SEAL-Studie zeigt: Schwere Lebererkrankungen sind durch bessere Vorsorge vermeidbar

Universitätsmedizin Mainz entwickelt ein Vorsorgeprogramm zur Früherkennung von Leberzirrhose – vielen Menschen ist die Wichtigkeit einer gesunden Leber nicht ausreichend bewusst

Forschenden der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz ist es gelungen, ein Programm für eine Strukturierte Früh-Erkennung einer Asymptomatischen Leberzirrhose (SEAL) zu entwickeln und im Rahmen einer Studie erfolgreich in die reguläre Vorsorge einzubinden. Ziel des Programms ist es, eine Lebererkrankung in einem frühen Stadium zu entdecken und zu therapieren. Dadurch können Komplika-tionen durch eine asymptomatische Leberzirrhose rechtzeitig verhindert werden.
Die wissenschaftliche Auswertung des Programms macht deutlich, wie wichtig ein solches Vorsorgeprogramm ist: Bei vier von fünf der Studienteilnehmenden mit auffälligen Leberwerten wurde im Rahmen einer anschließenden fachärztlichen Untersuchung eine Lebererkrankung diagnostiziert. Die aktuell auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) begutachteten Studienergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift „Journal of Hepatology“ veröffentlicht.

Je früher eine Lebererkrankung erkannt wird, desto besser ist die Prognose für die Betroffenen. Für die hausärztliche Versorgung gab es bislang jedoch keine etablierte und strukturierte Untersuchungsmethode zur Früherkennung von Lebererkrankungen. Diese Lücke ist nun durch das erfolgreiche Forschungsprojekt „Strukturierte Früh-Erkennung einer Asymptomatischen Leberzirrhose (SEAL)“ geschlossen worden.

„Im Rahmen von SEAL sind wir der Frage nachgegangen, wie ein strukturiertes Früherkennungsprogramm aussehen sollte und wie sich dadurch die Patientenversorgung verbessern lässt“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Peter Galle, Direktor der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz. Er ergänzt: „Dafür haben wir leberspezifische Untersuchungen in ein bestehendes Vorsorgeprogramm, den sogenannten Check-Up-35, integriert. Mit Hilfe des SEAL-Programms konnten wir rund 60 Prozent mehr Patient:innen mit einer Leberzirrhose erkennen als durch die reguläre Versorgung. SEAL stellt so ein praktikables, nicht-invasives und potenziell kosteneffektives Vorsorgeprogramm dar, das leicht in die Routineversorgung eingebunden werden könnte.“

Die Leberzirrhose entsteht aus einer Vernarbung der Leber, der sogenannten Fibrose. Sie stellt das Endstadium nahezu jeder chronischen Lebererkrankung dar. Die Leberzirrhose verursacht jährlich weltweit mehr als 1,3 Millionen Todesfälle. Bei einem Großteil der Patient:innen mit kompensierter, auch benannt als asymptomatische oder „stumme“, Leberzirrhose wird die Erkrankung erst erkannt, wenn schwerwiegende Komplikationen auftreten. In drei von vier Fällen hat sich zum Zeitpunkt der Diagnose die stumme Leberzirrhose bereits zu einer sogenannten dekompensierten Leberzirrhose weiterentwickelt.

Schädigungen der Leber können mithilfe von bestimmten Markern im Blut ermittelt werden. Wenn die Leber entzündet ist, steigt im Blut die Aktivität von bestimmten Enzymen, den sogenannten Alanin (ALT)- und Aspartat (AST)-Aminotransferasen. Mit den AST- oder ALT-Werten lässt sich der AST/Thrombozyten-Ratio-Index (APRI) -Score bestimmen. Dieser dient dazu, abzuschätzen, ob eine fortgeschrittene Vernarbung der Leber vorliegen könnte.

Bei 1581 (13,1 Prozent) Patient:innen konnte ein erhöhter AST- und/oder ALT-Wert gemessen werden. Etwa vier Prozent der Teilnehmenden wiesen einen erhöhten APRI-Score für eine Leberfibrose auf. In 45 Fällen lag bereits eine fortgeschrittene Fibrose oder eine Leberzirrhose vor. Die diagnostizierten Betroffenen wurden zur weiteren Behandlung an einen Facharzt überwiesen. Dort wurde bei 80 Prozent der Patient:innen eine Lebererkrankung festgestellt. Davon waren 60 Prozent einer nicht-alkoholischen und 18 Prozent einer alkoholischen Lebererkrankung zuzuordnen.

„Ein unerwartetes Ergebnis von SEAL war, dass etwa die Hälfte der untersuchten Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf eine fortgeschrittene Leberfibrose oder Leberzirrhose nicht zu einer weiteren Abklärung und Behandlung beim Facharzt erschienen sind. Diese Erkenntnis unterstreicht, dass vielen Menschen noch nicht ausreichend bewusst ist, wie wichtig eine gesunde Leber ist. Unser Projekt könnte hier einen Grundstein legen, um über Lebergesundheit und die Gefahren einer dekompensierten Leberzirrhose aufzuklären“, betont PD Dr. Christian Labenz, Facharzt für Innere Medizin in der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz und Erstautor der Publikation.

Die SEAL-Studie wurde zwischen 2018 und 2021 im Rahmen des Vorsorgeprogramms Check-Up-35 in 201 allgemeinmedizinischen Praxen in Rheinland-Pfalz und im Saarland durchgeführt. Bei insgesamt 11.859 Patient:innen wurden die Leberwerte bestimmt und eine spezifische Anamnese für Lebererkrankungen erhoben. Die Kontrollgruppe bestand aus 349.570 Teilnehmenden, die das reguläre Check-Up-35-Programm durchlaufen haben.

Der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat die SEAL-Studie über fünf Jahre gefördert. Aktuell erfolgt die Begutachtung der Ergebnisse von SEAL durch den G-BA mit dem Ziel, das Programm in die hausärztliche Routineversorgung einzubinden. Das Projekt wurde von einem Konsortium aus Universitätsmedizin Mainz (Konsortialführer), Universitätsklinikum des Saarlandes, den Hausärzteverbänden in Rheinland-Pfalz und im Saarland, dem Berufsverband Niedergelassener Gastroentrologen (BNG) sowie der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland umgesetzt. Die abschließende Evaluation erfolgte in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Freiburg.

Originalpublikation:

Labenz C., Arslanow A., Nguyen-Tat M., Nagel M., Wörns M.A., Reichert M.C.,Heil F.J., Mainz D., Zimper G., Römer B., Binder H., Farin-Glattacker E., Fichtner U., Graf E., Stelzer D., Van Ewijk R., Ortner J., Velthuis L., Lammert F., Galle P.R., Structured Early detection of Asymptomatic Liver Cirrhosis: Results of the population-based liver screening program SEAL, Journal of Hepatology (2022).
DOI: doi.org/10.1016/j.jhep.2022.04.009