Tag der Organspende
Patienten mit schwerer Herzschwäche brauchen früher Aufklärung über Herzersatz
In Deutschland fehlt es zunehmend an ausreichend Spenderherzen für Patienten mit stark geschädigtem Herzen. Vorstand der Herzstiftung appelliert, weiter für die Organspende zu kämpfen – und zugleich im Team mit Kardiologe und Chirurg Patienten über Alternativen zu informieren.
In Deutschland schien sich in den letzten Jahren die Zahl der Organspenden einigermaßen zu stabilisieren – selbst während der Pandemie. Für das erste Quartal 2022 meldet die Deutsche Stiftung für Organtransplantation (DSO) nun allerdings einen massiven Einbruch: 30 Prozent weniger Organspender und 25 Prozent weniger Organe im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Eine Erklärung dafür könnte die hohe Belastung auf den Intensivstationen durch coronabedingte Personalengpässe sein, so dass am Ende der aufwendige Prozess von der Hirntoderklärung bis zur Organspende, Entnahme und Transplantation seltener erfolgt ist. Gerade für Herzpatienten, die dringlich auf ein neues Organ warten, verschärft sich damit die Situation. In einem gemeinsamen Appell anlässlich des Tags der Organspende weisen daher der Kardiologe und Intensivmediziner Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung, und sein Vorstandskollege, der Herzchirurg Prof. Dr. med. Jan Gummert auf die Bedeutung von Organspenden hin. Zugleich werben sie für eine verstärkte und frühzeitige Teamarbeit, um Patienten, bei denen eine Verschlechterung ihrer Herzfunktion abzusehen ist, über die Möglichkeiten und Chance einer Herztransplantation oder auch einer künstlichen Pumpe – meist ein Linksherzunterstützungssystem (LVAD für engl. Left Ventricular Assist Device) – aufzuklären. Nahezu 800 schwer herzkranke Menschen werden in Deutschland pro Jahr mit einem Herzunterstützungssystem versorgt. Mit Expertise zum Thema „Herzschwäche: Transplantation oder LVAD?“ äußern sich beide Herzspezialisten im aktuellen Herzstiftungs-Podcast abrufbar unter www.herzstiftung.de/podcast-organspende-2022
„Auf der Warteliste in Deutschland stehen ungefähr 700 transplantable Herzpatienten. Doch wir können nur rund 300 Transplantationen im Jahr durchführen. Das heißt, wir haben 400 Patienten, die wir nicht mit einem dringend benötigten neuen Herzen versorgen können“, verdeutlicht Prof. Gummert, Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie am Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen. Er hofft daher inständig, dass sich der aktuelle dramatische Einbruch in den nächsten Monaten wieder normalisiert, damit sich die Situation nicht weiter verschärft.
Auch Prof. Voigtländer, Ärztlicher Direktor des Agaplesion Bethanien-Krankenhauses in Frankfurt am Main, betont, dass eine Herztransplantation als Ultima Ratio durch den Organmangel immer schwieriger werde. Zugleich sieht er, dass sich bei den Patienten, die ein neues Herz benötigten, einiges verändert hat. Nach wie vor gehört neben der koronaren Herzkrankheit (KHK) die Kardiomyopathie zu den Hauptindikationen für eine Herztransplantation. Doch insgesamt hat die Zahl der Patienten, die nach einem großen Herzinfarkt eine massive Herzschwäche entwickeln, abgenommen, weil durch die schnelle Wiedereröffnung des verschlossenen Herzkranzgefäßes im Katheterlabor der Klinik das Herzinfarktareal begrenzt bleibt. Daher stehen im Verhältnis nun zunehmend jüngere Patienten mit angeborenen Herzmuskelproblemen auf der Warteliste, die eine sehr schlechte Linksherzfunktion entwickelt haben.
„Bis zu dem Punkt, wo ein Herzersatz diskutiert wird, haben wir inzwischen allerdings auch viele gute Therapiemöglichkeiten“, so Voigtländer. So habe sich bei den Medikamenten durch inzwischen vier große Wirkstoffgruppen gerade für Patienten mit Linksherzschwäche viel verbessert, ebenso interventionell durch diverse Schrittmachersysteme oder moderne Klappenprothesen. „Man muss das ganze Armamentarium der Kardiologie nutzen, um Herzinsuffizienz-Verläufe zu stabilisieren.“ Trotzdem kommen auch viele dieser Patienten dann irgendwann in eine Situation, wo sich die Frage stellt: Herztransplantation oder Herzunterstützungssystem?
Zentren mit Erfahrung für Transplantation und LVAD bevorzugt
Kardiologe Voigtländer und Herzchirurg Gummert sind sich dabei einig, dass diese Frage möglichst frühzeitig mit dem Patienten geklärt werden sollte, bevor sein Zustand sich zu sehr verschlechtert. Nur so könnten individuelle Belange besprochen werden. Bei zu spätem Herzersatz sei zudem generell der Erfolg meist geringer. Spätestens, wenn die Funktion der linken Herzkammer sich immer weiter verschlechtert und in Bereiche kommt, wo die Auswurffraktion (Ejektionsfraktion)* unter 30-20 Prozent fällt, „ist ein Gespräch mit einem entsprechenden Zentrum sinnvoll, das sowohl Herzunterstützungssysteme als auch Transplantationen durchführt“, empfiehlt Voigtländer. Diesen Kontakt sollten Kardiologen, die einen Patienten mit Herzschwäche betreuen, früher als bisher suchen, so seine Erfahrung. „Dann können die verschiedenen Optionen einfach schon einmal dem Patienten vorgestellt werden und die Ärzte können gemeinsam eine Art Fahrplan festlegen, ab welchem Zeitpunkt man dann Richtung LVAD oder Herztransplantation gehen sollte“, ergänzt Herzchirurg Gummert. Hierbei bieten vor allem Zentren, in denen in größerer Zahl sowohl Transplantationen erfolgen als auch LVAD-Systeme eingesetzt werden, nach Auffassung der Experten den Vorteil, dass eine ausgewogene Erfahrung mit beiden Behandlungsoptionen besteht und entsprechend beraten werden kann.
Teamarbeit zwischen den Fachdisziplinen ist auch deshalb gefragt, weil die Symptomatik stets im Verhältnis zu den tatsächlichen Schäden und objektiven Befunden betrachtet werden muss. So gibt es Patienten mit sehr ausgeprägten Beschwerden bei noch vielleicht ganz guter Funktion der linken Herzkammer und ebenso den umgekehrten Fall. Besonders Sportler können häufig aufgrund ihrer trainierten Skelettmuskulatur Symptome lange kompensieren, obwohl die Funktionalität ihres Herzens bereits stark eingeschränkt ist.
*Auswurffraktion = die Menge Blut, die die linke Herzkammer im Verhältnis zur Gesamtmenge Blut, die sich in der Herzkammer befindet, in den Körper pumpt.
Lebensqualität nach Transplantation besser als mit LVAD
Einige Patienten sind ganz klar Kandidaten für eine Transplantation. „Gerade bei sehr jungen Menschen muss man mit allem Druck versuchen, das zu realisieren“, betont Voigtländer. Denn die Lebenserwartung mit einem Spenderherz ist deutlich höher als mit einem LVAD. Bis zu 30 Prozent leben auch nach 20 Jahren noch mit ihrem neuen Herzen.
LVAD-Träger können allerdings auch gut mit ihrem künstlichen Pumpsystem leben. So hält eine Batterieladung damit bis zu 18 Stunden, bevor wieder neu geladen werden muss. Gerade das aktuelle LVAD-System, das derzeit als einziges in Deutschland noch zur Verfügung steht (HeartMate3), trägt zu verbesserten Langzeitergebnissen bei. Die Zahl der Komplikationen ist merklich gesunken. Etwa noch zehn Prozent der LVAD-Patienten erleiden nach Angaben von Gummert innerhalb von zwei Jahren einen Schlaganfall. Das größte Manko ist nach wie vor das Elektrokabel, die sogenannte Driveline, die durch die Bauchdecke geht und die Pumpe mit Strom versorgt. Sie ist Quelle von Infektionen und schränkt die Patienten ein, weil sie zum Beispiel nicht schwimmen dürfen. Neuentwicklungen ohne ein solches externes Kabel sind nach Auffassung von Gummert in den nächsten Jahren nicht zu erwarten: „Da fehlt leider der Druck auf die Hersteller.“
Wer erhält ein LVAD?
Ein Linksherzunterstützung kommt zum Beispiel für Patienten infrage, die medikamentös maximal behandelt sind und dennoch mehr als dreimal im Jahr mit einer ausgeprägten Herzschwäche ins Krankenhaus zur Stabilisierung müssen. „Ebenso gilt dies für Patienten, bei denen bereits weitere Endorganschäden auftreten, etwa an Nieren oder Leber“, wie Gummert erläutert. Auch wenn das Alter und Begleiterkrankungen gegen eine Transplantation sprechen, könne ein LVAD noch eine gute Option sein, das dann für einige Jahre die Lebensqualität deutlich verbessere. Doch selbst Patienten mit Chancen für eine Transplantation sollten darauf hingewiesen werden, dass unter Umständen durch den Spenderorganmangel für sie ein LVAD die einzige zur Verfügung stehende Option zur Lebensrettung ist, entweder zur Überbrückung bis zu einer Transplantation oder gar als Dauertherapie. Aktuell leben in Deutschland ungefähr 2.100 mit einem solchen Herzunterstützungssystem und können ambulant betreut werden. „Das Alter ist dabei nicht der entscheidende Faktor, sondern vielmehr die Gesamtsituation des Patienten. Wir haben sogar Patienten über 80 Jahre, die mit einem solchen System sehr gut zurechtkommen und die auch dadurch wieder für einige Jahre eine annehmbare Lebensqualität haben, weil die ständige Luftnot und die extrem eingeschränkte Belastbarkeit behoben sind“, so Gummert. Patienten, bei denen beide Herzkammern geschädigt sind, könne jedoch nach wie vor nur eine Herztransplantation helfen. Es stehe derzeit weder ein komplettes Kunstherz zur Verfügung, noch sei in naher Zukunft die Verpflanzung von Schweineherzen eine Alternative.
Die beiden Herzexperten sind sich daher einig: „Wir müssen unbedingt für die Organspende kämpfen und immer wieder darauf hinweisen, dass wir einen Spenderorganmangel haben. Nur so können wir Patienten mit einem stark geschädigten Herzen eine optimale Perspektive geben. Denn auch wenn ein Linksherzunterstützungssystem lebensrettend ist: Die Lebensqualität nach einer Transplantation ist nun mal immer noch viel besser als mit einem LVAD-System.“