechnungen auf Basis der Entwicklung in Dänemark und Großbritannien, wo es bereits mehr Fälle und gute Daten gibt.

MILDER VERLAUF DANK IMPFUNG

Was droht uns in der fünften Welle?

Elling: Das kann sehr heftig werden und uns unter Umständen auch entgleiten. Omikron ist deutlich ansteckender und kann den Impfschutz leichter durchbrechen. Das bedeutet: Es werden sehr viele Menschen gleichzeitig krank und die Zahl der Personen in Quarantäne wird entsprechend steigen. Das wird potenziell eine enorme Herausforderung, möglicherweise sogar für die Logistik und die kritische Infrastruktur. Realistische Szenarien lassen eine enorme Belastung für Krankenhäuser, im schlimmsten Fall auch für Strom- und Wasserversorgung sowie die Lebensmittelversorgung, erwarten. Zum Glück sind wir anderen Ländern etwas hinterher und können aus deren Erfahrungen lernen.

Nach derzeitigem Stand des Wissens: Können wir auf mildere Verläufe hoffen?

Elling: Ein geringerer Anteil der mit Omikron Erkrankten hat schwere Verläufe oder wird krankenhauspflichtig, das sehen wir in Südafrika und inzwischen auch England und Dänemark. Das liegt daran, dass sich mit Omikron auch deutlich mehr Geimpfte oder Genesene anstecken, deren Immunsystem gelernt hat, das Virus zu bekämpfen. Genau dafür ist ja die Impfung auch gemacht und zugelassen. Vor Ansteckung ist man mit zwei Impfungen nicht geschützt. Die Dreifachimpfung bietet aber auch einen gewissen Schutz vor Ansteckung, vor allem wenn sie frisch ist.

Wer ungeimpft ist, sollte mit den gleichen Verläufen wie bei Delta rechnen, nur nun mit noch größerer Wahrscheinlichkeit der Ansteckung und damit Erkrankung.“

Was wurde aus der Hoffnung, dass SARS-CoV-2 sich mit Omikron zu einem harmloseren Virus verändern könnte?

Elling: Omikron selbst hat sich nach vorläufigen Daten nicht dahingehend verändert, mildere Verläufe zu verursachen. Wer also zum Beispiel ungeimpft ist, sollte mit den gleichen Verläufen wie bei Delta rechnen, nur nun mit noch größerer Wahrscheinlichkeit der Ansteckung und damit Erkrankung.

Wäre Omikron ungefährlich, wenn es zu milderen Verläufen führen würde?

Elling: Selbst wenn der Anteil der Infizierten, die ins Krankenhaus müssen im Vergleich zu den vorangegangenen Wellen nur ein Fünftel betragen würde, macht das die Situation nicht besser, wenn die Zahl der Infizierten dafür fünfmal so hoch ist. Eine derart schlimme Welle ist durchaus im Bereich des Möglichen.

BOOSTER-IMPFUNG SCHÜTZT VOR SCHWEREM VERLAUF

Wie steht es um den Impfschutz?

Elling: Im Prinzip kann man den Impfstatus vereinfacht gesagt minus eins rechnen. Wer doppelt geimpft ist, ist kaum geschützt, zumindest nicht vor Ansteckung. Das Problem bei Omikron ist, dass selbst eine dritte Impfung nur bedingt vor Ansteckung schützt, eben etwa so wie zwei Impfungen bei Delta und das war ja bereits nicht mehr ausreichend. Vor schweren Verläufen schützt vor allem die Dreifachimpfung nach momentaner Datenlage aber schon. Wir erwarten steil steigende Infektionszahlen ab Jahreswechsel. Bis dahin werden wir nicht mehr allzu viele Leute boostern können. Als Gesellschaft haben wir also kaum eine Chance, hier noch Maßnahmen zu setzen.

Die mRNA-Impfstoffe können sehr schnell angepasst werden, aber vor März werden Omikron-Versionen nicht verfügbar werden.“

Könnten angepasste Impfstoffe die Rettung sein?

Elling: Die mRNA-Impfstoffe können sehr schnell angepasst werden, aber vor März werden Omikron-Versionen nicht verfügbar werden. Das ist zu spät für die fünfte Welle.

Kam die neue Variante überraschend?

Elling: Ein einfaches Modell der Evolution des Virus, das nur den Selektionsvorteil über die Zeit und die Größe der Virenpopulation berücksichtigt, hat diese Entwicklung praktisch exakt vorhergesehen, inklusive Omikron. Fest steht: Das wird nicht die letzte Variante bleiben. Es wird jedenfalls so lange weitere Wellen geben, bis jeder so viel Immunschutz durch Infektion oder Impfungen hat, dass die Symptome nur noch denen einer Erkältung ähneln. So weit sind wir aber noch lange nicht.

LEHREN AUS SÜDAFRIKA

Gab es eine Chance, die Verbreitung von Omikron aufzuhalten?

Elling: Zur Entdeckung von Omikron im November hatten wir in Südafrika 600 Fälle. Da hätten wir eventuell die Chance gehabt, die Ausbreitung durch rasches Eingreifen noch einzudämmen. Da SARS-CoV-2 aber nicht allzu hohe Letalitätsraten verursacht, lässt sich eine derartige internationale Reaktion anscheinend nicht gemeinsam umsetzen.

Wir bräuchten ein besseres globales Netzwerk, das sofort Alarm schlägt.“

Wie könnte man die Verbreitung in Zukunft verhindern?

Elling: Dafür bräuchten wir ein besseres globales Netzwerk, das sofort Alarm schlägt und eine schlagfertige internationale Eingreiftruppe. Künstliche Intelligenz könnte helfen und zum Beispiel bei jeder Häufung von Erwähnungen des Wortes „Schnupfen“ in den sozialen Medien einer Region eine Warnung ausgeben, um Ausbrüche zu erkennen, bevor es zu spät ist.