Immunzellen als Hausbesetzer
Entgegen bisheriger Annahme bleiben manche Blutzellen jahrelang im Gewebe
Jena. Menschliche Immunzellen schwimmen nicht nur im Blut, sondern spezialisieren sich auch auf bestimmte Gewebe und verweilen dort zum Teil jahrelang. Das hat ein von der Immunologin Christina Zielinski geleitetes Forschungsteam mithilfe von Patientenproben nach Stammzelltransplantationen herausgefunden. Zudem konnten die Forschenden die besonderen Eigenschaften residenter Immunzellen näher charakterisieren. Die Ergebnisse wurden in Science Immunology veröffentlicht.
Gelangen Krankheitserreger in den menschlichen Körper, sind eine Vielzahl von Immunzellen schnell zur Stelle, um die Eindringlinge zu erkennen und zu zerstören. Unter ihnen sind auch sogenannte T-Zellen, eine Gruppe weißer Blutkörperchen. Sie können Eindringlinge wie Viren oder Bakterien direkt erkennen.
Neue Ergebnisse zeigen jedoch, dass die Bezeichnung „Blutzellen“ für diese Gruppe zumindest irreführend ist. „Wir konnten zeigen, dass T-Zellen manchmal jahrelang in der Haut verbleiben und so optimal an die Ortssituation angepasst sind“, sagt Christina Zielinski.
Die meisten T-Zellen bleiben im Gewebe
„Man ging lange davon aus, dass T-Zellen nur kurz durch das Gewebe zirkulieren, um zum Beispiel einen Infekt zu bekämpfen, dort aber nicht länger verweilen, sondern direkt zurück in die Blutbahn wandern“, erklärt Zielinski. Die Ergebnisse ihres Teams zeigen nun jedoch, dass ein großer Teil der T-Zellen langfristig im Gewebe ist und nur wenige Zellen im Körper zirkulieren. „Das zeigt auch, dass Blutproben wahrscheinlich nur wenig darüber aussagen, wie gut die Abwehrkräfte eines Menschen sind“, so Zielinski.
Um die T-Zellen im Menschen zu verfolgen und herauszufinden, welche Zelle sich wo aufhält und wie lange sie dort verbleibt, musste sich das Team eines Tricks bedienen. „Wir haben Proben von Patienten untersucht, die eine allogene Stammzelltransplantation erhalten haben“, so Zielinski. Das heißt, bei diesen Patienten wurde durch Chemotherapie und Bestrahlung das eigene Immunsystem zerstört und mithilfe von Blutstammzellen eines Spenders wiederaufgebaut. Das kann insbesondere bei einer Leukämie die einzige Möglichkeit der Heilung sein.
Die Forschenden untersuchten Haut-Biopsien und Blutproben, die zwei bis drei Jahre nach der Stammzelltherapie entnommen wurden. So konnten sie feststellen, ob die gefundenen T-Zellen von Patient oder Spender stammten. „Wir haben dafür den genetischen Fingerabdruck einzelner Zellen ermittelt“, erklärt Zielinski. Damit konnte sie zeigen, dass die Hälfte der T-Zellen in der Haut vom Patienten selbst stammen, im Blut hingegen fast ausschließlich T-Zellen des Spenders zu finden sind. Demnach haben die patienteneigenen Immunzellen jahrelang im Hautgewebe überdauert. Allerdings nur bei knapp einem Viertel der Empfänger der Stammzelltherapie, bei allen anderen war das Immunsystem tatsächlich komplett ausgetauscht worden.
Mögliche Folgen für Transplantationen
„Noch ist unklar, warum manche Patienten ihre eigenen Immunzellen behalten“, sagt Zielinski. Auch, was das für Auswirkungen habe, müsse noch näher erforscht werden. Sie vermute, dass die residenten T-Zellen eine schützende Funktion haben könnten. „Ich stelle mir das wie eine Hausbesetzung vor: Die Spenderzellen kommen dann nicht ins Gewebe rein, weil das schon durch die patienteneigenen T-Zellen besetzt ist.“ Daher könnten sie auch keine Entzündung verursachen. Die gefundenen residenten T-Zellen seien von einer entzündungshemmenden Sorte, was diese These unterstützt.
Ihre Arbeitsgruppe wird sich nun auf die Auswirkungen bei Lebertransplantationen konzentrieren. Auch hier sei die Frage, ob im Gewebe verbliebene T-Zellen – in diesem Fall des Spenders – das Organ möglicherweise vor einer Abstoßung schützen könnten.
Erkenntnisse über das Immunsystem
„Die residenten T-Zellen sind optimal an die Haut angepasst und können so deren Barrierefunktion in der Abwehr von Erregern gezielt unterstützen“, sagt Zielinski. Durch die heute mögliche RNA-Analyse einzelner Zellen (Single-Cell-RNA-Sequencing) konnte das Forschungsteam zudem erkennen, dass manchmal sogenannte T-Gedächtniszellen die Gewebe wieder verlassen und dann im Blutkreislauf zu finden sind. „Das könnte der Kommunikation mit anderen Organen dienen“, vermutet Zielinski. Die von ihrem Team gefundenen Marker für residente Zellen können nun genutzt werden, um residente Zellen einfacher aufzufinden und ihre Funktion genauer zu untersuchen.
Teamarbeit
Die Studie wurde unter Leitung von Christina Zielinski durchgeführt. Sie forschte bis 2020 an der Technischen Universität München und folgte anschließend einem Ruf auf die von der Carl-Zeiss-Stiftung geförderte Professur für Infektionsimmunologie an die Friedrich-Schiller-Universität Jena. Am dortigen Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – leitet sie die Abteilung Infektionsimmunologie. Weitere Mitglieder des Teams forschen an der Technischen Universität München mit dem Klinikum rechts der Isar, dem Helmholtz Zentrum München sowie dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung.
Die Arbeit wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft unter anderem im Rahmen des Sonderforschungsbereichs FungiNet und des Exzellenzclusters Balance of the Microverse gefördert. Sie wurde außerdem durch das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte Leibniz-Zentrum für Photonik in der Infektionsforschung unterstützt.
Originalpublikation
Almeida GB, Lichtner P, Eckstein G, Brinkschmidt T, Chu C-F, Sun S, Reinhard J, Mädler SC, Kloeppel M, Verbeek M, Zielinski CE (2022). Human skin-resident host T cells can persist long term after allogeneic stem cell transplantation and maintain recirculation potential. Sci Immunol 7, eabe2634
Das Leibniz-HKI:
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des Leibniz-HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre biologische Aktivität untersucht und für mögliche Anwendungen als Wirkstoffe zielgerichtet entwickelt.
Das Leibniz-HKI verfügt über sieben wissenschaftliche Abteilungen und vier Forschungsgruppen, deren Leiter überwiegend berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena sind. Hinzu kommen mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für das Institut. Gemeinsam mit der FSU betreibt das Leibniz-HKI die Jena Microbial Resource Collection, eine umfassende Sammlung von Mikroorganismen und Naturstoffen. Zurzeit arbeiten etwa 450 Personen am Leibniz-HKI, davon 150 Promovierende.
Das Leibniz-HKI ist Kernpartner großer Verbundvorhaben wie dem Exzellenzcluster Balance of the Microverse, der Graduiertenschule Jena School for Microbial Communication, der Sonderforschungsbereiche FungiNet (Transregio), ChemBioSys und PolyTarget, des Zentrums für Innovationskompetenz Septomics, des Leibniz-Zentrums für Photonik in der Infektionsforschung sowie von InfectControl, einem Konsortium im BMBF-Programm Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation. Das Leibniz-HKI ist zudem Nationales Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen.
www.leibniz-hki.de
Die Leibniz-Gemeinschaft
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 97 eigenständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften.
Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen knapp 21.000 Personen, darunter fast 12.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei zwei Milliarden Euro.
www.leibniz-gemeinschaft.de