Affenpocken – Potenzial für eine neue Epidemie?
Affenpocken-Infektionen breiten sich seit Anfang Mai weltweit aus. Experten rechnen bisher aber nicht mit einer neuen Pandemie. Erstmals entdeckt wurde das Virus 1958, ein Überspringen der Zoonose auf den Menschen wurde erstmals 1970 dokumentiert. Prof. Stephan Ludwig ist Leiter des Instituts für Virologie der WWU und des UKM (Universitätsklinikum Münster) und koordiniert an seinem Institut die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen – kennt sich also bestens aus mit Erregern, die eigentlich im Tier entstanden sind.
Herr Prof. Ludwig, was genau ist eine Zoonose?
Eine Zoonose ist eine Infektionskrankheit, bei der ein Erreger von Tieren auf den Menschen überspringt oder umgekehrt. Eigentlich ist das ein Unfall in der Evolution der Viren, dass man plötzlich eine neue Wirtsspezies angreift. Das führt dann aber leider auch dazu, dass es in der Regel keinen guten Infektionsschutz gibt, weil der Mensch mit dem Erreger noch nicht in Kontakt gekommen ist oder dagegen geimpft ist.
Haben Virologen eine Idee dazu, warum jetzt weltweit so viele Fälle neu auftreten?
Nein. Es gibt viele Vermutungen, die aber noch nicht wissenschaftlich geprüft sind. Eine Vermutung ist die Adaptation des Virus. Viren verändern sich, auch wenn ein Pockenvirus genetisch stabiler ist als beispielsweise ein Corona- oder ein Grippevirus. Es könnte zu einer Veränderung im Affenpockenvirus gekommen sein, die Menschen plötzlich empfänglicher werden lässt für diese Viren. Deswegen ist es wichtig, dass wir Infizierte insbesondere auch von Tieren isolieren, damit der Mensch das Virus nicht an eine andere Tierart zurückgibt. Das wäre in der Tat eine Übertragung, die sich als gefährlich erweisen könnte.
Wie ist denn der Übertragungsweg?
Also die ursprüngliche Übertragung des Virus von Tier auf Mensch kommt vermutlich durch engen Kontakt mit Tieren oder eventuell durch Tierbisse. Im Moment findet man die Übertragung von Mensch zu Mensch. Man weiß, dass es über Körperflüssigkeiten passiert, über engen Kontakt von Personen. Es handelt sich, soweit bisher bekannt, nicht um einen aerosolisch übertragbaren Erreger. Tröpfcheninfektionen sind selten und passieren dann, wenn sich im Mund Pusteln bilden und damit die Viren dann im Sputum (Speichel) sind. Wichtig finde ich zu sagen, dass es absolut nicht angebracht ist, die Übertragbarkeit des Virus nur auf Männer zu reduzieren, die Sexualverkehr mit anderen Männern haben. So wie bei den ersten AIDS-Infektionen in den Achtzigern kann es jeden und jede treffen.
Woran merke ich, dass ich infiziert bin?
Die Infektion äußert sich durch klassische Erkältungssymptome wie Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen. Das Spezifische ist aber das Auftreten von Läsionen auf der Haut, also Pusteln. Da sollten wir jetzt vor allem unsere Mediziner sensibilisieren, dass sie solche Befunde in Zusammenhang bringen und Patient*innen dann auf die Infektion testen lassen. In der Regel sind die Infektionsverläufe milde. Es gibt aber auch schwerere Verläufe vor allem bei immunsupprimierten Personen. Eine schwere Komplikation, die durchaus zum Tod führen kann, kann auch eine bakterielle Co-Infektion oder sogar eine bakterielle Sepsis sein, die sich entwickelt, wenn sich die Pusteln öffnen und infizieren.
Müssen Patient*innen isoliert werden?
Ja, solange sie Symptome haben, sind sie auch ansteckend, also zwischen zwei bis vier Wochen im Normalfall. Es ist allerdings anders als bei Corona, weil das Virus nicht über Aerosole in der Luft übertragbar ist. Aber direkter Kontakt mit den Pusteln und Körperflüssigkeiten von Infizierten muss vermieden werden.
Gibt es Medikamente gegen die Affenpocken?
Es gibt in der Tat ein Therapeutikum – eigentlich ist das gegen die klassischen Pocken entwickelt worden. Das ist in Europa zugelassen und könnte bei Infektionsfällen off-Label genutzt werden als individueller Heilversuch. Da müssen wir aber erst sehen, wie das in der Klinik wirklich anschlägt.
Menschen über 50 haben ja oftmals noch eine Pocken-Impfung bekommen. Schützt die?
Das scheint so zu sein. Dazu gibt es Zahlen, die belegen, dass die Schutzwirkung bei der älteren Bevölkerung bis zu 85 Prozent sein könnte. Ähnlich wie beim Corona-Virus heißt das nicht, dass Ältere sich nicht mit dem Virus anstecken können. Allerdings wären schwere Verläufe eher unwahrscheinlich. In der EU ist ein Impfstoff gegen Pocken zugelassen – auch hier könnte man, ähnlich wie bei den Medikamenten, eine off-Label-Verwendung gegen Affenpocken versuchen. In Großbritannien ist man aktuell den Schritt gegangen, die Impfung für gewisse Risikozielgruppen vorsorglich anzubieten.
Würden Sie aus virologische Sicht eine Impfung empfehlen?
Es ist noch zu früh, dazu etwas zu sagen. Diese neue Ausbreitung über vier Kontinente gleichzeitig ist ungewöhnlich und die müssen wir beobachten. Noch sind die Zahlen gering, aber sie werden sicher ansteigen. Wir müssen das beobachten und sollte das Ganze aber an Fahrt aufnehmen, dann müsste man über eine Impfempfehlung vulnerabler Gruppen nachdenken.