Depressionen bei Kindern und Jugendlichen: Kognitive Verhaltenstherapie und interpersonelle Psychotherapie können depressive Symptome lindern
ThemenCheck Medizin: Finaler HTA-Bericht bestätigt, dass die untersuchten psychotherapeutischen Verfahren gegenüber einer Therapie mit Antidepressiva nicht schlechter abschneiden.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Donau-Universität Krems haben im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) untersucht, ob eine Psychotherapie (kognitive Verhaltenstherapie, psychodynamische Psychotherapie oder interpersonelle Psychotherapie) zur Behandlung von Depressionen bei Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu anderen Interventionen oder einer aktiven abwartenden Kontrolle der Symptomatik zu besseren Resultaten führt.
Ihr Ergebnis: Die kognitive Verhaltenstherapie und die interpersonelle Psychotherapie können depressive Symptome bei Kindern und Jugendlichen lindern und schneiden gegenüber der Verordnung von Antidepressiva nicht schlechter ab. Allerdings kann die Expertengruppe auf Basis der eingeschlossenen Literatur keine Aussage darüber treffen, wie die beiden Verfahren bei verschiedenen Schweregraden der Depression oder unterschiedlichen Altersgruppen wirken.
Die Studienlage zur psychodynamischen Psychotherapie ist nicht ausreichend, um eine abschließende Aussage zur Wirksamkeit zu treffen, so das Wissenschaftlerteam.
Anfrage einer Bürgerin war Ausgangspunkt des Berichts
Etwa eins von 100 Kindern und fünf von 100 Jugendlichen leiden an einer depressiven Störung. Auch wenn sich 90 Prozent der Betroffenen innerhalb von ein bis zwei Jahren erholen, so erleidet mindestens die Hälfte von ihnen innerhalb von fünf Jahren einen Rückfall. Typische Symptome sind – wie bei Erwachsenen auch – eine gedrückte Stimmung, fehlender Antrieb, geringes Selbstwertgefühl oder auch Interessenverlust und Freudlosigkeit. Die Symptome können aber je nach Alter auch durch andere Symptome oder Begleiterkrankungen überlagert oder fehlinterpretiert werden.
Vor diesem Hintergrund stellte eine Bürgerin unter anderem die Frage, ob man bereits bei ersten depressiven Symptomen bei Kindern und Jugendlichen eine psychotherapeutische Behandlung beginnen solle.
Der nun vorliegende HTA-Bericht untersuchte daher, ob eine Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen hilft und wie sie im Vergleich zu anderen Interventionen abschneidet, etwa dem aktiven Abwarten, der Einnahme von Antidepressiva, Sport oder Entspannungsübungen.
Finaler HTA-Bericht gibt Hinweise, dass kognitive Verhaltenstherapie und interpersonelle Psychotherapie depressive Symptome lindern
Zur Wirksamkeit und Sicherheit von Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen mit Depressionen konnte die Expertengruppe 13 systematische Übersichtsarbeiten mit Daten aus 150 Primärstudien in den vorliegenden Bericht einschließen. Sie identifizierten Studien zu drei Formen der Psychotherapie: kognitive Verhaltenstherapie, interpersonelle Psychotherapie und psychodynamische Psychotherapie. Der Bericht vergleicht diese Psychotherapieformen mit inaktiven Kontrollen (z. B. Warteliste oder „psychologisches Placebo“) oder mit einer Antidepressiva-Therapie sowie als Add-on zur Verordnung von Antidepressiva. Für diesen HTA-Bericht explizit ausgeschlossen wurde die systemische Therapie für die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen, da das IQWiG hierzu einen eigenen Bewertungsauftrag vom Gemeinsamen Bundesausschuss erhalten hat.
Zum Vergleich der drei identifizierten Formen der Psychotherapie mit nicht medikamentösen Verfahren wie Sport oder Entspannungsübungen, die als alleiniger Therapieansatz meist nur bei leichten Depressionen empfohlen werden, gab es keine Studien.
Die wichtigsten Ergebnisse:
- Bei einer kognitiven Verhaltenstherapie lernen die Betroffenen, belastende Denkmuster zu erkennen und zu verändern. Der HTA-Bericht zeigt, dass die kognitive Verhaltenstherapie depressive Symptome bei Kindern und Jugendlichen lindern kann. Einige Studien deuten darauf hin, dass sie auch als Add-on zur Einnahme von Antidepressiva Vorteile haben kann. So gelang es dadurch den Betroffenen in einer Studie langfristig, Schule und soziale Aktivitäten besser zu bewältigen. Ein Vergleich der kognitiven Verhaltenstherapie mit einer alleinigen Verordnung von Antidepressiva liefert jedoch keine Hinweise darauf, dass eine dieser Behandlungen Depressionen besser lindert als die andere.
- Bei einer interpersonellen Psychotherapie liegt der Schwerpunkt auf zwischenmenschlichen Belastungen und Konflikten. Die interpersonelle Psychotherapie kann dazu beitragen, dass sich depressive Beschwerden bei Kindern und Jugendlichen bessern. Die Studien sprechen zudem dafür, dass die Betroffenen durch die Therapie Schule und soziale Aktivitäten wieder besser bewältigen können. Einige Studien verglichen die interpersonelle Psychotherapie mit der Einnahme von Antidepressiva. Diese zeigten jedoch keine Hinweise darauf, dass eine dieser Behandlungen Depressionen besser lindert als die andere. Zur Frage, wie die interpersonelle Psychotherapie zusätzlich zur Einnahme von Antidepressiva wirkt, konnte die Expertengruppe keine Studien identifizieren.
- Bei einer psychodynamischen Psychotherapie geht es stärker als bei den anderen Verfahren darum, Auslöser für die Beschwerden zu finden und zu verarbeiten. Zur psychodynamischen Psychotherapie konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber nur wenige Studien finden. Diese lieferten keinen Anhaltspunkt für eine Linderung depressiver Symptome im Einsatz bei Kindern und Jugendlichen.
Nicht beantworten konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Frage, wie gut die untersuchten Psychotherapien bei verschiedenen Schweregraden der Depression oder in den unterschiedlichen Altersgruppen wirken, da in den eingeschlossenen systematischen Übersichten die erhobenen Daten nicht nach Alter oder Schweregrad der Depression analysiert wurden.
Bürger fragen, Wissenschaftler antworten
Zu den Besonderheiten von „ThemenCheck Medizin“ gehört, dass die Fragestellungen der Berichte auf Vorschläge aus der Bevölkerung zurückgehen. Das IQWiG sammelt diese und wählt pro Jahr bis zu fünf Themen aus. Ein Auswahlbeirat bringt dabei die Bürger- und Patientensicht ein, ein Fachbeirat die Expertenperspektive.
Das IQWiG verfasst die HTA-Berichte nicht selbst, sondern beauftragt externe Sachverständige mit deren Erstellung. In den HTA-Berichten wird der medizinische Nutzen eines medizinischen Verfahrens bewertet, aber auch seine wirtschaftlichen, ethischen, sozialen, rechtlichen und organisatorischen Auswirkungen. Die HTA-Berichte werden gemeinsam mit einer allgemein verständlichen Kurzfassung (HTA kompakt) und einem Herausgeberkommentar des IQWiG veröffentlicht.
Für die ThemenCheck-Auswahlrunde des Jahres 2022 können noch bis zum 31. Juli 2022 über die Website des IQWiG neue Themenvorschläge eingereicht werden.
Weitere Informationen