Krankenhaus Rating Report: Wirtschaftliche Lage deutscher Krankenhäuser hat sich 2020 durch Pandemie-Hilfen verbessert
Die wirtschaftliche Lage deutscher Krankenhäuser hat sich im Jahr 2020 deutlich verbessert. Nur noch 7% lagen im „roten Bereich“ mit erhöhter Insolvenzgefahr. Auch ihre Ertragslage ist besser geworden, nur noch 28% der Kliniken schrieben auf Konzernebene einen Jahresverlust. Maßgeblich für die bessere wirtschaftliche Lage der Kliniken waren allerdings keine langfristig wirksamen strukturellen Veränderungen, sondern die Ausgleichszahlungen und andere Hilfen im Rahmen der Pandemie. Das deutsche Gesundheitswesen steht weiterhin vor gewaltigen Herausforderungen, für die es gegenwärtig nicht gerüstet ist. Zu diesen Ergebnissen kommt die achtzehnte Ausgabe des „Krankenhaus Rating Report“ 2022.
Das Wichtigste in Kürze:
Status quo
– Die wirtschaftliche Lage deutscher Krankenhäuser hat sich im Jahr 2020 deutlich verbessert. Nur noch 7 Prozent der Krankenhäuser befanden sich im „roten Bereich“ erhöhter Insolvenzgefahr, 25 Prozent im „gelben“ und 68 Prozent im „grünen Bereich“. Im Jahr zuvor lagen nur 60 Prozent im „grünen“ und 14 Prozent im „roten Bereich“. Die Ertragslage hat sich 2020 ebenfalls verbessert: 28 Prozent der Krankenhäuser schrieben auf Konzernebene einen Jahresverlust, 2019 waren es 34 Prozent. Im Jahr 2020 betrug das durchschnittliche Jahresergebnis 1,2 Prozent der Erlöse, im Jahr zuvor waren es 0,6 Prozent.
– Maßgeblich für die bessere wirtschaftliche Lage der Kliniken waren allerdings keine langfristig wirksamen strukturellen Veränderungen, sondern die Ausgleichszahlungen und andere Hilfen von Bund und Ländern im Rahmen der COVID-19-Pandemie. Besonders verbessern konnten sich kleinere Krankenhäuser, Einrichtungen mit unterdurchschnittlicher Fallschwere (Casemixindex) und nicht-private Krankenhäuser.
– Aufgrund der COVID-19-Pandemie sank im Jahr 2020 die stationäre Fallzahl außerordentlich stark um 13,5 Prozent. Im zweiten Pandemiejahr 2021 verharrte sie weitgehend auf diesem niedrigen Niveau.
– Die Investitionsfördermittel der Länder beliefen sich im Jahr 2020 auf 3,27 Milliarden Euro, das waren 3 Prozent mehr als im Vorjahr. Bezogen auf die gesamten Krankenhauserlöse entspricht dies 3,4 Prozent. Zum Erhalt der Unternehmenssubstanz sollten jährlich 7 bis 8 Prozent der Erlöse in Investitionen fließen. Krankenhäuser schließen diese investive Lücke nur zum Teil aus eigener Kraft, sodass es zu einem Substanzverzehr kommt, der in den Bilanzen deutlich sichtbar ist. Besonders stark war dieser Substanzverzehr bei den ostdeutschen Krankenhäusern, die sich – von einer sehr guten Unternehmenssubstanz kommend – dem niedrigen Niveau der westdeutschen Krankenhäuser immer weiter annähern.
– Eine Auswertung vorliegender Jahresabschlüsse aus den Jahren 2007 bis 2020 zeigt zeitstabile Muster: Signifikant besser fällt das Rating in Ost-Deutschland aus, am schlechtesten in Baden-Württemberg und Hessen. Kliniken in freigemeinnütziger und privater Trägerschaft schneiden beim Rating und der Ertragslage deutlich besser ab als öffentlich-rechtliche Kliniken. Gleichwohl verschlechterte sich die Ertragslage privater Krankenhäuser 2020 im Vergleich zum Jahr 2019, während sie bei öffentlich-rechtlichen und besonders bei freigemeinnützigen Häusern stieg. Ein signifikant besseres Rating und eine bessere Ertragslage hatten außerdem Krankenhäuser mit einem mittleren und hohen Spezialisierungsgrad sowie Einrichtungen mit einem höheren Casemixindex.
– Die Anzahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Menschen im Gesundheitswesen ist zwischen 2015 und 2021 um 15 Prozent gestiegen, in Krankenhäusern um 12 Prozent. Zudem nahm der Anteil der in Teilzeit beschäftigten Menschen zu. Im ärztlichen Dienst in Krankenhäusern hat er sich zwischen 2004 und 2020 von 12 Prozent auf 29 Prozent mehr als verdoppelt. Zudem arbeiten deutlich mehr ausländische Beschäftigte in Krankenhäusern.
-In den Jahren 2019 und 2020 kam es zu einem erheblichen Zuwachs der Zahl der Vollkräfte im Pflegedienst (+4,2% bzw. +5,0%) und gleichzeitig zu einem Abbau im Funktionsdienst, was darauf hindeutet, dass es zu Verschiebungen zwischen den Dienstarten aufgrund der im Jahr 2020 eingeführten Selbstkostendeckung für die Pflegepersonalkosten kam.
– Aufgrund der stark gesunkenen Zahl an Fällen bei gleichzeitig wachsender Zahl an Vollkräften sank die Arbeitsproduktivität – gemessen als Casemix je Vollkraft – im Jahr 2020 um 16%. Teilweise ist der Rückgang durch pandemiebedingte Zusatzarbeit erklärbar.
– Die Lohnkosten im Pflegedienst stiegen in den vergangenen Jahren deutlich stärker als zu Anfang der 2010er Jahre. Im Jahr 2019 stiegen die Kosten je Vollkraft um 4,8% und 2020 um 3,5%.
– Im März 2021 lag die Zahl der von Krankenhäusern gemeldeten offenen Stellen viereinhalbmal höher als im Januar 2007. Erfreulicherweise ist die Anzahl der Auszubildenden in Krankenhäusern zwischen 2005 und 2021 um 41 Prozent gestiegen, sodass der Anteil der unter-25jährigen an der Belegschaft im Jahr 2021 auf über 11 Prozent zugenommen hat. Das wird aber nicht ausreichen, um die Beschäftigten, die in den kommenden Jahren in Rente gehen werden, komplett zu ersetzen.
Projektion
– Für die Projektion wurden die Jahresabschlüsse des Jahres 2020 unter Berücksichtigung der Erkenntnisse während der COVID-19-Pandemie in den Jahren 2021 und 2022 sowie der demografischen Entwicklung und bereits beschlossener Gesetzesänderungen bis 2030 fortgeschrieben. Die im Jahr 2021 noch anhaltende Pandemie hat dazu geführt, dass die Leistungsmenge der Krankenhäuser weiterhin unter dem Niveau von 2019 lag.
-Das Szenario „Rückkehr zu 2019“ geht für 2023 von einer Rückkehr zum Vor-Krisen-Niveau aus und rechnet bis 2030 mit einer Zunahme der Fallzahl um 18 Prozent gegenüber 2020. Bei einem moderaten jährlichen Anstieg der Basisfallwerte und steigenden Löhnen würde in diesem Szenario der Anteil der Krankenhäuser im roten Rating-Bereich bis 2030 auf 25 Prozent steigen. Der Anteil mit einem Jahresverlust würde auf 44 Prozent wachsen und das durchschnittliche Jahresergebnis auf -2,5 Prozent sinken.
– Im Szenario „Neustart“ wird angenommen, dass das Leistungsvolumen nicht mehr das Vorkrisenniveau erreichen wird. Es nimmt gegenüber dem Jahr 2022 nur noch sehr leicht zu, so dass die stationäre Fallzahl im Jahr 2030 nur rund 7 Prozent über dem Niveau von 2020 liegt. In dieser Situation käme es zu einer dramatischen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Krankenhäuser. Etwa drei Viertel schrieben dann schon im Jahr 2023 Verluste und 2030 betrüge das durchschnittliche Jahresergebnis -8 Prozent. Bei kontinuierlichen Struktur- und Prozessoptimierungen sowie einer Anpassung der Krankenhauskapazitäten an das neue niedrigere Leistungsniveau könnte sich die Lage bis 2030 dagegen stabilisieren.
Ausblick
– Das deutsche Gesundheitswesen steht weiterhin vor gewaltigen Herausforderungen, für die es gegenwärtig nicht gerüstet ist. Die Gesetzlichen Krankenversicherungen haben 2021 das höchste Defizit ihrer Geschichte eingefahren und es mangelt an geeignetem Personal, um die erforderlichen Leistungen weiterhin in guter Qualität erbringen zu können. Gleichzeitig steigen inflationsbedingt die Sachkosten. Der Handlungsdruck nimmt daher zu.
– Um Rationierung von Gesundheitsleistungen zu vermeiden, muss die Effizienz im Gesundheitswesen steigen. Hilfreich für weitere Schritte ist die Ableitung eines Zielbilds der Gesundheitsversorgung, an dem sich die Vergütungssysteme und damit die Vergütungsanreize ausrichten.
• Die Einführung des DRG („diagnosis-related groups“)-Systems mit Fallpauschalen im Jahr 2004 hat die Krankenhausfinanzierung gegenüber der Zeit davor merklich verbessert. Das DRG-System setzt aber auch den Anreiz zur Erbringung einer hohen Menge stationärer Leistungen, behindert als rein stationäres Vergütungssystem eine sektorenübergreifende Versorgung und bremst die Ambulantisierung aus. Im Ergebnis führt es zu einer hohen betrieblichen Effizienz, aber nicht notwendigerweise zu einer hohen Systemeffizienz. Um die Systemeffizienz zu erhöhen, sollten Vergütungsinstrumente auf der Systemebene ansetzen.
– Eine Brücke zwischen dem ambulanten und stationären Sektor könnten so genannte Hybrid-DRG bzw. komplex-ambulante DRG bilden. Sie bezahlen Leistungen, die aus Vergütungsgründen bislang stationär erbracht wurden, die aber ambulant hätten durchgeführt werden können. Wichtig ist, dass eine komplex-ambulante DRG an Voraussetzungen an die Infrastruktur und das Personal geknüpft ist.
– Regionale Vorhaltebudgets für medizinische Leistungsgruppen könnten die Schwerpunktbildung erheblich voranbringen. Außerdem kön¬nten sie Schwankungen der Nachfrage, die das übliche Maß übersteigen, besser auffangen, wie zum Beispiel infolge einer Pandemie. Plausibel erscheint eine Aufteilung des bundesweiten DRG-Erlösvolumens (inklusive der Pflegepersonalkosten) in ein Drittel für mengenunabhängige regionale Vorhaltebudgets und zwei Drittel für die Residual-DRG. Um das Ziel der Schwerpunktbildung zu unterstützen, sollten die regionalen Vorhaltebudgets für alle Leistungsgruppen zur Verfügung gestellt werden.
– Der Koalitionsvertrag setzt viele zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen wichtige Themen auf die Agenda. Er vermeidet allzu konkrete Aussagen und lässt so Spielraum, die Vorhaben umzusetzen. Insofern besitzt der Vertrag ein großes Potenzial, die gewaltigen Herausforderungen angehen zu können. Er birgt allerdings auch das Risiko, viele der Themen nur oberflächlich zu streifen. Um das Potenzial für die Gesundheitsversorgung zu nutzen, braucht es daher entschiedene politische Führung und eine entsprechende Priorisierung der Themen.
– Wichtige Themen im Koalitionsvertrag sind der Ausbau multiprofessioneller, integrierter Gesundheits- und Notfallzentren und die Stärkung der „Kümmerer“-Funktionen, wie zum Beispiel die niedrigschwelligen Beratungsangebote in Form von Gesundheitskiosken und speziell auf dem Land der Ausbau der Angebote von Gemeindeschwestern und Gesundheitslotsen.
– Außerdem soll die Gestaltungsfreiheit auf regionaler Ebene erhöht werden, indem bevölkerungsbezogene Versorgungsverträge attraktiver gemacht und Spielräume für Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern ausgeweitet werden.
– Um die Pflege attraktiver zu gestalten, sollen die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Hierzu gehört, die akademische Pflegeausbildung und das Berufsbild der Community Health Nurse zu stärken sowie in der Ausbildung digitale Kompetenzen zu vermitteln. Zusätzlich sollten ausländische Fachkräfte gewonnen und im Ausland erworbene Berufsabschlüsse einfacher anerkannt werden.
– Zudem soll die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorangebracht werden. Dazu gehört, telemedizinische Leistungen, Videosprechstunden, Telekonsile, Telemonitoring und telenotärztliche Versorgung regelhaft zu ermöglichen.
„Zwar hat sich die wirtschaftliche Lage deutscher Krankenhäuser im Jahr 2020 deutlich verbessert“, sagt RWI-Gesundheitsexperte Boris Augurzky. „Das ist jedoch kein Grund, sich auszuruhen. Das deutsche Gesundheitswesen kann und muss deutlich effizienter werden, beispielsweise durch sektorenübergreifende Versorgung“, so Augurzky. „Auch die Digitalisierung, insbesondere telemedizinische Leistungen müssen vorangebracht werden“, ergänzt Sebastian Krolop (HIMSS, Healthcare Information and Management Systems Society).
Datengrundlage des „Krankenhaus Rating Report 2022“ sind 540 Jahresabschlüsse von Krankenhäusern aus dem Jahr 2019 und 544 aus dem Jahr 2020. Sie umfassen insgesamt 957 Krankenhäuser. Für das Jahr 2021 lagen noch keine Jahresabschlüsse in ausreichender Zahl vor. Der Report wird gemeinsam vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und der Institute for Healthcare Business GmbH (hcb) in Kooperation mit der Bank im Bistum Essen (BIB) erstellt.
Originalpublikation:
Dieser Pressemitteilung liegt die Studie „Krankenhaus Rating Report 2022: Vom Krankenhaus zum Geisterhaus?“ zugrunde. Sie enthält unter anderem zahlreiche grafisch aufbereitete Darstellungen und Krankenhausbenchmarks. Die Studie kann für 359 Euro inkl. 7% MwSt. beim Verlag medhochzwei (www.medhochzwei-verlag.de) bestellt werden (Buch inkl. eBook, ISBN 978-3-86216-915-3). Sie ist auch als reines eBook (329 Euro, ISBN 978-3-86216-916-0) oder im Online-Abonnement (329 Euro, inkl. Archivmaterial seit 2012, ISBN 978-3-86216-103-4) erhältlich. Sämtliche Grafiken und Tabellen sind auch separat als Download verfügbar (898 Euro, Bestell-Nr. 386216056).