Antiviral und entzündungshemmend

TWINCORE-Forschungsteam beschreibt doppelte Wirkung des körpereigenen Signalmoleküls Itaconsäure

Ein internationales Forschungsteam vom TWINCORE – Zentrum für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung, einer gemeinsamen Einrichtung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover, beschreibt die doppelte Wirkung der körpereigenen Substanz Itaconsäure, die gleichermaßen antiviral wie entzündungshemmend wirkt. Ihre Studie, die jetzt in der Fachzeitschrift PLOS Pathogens erschien, eröffnet Perspektiven für mögliche therapeutische Anwendungen von Itaconsäure gegen schwere Krankheitsverläufe bei Virusinfektionen.

Eine wichtige Aufgabe des menschlichen Immunsystems ist es, die kritische Balance zu halten zwischen effizienter Abwehr eines Erregers einerseits und dem Schutz betroffener Gewebe andererseits. Krankheitsbilder viraler Infektionen sind nicht selten geprägt von einem „zu viel“ der Abwehr, einer übermäßig starken Entzündung, die das Gewebe schädigt. Der entstehende Schaden kann größer sein als der durch den Erreger selbst verursachte. Als Rheumatologe interessiert sich der Mediziner Frank Peßler, Leiter der Forschungsgruppe „Biomarker in Infektionen“ am TWINCORE in Hannover besonders für diese als Immunpathologie bezeichneten Facetten von Infektionskrankheiten, die vor allem bei Influenza und COVID-19 eine wichtige Rolle spielen.

Während einer Entzündung produzieren manche Abwehrzellen Itaconsäure. Sie wirkt hemmend auf Bakterien, die im Inneren dieser Zellen überleben. Seit einigen Jahren beobachten Forschende zudem, dass dieses hochreaktive organische Molekül wichtige entzündungsfördernde Signale im Immunsystem dämpft. In der aktuellen Studie beschreiben Frank Peßler und sein Team am TWINCORE die Funktion von Itaconsäure während einer Infektion mit dem Influenzavirus.

Sie beobachteten, dass in Lungengeweben von Mäusen wie von Menschen bei einer Infektion mit dem Grippevirus Itaconsäure produziert wird. Mäusen bietet sie Schutz vor schweren Auswirkungen der Infektion. Fehlt das Enzym zur Herstellung des Moleküls hingegen, ist die Entzündungsreaktion in der Lunge stärker ausgeprägt und die Krankheit verläuft häufiger tödlich. In den untersuchten Geweben sahen die Forschenden, dass die Synthese von Itaconsäure und des dafür benötigten Enzyms mit einer Absenkung der Entzündung einherging. Wenn sie Mäuse während der Influenzainfektion mit Itaconsäure als „Medikament“ behandelten, blieb die Entzündung in den Lungen fast vollständig aus.

Um herauszufinden, welche Immunzellen die Quelle der Itaconsäure sind, nutzen die Forschenden hochmoderne Einzelzell-Sequenziermethoden. Sie fanden heraus, dass im menschlichen Blut Monozyten, also jene Zellen, die sich zu Fresszellen entwickeln können, mit dem Grippevirus infiziert werden und daraufhin Itaconsäure produzieren. Monozyten und andere Immunzellen drosselten zudem die Produktion entzündungsfördernder Faktoren, wenn zusätzlich von außen Itaconsäure zugegeben wurde. „Wir konnten erstmals Veränderungen in verschiedenen entzündungsfördernden Signalkaskaden zeigen, die Itaconsäure bei einer Grippeinfektion im Abwehrsystem bewirkt“, sagt Frank Peßler.

Monozyten werden zwar infiziert, setzen aber keine neuen Viruspartikel frei. Eine erstaunliche Beobachtung machten die Forschenden an Körperzellen, die das Influenzavirus produktiv vermehren und Lungengewebe ähneln: „Wenn wir diese Zellen im Labor infizierten und mit Itaconsäure behandelten, produzierten sie deutlich weniger neue Viruspartikel“, sagt Peßler. Itaconsäure scheint also eine Art molekulares Multitalent zu sein, das nicht nur antibakteriell und entzündungshemmend wirkt, sondern auch die Vermehrung von  Influenzaviren hemmen kann.

„Wir präsentieren in dieser Studie Ergebnisse aus sieben Jahren wissenschaftlicher Untersuchungen, zu denen Forschende aus Deutschland, Ägypten, China und Pakistan beigetragen haben“, sagt Peßler. „Alle unsere Erkenntnisse weisen in eine klare Richtung: Itaconsäure kann die Abwehrreaktion drosseln und Organschädigungen verhindern ohne dadurch die Virusvermehrung zu fördern.“

Damit ist die Substanz ein vielversprechender Ansatzpunkt für die Entwicklung therapeutischer Wirkstoffe. „Sie könnte den Krankheitverlauf beispielsweise bei Menschen günstig beeinflussen, die einen Mangel an körpereigener Itaconsäure haben.“ Peßler denkt nun einen Schritt weiter: Zusammen mit Forschenden vom Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS), einem Standort des HZI in Zusammenarbeit mit der Universität des Saarlandes, möchte er mittels „intelligent drug design“ Itaconsäure-ähnliche Substanzen optimieren, die die Virusvermehrung noch effizienter blockieren.

ORIGINALPUBLIKATION:

Itaconate and derivatives reduce interferon responses and inflammation in influenza A virus infection
. Aaqib Sohail, Azeem A. Iqbal, Nishika Sahini, Fangfang Chen, Mohamed Tantawy, Fakhar Waqas, Moritz Winterhoff, Thomas Ebensen, Kristin Schultz, Robert Geffers, Klaus Schughart, Matthias Preusse, Mahmoud Shehata, Heike Bähre, Marina C. Pils, Carlos A. Guzman, Ahmed Mostafa, Stephan Pleschka, Christine Falk, Alessandro Michelucci, Frank Pessler. 
PLOS Pathogens, 2022, DOI: https://doi.org/10.1371/journal.ppat.1010219

Autorin: Ulrike Schneeweiß